In Lothloriell
Erlendur war der ewigen Diskussionen leid. Wenn Siviria nur da gewesen wäre – Kazar und Erlendur zu zweit den Krieg zu überlassen war eine brenzlige Angelegenheit. Der stattliche Elf zog sich die Handschuhe über die weißen Hände und stand auf. Es war.. Befremdlich. Einst befanden sich die allerersten drei Herrschenden der Pflanzenelfen in dieser Halle, als der allererste Kriegszug der Chantrasami begann.
Jetzt waren sie leer, die drei steinernden Throne – leer und kalt. Es war noch viel befremdlicher als das Heim, dass sich die einzig wahren Erben der Pflanzenelfen in Uthalia geschaffen hatten.
Müde rieb sich Erlendur die Augenlider und trat auf die große, schwere Tür des Thronsaals zu. Als er angekommen war, blickte er zurück in den Saal. Das Licht fiel nur spärlich in die Halle ein, während die Fackeln an den Wänden ein flackerndes, schauriges Licht boten. Die Bänke, der Boden – die Leichen der Menschen lagen einfach dort, längst kalt und hart, und sie erzählten vom Anfang der Rückeroberung Chantrasams. Erlendur nickte und tat es Kazar gleich, die unheilvolle Halle zu verlassen.
Natürlich war Kazar's Abgang wieder ein großer Auftritt gewesen. Der junge, impulsive Kavallerist zeigte viel Hingabe, wenn es darum ging, wütend und mit viel Wind die Räumlichkeiten zu verlassen. Während Erlendur sich durch die Festung auf den großen Hof bewegte, dachte er über das Gesagte des Kavalleristen nach. Die drei Kastenhöchsten der Kriegerkaste, sie sollten seiner Meinung nach, wenn alles vorüber war, in dem Thronsaal herrschen und dort den Platz der drei Herrschenden einnehmen. Mit einem trüben Kopfschütteln trieb es Erlendur voran.
Der Kastenhöchste hatte sich längst etwas anderes dazu überlegt, und er war sicher, dass Siviria seinen Plänen ein Ohr schenken würde, wenn sie mit ihrem Auftrag erfolgreich war und zurückkehrte. Lothloriell als Universität für junge Elfen, an der ihnen von der Magierkaste die Schule der elementaren Zauber angeboten wurde. Die drei Magier-Kastenhöchsten würden den Thronsaal als Ausgangspunkt ihrer Operationen bekommen.. Und mit der Kriegerkaste, mit der hatte Erlendur noch vieles mehr vor. Es würde Siv gefallen, da war er sicher.
Siv, wenn sie nur wieder da wäre.. Und Nachricht hatte er auch noch nicht von ihr erhalten.
Erlendur hoffte inständig, dass er die Kastenhöchste mit dieser Infiltration nicht in den Tod geschickt hatte. Als er die Angst wahrnahm, die in ihm aufstieg – und zwar die, die errötenden Wangen der Eiselfe nie wieder zu sehen, wenn Siv zu ihm hinaufblickte, mit einer Mischung aus Neugier und Scham - da wurde ihm plötzlich klar, dass er mit ihr nicht nur die Meisterin der Infiltration verlieren würde, sondern, dass er das wohl anmutigste, bezauberndste Wesen verlieren würde, das er je um sich erlebt hatte.
Der Braunhaarige schüttelte den Kopf, es war keine Zeit um für eine seiner engsten Vertrauten zu schwärmen. Dafür war in einem Krieg wie diesem kein Platz – jegliche Gedankenlosigkeit konnte ihm seinen Vorteil kosten. Jedes zärtliche Gefühl war eine Plage für einen Mann wie ihn, einen Mann, auf dem viel Hoffnung lastete – vielleicht zu viel Hoffnung.
Draußen angekommen spürte er wieder das sanfte Nass der Schneeflocken auf seiner Haut. Die Ruhe war verloren. Wann er das nächste Mal richtig schlafen würde, richtig durchatmen, war ihm noch unbekannt. Er wusste, dass es nicht leichter werden würde, sondern nur schwerer. Und wenn sie den Krieg wirklich gewannen, so würde es sich nicht ändern. Der Herrscher eines Landes zu sein, das war eine undankbare Aufgabe, eine, die zum Glück nicht ganz allein auf seinen Schultern lastete.
Erlendur winkte den zwei Soldaten, die seine Ankunft längst erwartet hatten, und trat mit ihnen durch die Tore Lothloriells. Es herrschte reges Treiben, denn die Einheiten taten sich daran, zu unterscheiden, wer fähig war in den Krieg zu ziehen, und wer nicht. Immerhin waren bis zur Eroberung Lothloriells so ziemlich alle Eiselfen nur Sklaven der Menschen gewesen. Wer war ein Krieger, wer konnte Ruhm und Ehre zurückerlangen? Wer war Verräter?
Erlendur hoffte, dass er auch in der Rekrutierung neuer Einheiten die richtigen Entscheidungen treffen würde. Insgeheim, insgeheim hoffte er aber auch auf baldige Nachricht der Meisterin der Infiltration..
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Trauerlied.
Es war beinahe Nacht, und Siv war immer noch nicht fertig mit ihren Reinigungsarbeiten. Was hatte sie sich gedacht? Bisher hielt sie Waschweiber für lächerlich und schwach. Doch manch eine Arbeit forderte Siviria, die noch nie in ihrem Leben irgendwelche Arbeiten dieser Art verrichtet hatte. Nun, vielleicht waren diese putzenden Weiber schwach, aber sie verstanden etwas von ihrem Handwerk. Nicht selten hatte Stenian darauf hingewiesen, dass die Qualitäten von Siv zu wünschen übrig ließen. Neben dem Fakt, dass Stenian schon längst Verdacht geschöpft hatte, hatte Siv selbst beim Kochen nicht glänzen können. Selbst ein gekochtes Ei platzte bei ihr unkontrolliert auseinander, statt für die rechte Hand essbar zu gelingen. Dadurch wunderte es Siv, dass die rechte Hand noch keine neue Magd angefordert hatte. Es war zu ihrem Glück.
Jetzt blickte Siviria aus dem Fenster, in ihrer Arbeit erstarrt, und jagte den Gedanken hinterher, deren roten Faden sie beinahe verloren hätte. Am vergangenen Mittag hatte Siv endlich Rückmeldung von den anderen Eiselfen erlangt. Ihre Begleiterinnen hatten es nicht so gut erwischt wie Siv. Nachdem der Regent die Elfen – zu ihrem Glück – wieder fortgeschickt hatte, mit der Aussage, er würde dieses Elfenpack nicht mit seinem Samen segnen, waren sie einfache Putzmädchen für die Festung und den Hof geworden. Zumindest wurden sie an der langen Leine gehalten, denn Siv hatte in den Gewölben unter der Festung, wo die Diener untergebracht wurden, mit ihnen Essen dürfen, obwohl sie eine höhergestellte Magd als die von dort unten war.
Perfekt, um sich endlich auszutauschen. Und das hatte Siviria endlich einen neuen Anhaltspunkt gegeben – eine Chance, die Seelenkapsel zu finden, etwas über sie herauszufinden, bevor die Menschen sie fortbrachten. Es war mehr als wichtig für das Land der Chantrasami, dass Siv diese Kapsel in die Finger bekam.
Die Spione der Elfe hatten ihr mitgeteilt, dass es im Foyer der Festung eine Tür gab, die zu einem Gang führte, der unter die Festung führte und zu einem Gewölbe führte, das unter dem Hof verlief. Tatsächlich hatte eine der Spione dort bereits ihre Arbeiten verrichtet, doch unter strengster Bewachung. Nicht eine Sekunde war sie ungesehen geblieben. „Ich weiß nicht, wozu dieser Ort gut war, doch überall standen Bücherregale, und in der Mitte, dort stand ein Buchständer. Das aufgeschlagene Buch wollte ich lesen, doch die Wache hat mich einfach zu sehr im Auge gehabt.“, erzählte die frischgebackene Magd. „Das Buch handelte von Ascilla!“, erzählte die Elfe aber ihrer Vorgesetzten an diesem Mittag. Ascilla.. So war das. „Ich wette, es handelt sich um eine Art geheime Bibliothek!“, erzählte die Elfe aufgeregt. An dem Mittag war Siviria nur mit den Worten abgetreten, dass die Elfen auf sich aufpassen sollten.
Bis jetzt ließ Siviria diese Information keine Ruhe. Vielleicht musste die Eiselfe einen Weg finden, ungesehen in dieses Gewölbe zu geraten. Wenn dort noch mehr wichtige Informationen auf sie warteten..
„Du!“, sagte eine Stimme plötzlich, die die Elfe vor dem Fenster zusammenzucken ließ. „Wieso bist du noch immer nicht fertig?“, fragte Stenian, und als Siv nur schwer schluckte, machte er nur eine lockere Geste mit der Hand. „Nicht so wichtig. Wenn du schon hier bist..“, sagte er dann und machte eine Pause. In seinem Gesicht stand pure Erschöpfung, wenn nicht sogar Trauer. Beinahe hätte Siviria bei diesem Anblick Mitleid bekommen, doch dass er begann, seinen Mantel aufzuknöpfen hielt sie davon ab. „Ja?“, fragte sie mit ungutem Gefühl im Bauch.
„Dann kannst du auch bleiben.“, sagte er, warf seinen Mantel über einen in der Ecke befindlichen Stuhl und zog sich die Schuhe aus. Siv blickte schockiert drein, und wusste nicht was sie antworten sollte – sie blieb wie angewurzelt am Fenster stehen, und musterte Stenian. Er war nicht gerade unattraktiv, doch Siviria plante nicht, sich wehrlos einem Menschen hinzugeben. Ihre Muskeln spannten sich an, formten sich zur Bedrohung. Von diesen Vorfällen hatte Siv gehört, auch wenn sie Stenian nicht als einen solchen Mann erwartet hätte.
„Nein, nein. Nicht das, was du jetzt befürchtest.“, sagte er und lächelte sanft. „Ich fürchte nichts!“, keifte Siviria zurück, und ihre Sehnen spannten sich.
„Gut.. Wie soll ich sagen.“, fing Stenian an, und nahm auf dem Bett Platz. Die Elfe spürte noch mehr Trauer in diesem Mann, als er sein Gesicht in die Hände grub. Auch Widerwillen, denn so hatte Siviria die rechte Hand bisher nie gesehen. Verletzlich, mit echten Gefühlen.. Was ihn wohl plagte?
Ihre Muskeln blieben angespannt. Ihr Blick suchte nebenher Gegenstände, die sie als Waffe nutzen konnte. Doch der Mann lachte auf, als wollte er sich selbst, oder die Situation verlachen. „Nun.. würdest du mir einen Gefallen machen?“, sprach er, „Einen Gefallen, ohne zu fragen, warum?“
Siviria war drauf und dran, zu nicken, doch sie hielt inne. „Kommt.. Kommt drauf an, was das für ein Gefallen ist.“, erwiderte sie zögernd. „Leg dich auf die Linke Seite des Bettes. Schlafe diese Nacht dort. Sag nichts, und frage nicht nach. Tu es bitte einfach.“, sagte Stenian und hob beschwichtigend die Hände. „Bitte nicht falsch verstehen. Ich habe nicht die Absicht, dir ein Haar zu krümmen.“, fügte er hinzu, und machte sich weiter daran, sein Hemd aufzuknöpfen.
Siviria blieb einige Augenblicke stumm dort stehen, wo sie die ganze Zeit stand, und blinzelte ungläubig. War das eine Falle? Was sollte das?
Wie in Trance tat Siv, was er erbat, und legte sich mit dem Rücken zu Stenian auf die Linke Seite des Bettes, die er zuvor stets, ganz bewusst, frei gelassen hatte. Ihre Augen blieben weit geöffnet, als sie die Kerze anstarrte, die auf dem Nachttisch flackerte..
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Noch immer ruhten Taimi's Augen ruhig auf der kleinen Goblinfrau. Zwischendrin hatte sie kurz lächeln müssen, denn Yoko hatte sich dazugesellt, kaum dass der Dämon sich von der Gruppe entfernt hatte. Jetzt ruhte Yoko im Schneidersitz der Elfe und sagte nichts, sondern hörte Twiggy genauso aufmerksam an, wie ihre Meisterin es tat.
Mit Twiggy's Erzählung änderte sich nichts an der Sicht der Eiselfe, soviel war klar. Twiggy erzählte nur noch intensiver, wie ihr Volk sich unterdrücken ließ.
Immernoch fand Taimi es schade, dass sich die Goblins, von denen sie noch nie zuvor gehört hatte, so klein machten. Würde gab es nicht? Klar, Taimi hatte das schon so empfunden, denn Twiggy riss sich nicht gerade darum, sich aufzustellen und Stolz auszustrahlen.
Die Goblinfrau nahm die Lebensumstände der Goblins als das hin, was sie waren, statt darüber nachzudenken, dass das Volk einiges hätte anders machen können.
"Darf.. Darf ich dir etwas erzählen?", sagte Taimi schließlich, als die Goblinfrau fertig war - dabei ignorierte sie, dass sie von der Goblinfrau in eine Schublade mit den anderen Oberflächlern geteckt wurde. "Du bist doch ein kluges Köpfchen.", fing sie an und klopfte gegen ihre Stirn. "Nun, ich bin sicher, es gibt ein paar mehr davon in deinem Volk. Die gibt es überall.", sagte sie. "In meinem Volk war das kluge Köpfchen", sagte sie und deutete auf ihre Schläfe, und dann auf ihr Herz, "- und unser Herz, eine ganze Weile lang das Einzige, in dem wir den Menschen, die unser Land besetzten, überlegen waren.", begann sie die Geschichte Chantrasams. "Einst waren Elfen wie ich anders, wir waren Pflanzenelfen, und lebten im Einklang mit der Natur. Chantrasam war ein grünes, wunderschönes Land mit vielen Wäldern. Doch dann.. Dann kamen die Menschen auf großen hölzernen Pferden über das Wasser zu unserem Land. Sie sagten, dies sei jetzt ihr Land, und wir mussten uns den Menschen beugen. Sie waren uns in vielem Überlegen, doch wir hatten die Dryaden, magische Pflanzenwesen, unsere Heiligen. Wir hätten den Krieg gewonnen und doch..
Die Herrscherin der Menschen, die von überall her kamen, Ascilla, sie war eine mächtige Zauberin. Niemand von uns konnte die Kräfte dieser Menschenfrau einschätzen. Es war das allererste Mal, dass die Pflanzenelfen den Frieden begruben und sich auf einen Krieg vorbereiteten. Leider.. Leider kamen wir nicht dazu, den Krieg auszutragen. Nein, die Zauberin hatte zu viel Macht.. Sie tauchte unser Land in Schnee, ließ viele von uns Aussterben, darunter auch die Dryaden. Es war Hoffnungslos. Mit diesem Schlag wurden die Menschen plötzlich zu mehr als nur einer Übermacht.. Sie wurden unbesiegbar, mochte man meinen.", erzählte Taimi und machte es so kurz sie konnte. Ihre Hände ruhten auf ihrem Schoß. "Wir hatten keine Chance. Die Meisten von uns Starben, und aus dem Rest, aus dem Rest wurde dieshier.", brachte Taimi hervor und deutete auf sich selbst. "Die Eiselfen. Sie hatten keine Chance, und doch haben wir uns versammelt. Ja, zuerst zogen wir uns zurück.. Doch mit Liebe, Schweiß und Blut stellten wir ein Heer auf, bereiteten uns auf den Krieg vor, und trafen die Menschen immer wieder an schmerzenden Stellen. Wir gaben nicht auf, obwohl die Menschen uns sichtlich überlegen waren. Wir haben das genutzt, was wir hatten, auch wenn es wenig war. Wir nutzten unsere Stärken, denn jeder hat Stärken. Und bis heute, bis heute geben wir nicht auf, um wieder das zu werden, was wir einst waren: Friedliche Pflanzenelfen, denen Krieg kein Begriff mehr ist.", brachte Taimi die Geschichte zu einem Ende.
"Und jetzt sag mir nicht, dass es die Goblins es nicht schafften könnten, eines Tages Herz, Mut und Stärke zu beweisen, gegen die, die auf sie hinabspucken.", sagte Taimi. "Das Schicksal das man hat, sucht man sich immer ein Stücklein selbst aus. Du kannst dich ducken, wenn man mit Steinen nach dir wirft, aber du kannst sie auch fangen, und sie mit vollster Wucht zurückschleudern.", murmelte Taimi. Dann stand sie aus ihrem Schneidersitz auf, nickte Evan kurz zu, mit dem sie bisher nicht gesprochen hatte, und ging hinüber zu der Gruppe um Alexis, um zu erfahren, wieso Martax mit seinem mächtigen Schwert herumhantierte. "Was ist hier los?", warf sie also ein. Ihre Hände stützten sich in ihre Hüften und ihr aufmerksamer Blick musterte Martax, dessen Klinge kurz vor dem Geist hielt, dem Geist, den sie zwar grob wahrgenommen hatte, doch bisher nicht weiter beachtet hatte. "Reißt Euch am Riemen. Niemand in dieser Halle ist ein Feind, doch wenn Ihr diese Klinge jetzt benutzt, kann ich für Euer Wohl nicht garantieren.", keifte Taimi. "Ihr könnt Euch uns entweder anschließen und Euer Versprechen halten, oder Ihr geht jetzt auf der Stelle. Es gibt nur diese zwei Optionen. Unter Verbündeten wird kein Blut vergossen.", waren ihre letzten Worte. Sie wandte sich dennoch direkt wieder murmelnd ab, und steuerte auf den großen Tisch zu, an dem sie daraufhin Platz nahm. Yoko hatte sich längst in der Tasche der Eiselfe verkrümmelt, um dem Dämon nicht begegnen zu müssen.
Mit verschränkten Armen betrachtete Taimi das Treiben der Gruppe skeptisch, und wartete ab, wie es sich entwickelte.