Die Kleine zeigte Richtung Meer – das Meer bei Wien. Das wusste Meadow allerdings nicht, dass da Wien lag. Sie hörte nur damals mal Gerüchte über das Wasser. Wenn Meadow gewusst hätte, wie Recht sie damit hatte nicht Richtung München zu wandern, nur um dann vor einem so hohen und unüberwindbaren Gebirge zu stehen, hätte sie sich bestimmt glücklich geschätzt den richtigen Riecher zu haben. Doch alleine der Weg Richtung Wien stellte wohl schon eine große Herausforderung dar. Und noch etwas bezeigte Meadow mit ihrer Hand: Den Stadtrand von Prag. Den würden sie nämlich jetzt ersteinmal aufsuchen. Sonst wären sie schneller gegrillt, als sie laufen könnten.
Wenn sie Glück hatten, würden sie in der Abenddämmerung bis Morgengrauen ohne große Probleme laufen können. Ohne große Probleme heißt dabei, ohne Störung durch Banditen, oder Spähertrupps. Allerdings auch – ohne Schutz vor Stürmen, Sichtung und sonstigen Gefahren. Wenn sie noch weiteres Glück hatte, fänden sie vielleicht einen fahrbaren Untersatz und die Reise ginge schneller. Vielleicht sogar noch einige andere Reisende, die auf gleichem Weg waren? Flüchtlinge gab’s viele und nicht alle Ausgestoßenen waren wirklich welche. Doch, wer einmal draußen war und keinen Anschluss fand, wurde oftmals für einen gehalten und wie schnell war man bei einem Überfall Papiere los, die dann missbraucht wurden um zu erpressen oder sogar selbst die Identität des Opfers für eine Kaverne anzunehmen. Menschen taten alles, um in die schützenden Bunker – unter den Outlandern als sogenannte Oasen betitelt – zu gelangen.
Meadow hatte sich lange Zeit mit den Abwasserkanälen Prags und deren Schutz begnügt. Auf sich allein gestellt wurde sie allerdings schnell in die oberen Ruinen vertrieben und von dort, beinahe ganz in die schutzlose Einöde. Ein Todesurteil für jeden der sich nicht wehren kann, oder so ist wie Meadow. Kein Wunder, dass sie weg wollte.
Die kleine schmächtige Person vor Strelok schaute diesen mit wachen Augen an. Eine zeitlang. Wie er unter der Gasmaske trank, wie er sich sonst so gab und wie er sich bewegte.
Als sie da unten in der Kanalisation sein Gesicht sehen konnte, fragte sie sich, wie lange er schon so überlebt hat und ob es noch einen anderen Grund für sein Sammeln gibt.
„Versauern...“, wiederholte Meadow seinen Wortlaut und wusste nichts so recht damit anzufangen. Zumindest nicht in dem Zusammenhang wie Strelok es gebrauchte.
„Meadow wird Strelok zu ihrem ehemaligen Versteck führen. Hoffentlich ist es noch unbewohnt. Ist erst heute morgen verlassen worden, aber das soll nichts heißen. Hier oben ist alles schnell besetzt, wie du weißt.“, ruhig sah sie ihn an, ohne sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Sie konnte sich schwer damit abfinden, jemanden bei sich zu haben, der ihr nicht mehr von der Seite wich. Sonst, war es immer umgekehrt. Dennoch hatte der Mann vor ihr, etwas, was sie beruhigte und sie Vertrauen hoffen ließ. Doch vorerst, war sie nur daran interessiert, zu überleben. Nach einer gefühlten Ewigkeit, wie sie so da saß und Strelok mit ihrem Blick durchbohrte ohne sich zu rühren, bewegte sie sich dann und spähte um den kleinen Felsen herum, in die Landschaft. Es war ruhig. Die Luft flimmerte munter unter der Hitze und jede Bewegung wurde zur Anstrengung.
Mittlerweile durfte es wohl bestimmt Zwei Uhr nachmittags sein und die Hitze auf ihrem Höhepunkt. Keiner – außer ein paar Verrückten oder Verirrten würden sich jetzt noch draußen aufhalten. Ein guter Zeitpunkt, um zu gehen.
Meadow erhob sich schwerfällig. Auch ihr machte die Hitze zu schaffen, doch sie ging gemächlich Schritt für Schritt über den staubig steinigen Boden. Sie spürte die Hitze unter ihren Füßen, die mehr und mehr durch die Leinen hindurch wehtaten – von den piksenden Steinchen mal ganz abgesehen hin zu einer alten kleinen eingefallenen Plastik-Wellblech-Hütte mitten im Nichts einiger eingefallenen Steinsäulen und Steinblöcken. Eigentlich nur ein schräggestelltes Wellblechdach aus gehärtetem Plastik an einigen Steinsäulen gelehnt und ziemlich niedrig, gerade mal genug um darunter kauernd im Schneidersitz zu hocken, doch groß genug für Zwei in dieser Position. Es war so weit es ging im Sand von ihr eingegraben worden und von außen kaum auszumachen. Eingegraben, weil eine andere Befestigungsmöglichkeit fehlte und das Dach wurde zusätzlich durch zwei halb eingestürzt schräg stehenden Steinläule gestützt. Eine lag quer davor und war hoch genug, um auch nach vorn Sichtschutz zu bieten. Der mickrige Eingang, befand sich seitlich unter eine der schräg gefallenen Steinsäulen durch die Meadow nun krabbelte. Zugegeben kühler war es hier nicht, aber auch nicht heißer als vor der „Hütte“ draußen. Immerhin waren sie vor der direkten Sonneneinstrahlung geschützt und auch vor jenem Staub und sandaufwirbelnden Wind, der die abgerissenen Pflanzenteile mit sich wirbelnd zog. Hier war es einigermaßen Hügelig und ziemlich einsam. Menschenleer sozusagen und das war auch gut so. Meadow konnte keine Menschen um ihr Quartier gebrauchen, wenn sie sicher schlafen wollte. Er war sogar mit einer Art Holzboden ausgelegt. Einige verwitterte und nicht mehr zu gebrauchende Planken bildeten mit einigen flachen Steinkieseln eine Art ebenen Bodenbelag. In der hintersten Ecke konnte Strelok bei Betreten allerlei Gräsern und Moose ausmachen. Wie er sich denken konnte, kann Meadow das wie ein Teppich über den Boden legen und hätte einen leicht weicheren Untergrund zum Schlafen als Stein und verwittertes Holz. Vor dem Eingang, war ein kleiner rundlicher Steinhaufen gefüllt mit Asche. Meadows minimale Feuerstelle.
Meadow hatte kein Wort bislang gesprochen und Strelok konnte sehen, dass sie sich sofort liegend in eine Ecke die sie schnell, aber schwer atmend mit dem herumliegenden „Bettmaterial“ bedeckte und es ihm auch hinschubste, einrollte. Sie wickelte noch im Liegen ihre Tücher vom Kopf und Hals und Armen, denn ihr war furchtbar heiß. Die Hitze hatte sie geschlaucht und sie wusste immer noch nicht so recht, wie sie den Gewaltmarsch überstehen würde. Strelok konnte sehen, wie müde die Kleine war – wie es an ihren Kräften gezehrt hatte. Wie sie schwer atmete und ihn im liegen dennoch mit beobachtenden Augen ansah, die ihr beinahe immer wieder schlafen wollend zufielen.
„Wir bleiben ... hier bis zur ... Nacht. Hier ist es ... sicher.“, atmetes sie schwerfällig: „Auch du solltest schlafen. Wir werden ... reisen, wenn es kühler wird und ... vorher noch etwas sprechen und ... vielleicht uns stär...“
Dann war Meadow auch schon eingeschlafen. Das sie in Streloks Nähe schlief, war schon Vertrauensbeweis genug. Doch hätte Meadow auch gar nicht anders gekonnt.
Sie war nicht gerade gut konstituiert und stressbelastbar. Das was sie heute und bislang schon erlebt hatte, war die Aufregung von einigen Tagen. Ein Mensch wie Strelok, so dicht in ihrem direkten Umfeld war Aufregung genug und er war ihr näher gekommen, als jegliche Menschen zu vor in den letzten Monaten. Das schlaucht. Doch er hatte sich als vertrauenswürdig genug erwiesen, dass sie nun einfach eingeschlafen war und sogar einigermaßen tief schlafend sich erholen konnte.
Und so beruhigte sich ihr Atem langsam von Minute zu Minute, bis er endlich tief und gleichmäßig war.