Während sich Alexis noch um das Mädchen kümmerte, wurde Haj'ett hellhörig. In der unnatürlichen Stille, die sich gebildet hatte, als das Weinen des Mädchens verstummt war, schien der Ruf eines einzelnen Vogels viel zu laut. Der Echsenmann sah sich etwas genauer um, das kaum hörbare Murmeln der Gruppe im Rücken. Die schwarzen Gerippe von Pfahlbauten umgaben sie. Wieder dieses Vogelzwitschern. Dann wieder. Haj'ett musste schwer schlucken, als er zu ahnen begann, was sich an diesem Ort zugetragen haben könnte. Ein niedergebranntes Dorf, ein blutverschmiertes Kind, alleine im Nebel.
Es war still... bis erneut ein Vogellaut zu hören war, der diesmal von einem Husten beantwortet wurde, das an einen Affen erinnerte. Verwirrt blickte sich der Echsenmann um aber die wenigsten seiner Gefährten schienen diesen Geräuschen Bedeutung beizumessen. Immer mehr verschiedene Tierlaute keimten nun in der Stille auf, und schienen miteinander zu korrespondieren. Fauchen, Zwitschern, Zirpen und Krakeelen. Haj'ett spürte Panik in sich aufkeimen. War das Dorf von Tieren überfallen worden? Aber die brannten doch nichts nieder... oder? Die Stimmen wurden lauter, als würden sie näher kommen. Oder sich streiten?
Was zum Teufel geht hier vor sich? Erschrocken, drehte er sich mal hierhin, und mal dorthin, immer dem letzten Tierruf folgen, ohne fähig zu sein, einen Verursacher auszumachen. Dann war es plötzlich wieder still. Unschlüssig schaute der Echsenmann zu seinen Gefährten. Das Wort "Dämonen" fiel.
"Leute, ich hab ein ganz mieses Gefühl. Slrp! Wir sollten lieber abh-" Zapp! Das Geräusch von einem spitzen Gegenstand, der sich in Fleisch bohrte war unverkennbar und wie ein Peitschenhieb in der Stille.
"Ein roter Mund... wie bei Papa!" Dann brach das Mädchen in die Knie. Haj'ett konnte nicht erkennen, wo der Bolzen sie getroffen hatte, denn kaum war die Stille gebrochen, fuhr aus dem trüben Wasser vor ihm eine Gestalt hervor, wirbelnd und Wassertropfen in alle Richtungen verschleudernd. Er konnte nicht anders als laut aufzuschreien, bevor ein Tritt vor die Brust ihm die Luft aus den Lungen drückte und ihn auf den Rücken fallen ließ. Wie ein kurzer Blick ihm verriet waren nun rings um die Gruppe herum noch mehr Dämonen aufgetaucht. Alle trugen sie Masken mit einer merkwürdigen Konstruktion vorm Gesicht, die sowohl Schnorchel, als auch Kuckrohr zu sein schien. Gekröhnt waren diese "Periskope" von Grasbüscheln und Wasserpflanzen. Profis. In Ölzeug gewickelt, das mit Gurten und Bändern um den Körper festgezurrt war, mussten sie die ganze Zeit unter der Wasseroberfläche ausgeharrt haben, unberührt von Wasser und dem Getier, das im Wasser lebte. Lange, mit Widerhaken versehene Messer und Schwertlanzen ließen sie gekonnt in ihren Händen tanzen.
Der Echsenmann überlegte nicht lange, denn auch seine Gefährten setzten zur Gegenwehr an, und ließ seine Armbrust sprechen, die dem Mann vor ihm dinen Bolzen in die gummiartig verpackte Brust jagte. Dieser taumelte, doch schaffte es noch, mit seinem Dreizack nach dem sich aufrappelnden Haj'ett zu fuchteln. Ein Kratzer!
Die Mitglieder dieser Räuberbande - denn Dämonen waren es nicht, mochten sie noch so schauerlich aussehen, mit ihren merkwürdigen Masken - waren offenbar hart im nehmen. Der Echsenmann wich zurück, an Ta'nors Seite. Im Nebel konnte er weitere Silouetten nachrückender Banditen erkennen. Sie hatten Netze dabei und verständigten sich untereinander mit bellenden Rufen und wieder diesen Tierlauten. Der Lärm war fast ohrenbetäubend. Haj'etts frische Wunde pochte bereits und ein wenig Blut sickerte hervor.
Oh, garnicht gut, garnicht gut...
Ta'nor zuckte nach vorne. Ein unglückseliger Pirat ließ sein Leben auf gar schauerliche Art und Weise. Dann - so schien es - war der Echsenmann an der Reihe, denn der Berserker wandte sich dem erschrockenen Haj'ett zu und brüllte ihn an. War er wahnsinnig geworden? Blutrausch? Bibbernd wich Haj'ett zurück. Dann kam der Speer geflogen - und bohrte sich direkt über Haj'etts Schulter in den Leib eines weiteren Piraten. Er brauchte einige Sekunden, bis er begriff, dass der Kai'shak ihm das Leben gerettet hatte.
Dankbar wollte der Echsenmann antworten, doch loderte sein unerwarteter Retter schon nach wenigen Augenblicken im Berserkerrausch. Die Wut war etlichen Speeren geschuldet, die in den Leib Tors gestoßen wurden.
Viele der Banditen erwartete nun ein unglückseliges Schicksal, das Haj'ett nicht erpicht war zu beobachten. Schon die Geräusche, die dabei entstanden brachten ihn zum Wurgen. Welch ein Massaker.
Immer mehr Maskierte drangen auf die Gruppe ein. Aus dem Nebel tauchte Mai auf, doch wurde sie sogleich von einem Knüppelhieb niedergestreckt. Alexis ging nieder, als Pfeilgift seine Sinne benebelte.
Haj'ett war geblendet vom Grauen um ihn herum, eine Lethargie, erfasste ihn - die wenige Sekunden später erwartungsgemäß von einem stechenden Schmerz unterbrochen wurde. Ein Dämon hatte ihm hinterrücks einen schlecht gezielten Speer in die Schulter gerammt. Haj'ett ließ es schmerzerfülltes Zischen vernehmen, während sich der Zierkamm auf seinem Kopf aufstellte - ein Reflex aus vergangenen Tagen, um Feinde abzuschrecken. Und es wirkte. Der Angreifer wich zurück, zog seinen Speer aus der Wunde.
Mit Schwung drosch der verwundete Echsenmann mit der Armbrust nach ihm. Das Bajonett drang unterhalb der Maske ein und wanderte direkt in den Schädel. Der schwankende Leichnahm entriss dem Haj'ett die Armbrust. Waffenlos, angreifbar. Es begannen ihm die Sinne zu schwinden.
Weiter hinten im Nebel ging Ta'nor zu Boden.
Panisch versuchte er, sich wieder zu bewaffnen und zerrte an der Armbrust. Die Waffe löste sich mit einem Schmatzen, ein Laut, das ihm erneut den Magen flau werden ließ. Doche in genauerer Blick auf den Toten offenbart etwas weitaus unangenehmeres:
Ein Bündel, das aussah wie das, was man in etlichen Orten, die er vor einigen Jahren durchwandert hatte zum Sprengen in Minen verwendete. Und es waren viele hölzerne Dornen daran befestigt. Etwas glomm dort unten.
Sprengstoff!
Verzweifelt versuchte Haj'ett, den glühenden Zündfunken auszuklopfen, der die Splittergranate unweigerlich zünden würde. Offenbar hatte der Bandit beabsichtigt, den Echsenmann mit in sein feuchtwarmes Grab zu reißen.
Zwecklos, der Funke weigerte sich zu erlöschen. Viel, viel zu spät gab er Fersengeld.
Ein Donnerschlag - und dutzende Bolzen warfen den unglückseligen Haj'ett nach vorne und ins Wasser. Durchbohrt, hustend und blutend dümpelte er im flachen Wasser, bis ihm die Sinne schwanden.
Laute, Stimmen um ihn herum. Schmerz, als er versuchte sich zu regen.
"Hey... hey, seht mal, der lebt ja doch noch!"