Luke
Ehrbarer Bürger
Die Nadel
"Wo ist die Nadel?"
Soir zuckte aus Furcht vor einem weiteren Hieb zusammen. Ihre feinen Seidenkleider waren schmuddelig und ihre aufwändige, teure Schminke, die die Reize ihres vollkommenen Gesichts unter normalen Umständen noch gesteigert hatte, war verlaufen und verschmiert. Dies waren keine normalen Umstände und so gaben die traurigen Reste ihrer Gesichtsmalerei mithilfe des frisch dazugekommenen Schmutzes und einiger empfindlicher Blessuren ihr ein eher schäbiges Aussehen.
"Ich frage dich ein letztes Mal! Wo. Ist. Die. Nadel?!"
Wie konnte das nur sein? Sie hatte Balthasar mit eigenen Augen sterben sehen. Es war kein schöner, wenngleich umso eindeutigerer Anblick gewesen. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Sie hatte ihn immer für einen unprofessionellen und cholerischen Emporkömmling gehalten. Und irgendwie hatte er überlebt, auf irgendeine umgestaltete Art und Weise. Jetzt stand er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Fenster und blickte auf Port Milan die Lichter Port Milans herab.
Soirs Peinigerin kannte sie nicht. Sie war hübsch, besaß jedoch nicht Soirs eigene, erfahrene Anmut einer Frau, die ihre Reize geschickt auszunutzen wusste, um zu bekommen, was sie wollte. Ihre Haare waren kurz und strubbelig, der Haarschnitt eines Jungen, so fand Soir.
Verhängnisvollerweise war dieses fremde Individuum vollkommen resistent gegen ihre liebreizende Erscheinung. Wenn es doch nur wirklich ein junger Mann gewesen wäre. Den hätte sie um den Finger gewickelt. Es war wirklich ein Pechtag für Soir. Wie Balthasar sie gefunden hatte war ihr ebenso schleierhaft wie die Identität der Kleinen.
Während diese Gedanken durch ihren Kopf schossen vergingen nur wenige Sekunden und doch hatte dieses Zögern scheinbar zu lange gedauert. Das Mädchen holte aus und schlug mit dem Handrücken zu. Soir wurde von zwei kapuzenverhüllten Gestalten fest an beiden Armen gehalten, was ein Ausweichen unmöglich machte. Schon durchzuckte der Schmerz ihre linke Gesichtshälfte. Von ihrer Lippe tropfte Blut.
Achja, die Nadel. Dieses kleine goldene Ding. Soir hatte nie erfahren dürfen, worin ihr besonderer Wert lag, außer dass sie aus einer kostbaren goldroten Legierung gefertigt war. Der Maestro hatte sie gehütet wie einen Schatz.
"Ich weiß es nicht...!" Wimmernd erstarben ihre Worte.
Dann blickte sie trotzig in die grünen Augen des Mädchens.
"Ich weiß es wirklich nicht. Der Maestro hat sie wegbringen lassen. Ich sollte sie lediglich einem Kontaktmann übergeben. Ich traf ihn hier in Port Milan, er nahm sie an sich und verschwand! Ich kann euch wirklich nicht mehr sagen!"
Helena nickte und wischte sich das Blut vom Handrücken. An diesem Punkt waren sie bereits zweimal angekommen.
"Ich glaube, sie weiß wirklich nicht mehr, Meister. Wir sollten sie gehen lassen."
Balthasar drehte sich um und seine Augen, wie kalte Kerzenlichter, funkelten.
"Das befürchte ich auch", seufzte er, "aber 'gehen lassen'? Wo denkst du hin?"
Sein Körpermaß ließ ihn fast die Decke des Raumes, in dem Soir abgestiegen war streifen. Nun beugte er sich herab und packte Soir am Hals.
Balthasar fuhr fort: "Wir sollten Spiller suchen, vielleicht kann er uns mehr sagen. Was meinst du, schöne Soir?"
Die Angesprochene keuchte und versuchte sich den Griffen ihrer Häscher zu entwinden. Ihre Bemühungen waren erfolglos und schon bald begann sie, um Gnade zu winseln.
Zu Soirs Überraschung war es das Mädchen, das einschritt und der finsteren Kreatur, die Balthasar nun war eine Hand auf die Schulter legte.
"Lasst sie gehen, Meister. Sie wird uns ohnehin nichtmehr Schaden können. Nichtwahr?"
Bei letzterem sah sie der Gefangenen tief in die Augen, die wie ein besiegter Engel zerrupft und gepeinigt zurückstarrte.
"Nein, ich verspreche es. Bitte, ich werde euch nicht in die Quere kommen...!"
---
Haj'ett war Alexis durch die wirren Gassen gefolgt und hatte sich mit großem Interesse umgesehen. Städte faszinierten ihn über die Maßen und so bekam er die edle Geste des Magiers garnicht mit. Etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Ein Jugendlicher in schlichter Kleidung hatte am Straßenrand gestanden und gewichtig mit einem Papierbogen herumgewedelt. Der Echsenmann hatte erkennen können, dass der Junge noch weitere davon auf einem kleinen Wagen gestapelt hatte.
Kurz darauf war ein Passant herangetreten. "Was gibt es neues?", hatte der gefragt.
Der Junge hatte aufgehört das Papier wie eine Fahne zu schwenken und es dem Fremden gereicht. "Alles über die Invasion in Goddar! Große Neuigkeiten! Rakka und Port Milan vermelden Notstand!"
Jetzt saß Haj'ett an einem großen Steintisch und studierte die "branntheißen Neuigkeiten", wie der Junge Schreihals sie genannt hatte. Der Echsenmann laß Zeitung. Sie hatte nicht viel gekostet und da Dujol eine große, weltoffene Stadt war, gab es das Nachrichtenblatt sogar in verschiedenen Sprachen. Er wollte nicht unhöflich sein, doch sein Interesse und seine Neugier waren einfach zu groß. Auf dem Weg in den Tempel der Seraphen hatte er nicht lesen können, weil er sonst dauernd gestolpert wäre und am Ende noch die Elfe und den Magier verloren hätte. Erst einmal angekommen hatte er den Blick nicht von der riesigen Frau wenden können. Sie hatte ihm gefallen.
Immerhin war sie ungefähr genau so groß gewesen wie die weiblichen Vertreterinnen seiner eigenen Rasse.
Dummerweise gab die Zeitung nicht viel her. Dass Port Raven in Schutt und Asche lag, war ihm selbst nur allzu bewusst. Er wüsste sogar, wie er den Artikel noch umfangreich ergänzen könnte, doch fand er das mehr als unangemessen. Interessanter war, dass die Stadt Rakka, wo sie dem Schlangenkult einst einen empfindlichen Schlag versetzt hatten von einer unbekannten Macht nahezu vollständig vernichtet worden war. Scheinbar hatte es sich dabei nicht um Schattenwesen gehandelt, was naheliegend gewesen wäre. Ebenso war die Regierung von Port Milan gestürzt worden. Das waren verrückte Zeiten.
Ein Soldat kam vorbei und schenkte Wasser aus. Dankbar nahm Haj'ett einen großen Schluck und leckte sich die Lippen und Augen.
Kurz haderte er, doch mit Wasser wäre es sicher nicht getan. Schließlich zupfte er den Mann vorsichtig am Ärmel. Gerade überlegte er noch, wie er sein Anliegen in Worte fassen sollte, da knurrte sein Magen geräuschvoll, was ihm überaus peinlich war. Doch der Soldat hatte verstanden und meinte grinsend, dass er sehen würde, was sich machen ließe.
Schüchtern blickte Haj'ett in die Runde. Die hübsche junge, nicht unerheblich autoritäre Frau, die sich als Dot (oder Dorothy?) vorgestellt hatte schien den Vorfall wohlwollend zu ignorieren und blickte ihre Gäste erwartungsvoll an. Stimmt, sie hatte nach Port Raven gefragt.
Eigentlich wollte Haj'ett vor allem jetzt nicht derjenige sein, der den Mund aufmachte und so beschloss er abzuwarten, ob die anderen beiden etwas zu sagen hatten.
"Wo ist die Nadel?"
Soir zuckte aus Furcht vor einem weiteren Hieb zusammen. Ihre feinen Seidenkleider waren schmuddelig und ihre aufwändige, teure Schminke, die die Reize ihres vollkommenen Gesichts unter normalen Umständen noch gesteigert hatte, war verlaufen und verschmiert. Dies waren keine normalen Umstände und so gaben die traurigen Reste ihrer Gesichtsmalerei mithilfe des frisch dazugekommenen Schmutzes und einiger empfindlicher Blessuren ihr ein eher schäbiges Aussehen.
"Ich frage dich ein letztes Mal! Wo. Ist. Die. Nadel?!"
Wie konnte das nur sein? Sie hatte Balthasar mit eigenen Augen sterben sehen. Es war kein schöner, wenngleich umso eindeutigerer Anblick gewesen. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Sie hatte ihn immer für einen unprofessionellen und cholerischen Emporkömmling gehalten. Und irgendwie hatte er überlebt, auf irgendeine umgestaltete Art und Weise. Jetzt stand er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Fenster und blickte auf Port Milan die Lichter Port Milans herab.
Soirs Peinigerin kannte sie nicht. Sie war hübsch, besaß jedoch nicht Soirs eigene, erfahrene Anmut einer Frau, die ihre Reize geschickt auszunutzen wusste, um zu bekommen, was sie wollte. Ihre Haare waren kurz und strubbelig, der Haarschnitt eines Jungen, so fand Soir.
Verhängnisvollerweise war dieses fremde Individuum vollkommen resistent gegen ihre liebreizende Erscheinung. Wenn es doch nur wirklich ein junger Mann gewesen wäre. Den hätte sie um den Finger gewickelt. Es war wirklich ein Pechtag für Soir. Wie Balthasar sie gefunden hatte war ihr ebenso schleierhaft wie die Identität der Kleinen.
Während diese Gedanken durch ihren Kopf schossen vergingen nur wenige Sekunden und doch hatte dieses Zögern scheinbar zu lange gedauert. Das Mädchen holte aus und schlug mit dem Handrücken zu. Soir wurde von zwei kapuzenverhüllten Gestalten fest an beiden Armen gehalten, was ein Ausweichen unmöglich machte. Schon durchzuckte der Schmerz ihre linke Gesichtshälfte. Von ihrer Lippe tropfte Blut.
Achja, die Nadel. Dieses kleine goldene Ding. Soir hatte nie erfahren dürfen, worin ihr besonderer Wert lag, außer dass sie aus einer kostbaren goldroten Legierung gefertigt war. Der Maestro hatte sie gehütet wie einen Schatz.
"Ich weiß es nicht...!" Wimmernd erstarben ihre Worte.
Dann blickte sie trotzig in die grünen Augen des Mädchens.
"Ich weiß es wirklich nicht. Der Maestro hat sie wegbringen lassen. Ich sollte sie lediglich einem Kontaktmann übergeben. Ich traf ihn hier in Port Milan, er nahm sie an sich und verschwand! Ich kann euch wirklich nicht mehr sagen!"
Helena nickte und wischte sich das Blut vom Handrücken. An diesem Punkt waren sie bereits zweimal angekommen.
"Ich glaube, sie weiß wirklich nicht mehr, Meister. Wir sollten sie gehen lassen."
Balthasar drehte sich um und seine Augen, wie kalte Kerzenlichter, funkelten.
"Das befürchte ich auch", seufzte er, "aber 'gehen lassen'? Wo denkst du hin?"
Sein Körpermaß ließ ihn fast die Decke des Raumes, in dem Soir abgestiegen war streifen. Nun beugte er sich herab und packte Soir am Hals.
Balthasar fuhr fort: "Wir sollten Spiller suchen, vielleicht kann er uns mehr sagen. Was meinst du, schöne Soir?"
Die Angesprochene keuchte und versuchte sich den Griffen ihrer Häscher zu entwinden. Ihre Bemühungen waren erfolglos und schon bald begann sie, um Gnade zu winseln.
Zu Soirs Überraschung war es das Mädchen, das einschritt und der finsteren Kreatur, die Balthasar nun war eine Hand auf die Schulter legte.
"Lasst sie gehen, Meister. Sie wird uns ohnehin nichtmehr Schaden können. Nichtwahr?"
Bei letzterem sah sie der Gefangenen tief in die Augen, die wie ein besiegter Engel zerrupft und gepeinigt zurückstarrte.
"Nein, ich verspreche es. Bitte, ich werde euch nicht in die Quere kommen...!"
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Haj'ett war Alexis durch die wirren Gassen gefolgt und hatte sich mit großem Interesse umgesehen. Städte faszinierten ihn über die Maßen und so bekam er die edle Geste des Magiers garnicht mit. Etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Ein Jugendlicher in schlichter Kleidung hatte am Straßenrand gestanden und gewichtig mit einem Papierbogen herumgewedelt. Der Echsenmann hatte erkennen können, dass der Junge noch weitere davon auf einem kleinen Wagen gestapelt hatte.
Kurz darauf war ein Passant herangetreten. "Was gibt es neues?", hatte der gefragt.
Der Junge hatte aufgehört das Papier wie eine Fahne zu schwenken und es dem Fremden gereicht. "Alles über die Invasion in Goddar! Große Neuigkeiten! Rakka und Port Milan vermelden Notstand!"
Jetzt saß Haj'ett an einem großen Steintisch und studierte die "branntheißen Neuigkeiten", wie der Junge Schreihals sie genannt hatte. Der Echsenmann laß Zeitung. Sie hatte nicht viel gekostet und da Dujol eine große, weltoffene Stadt war, gab es das Nachrichtenblatt sogar in verschiedenen Sprachen. Er wollte nicht unhöflich sein, doch sein Interesse und seine Neugier waren einfach zu groß. Auf dem Weg in den Tempel der Seraphen hatte er nicht lesen können, weil er sonst dauernd gestolpert wäre und am Ende noch die Elfe und den Magier verloren hätte. Erst einmal angekommen hatte er den Blick nicht von der riesigen Frau wenden können. Sie hatte ihm gefallen.
Immerhin war sie ungefähr genau so groß gewesen wie die weiblichen Vertreterinnen seiner eigenen Rasse.
Dummerweise gab die Zeitung nicht viel her. Dass Port Raven in Schutt und Asche lag, war ihm selbst nur allzu bewusst. Er wüsste sogar, wie er den Artikel noch umfangreich ergänzen könnte, doch fand er das mehr als unangemessen. Interessanter war, dass die Stadt Rakka, wo sie dem Schlangenkult einst einen empfindlichen Schlag versetzt hatten von einer unbekannten Macht nahezu vollständig vernichtet worden war. Scheinbar hatte es sich dabei nicht um Schattenwesen gehandelt, was naheliegend gewesen wäre. Ebenso war die Regierung von Port Milan gestürzt worden. Das waren verrückte Zeiten.
Ein Soldat kam vorbei und schenkte Wasser aus. Dankbar nahm Haj'ett einen großen Schluck und leckte sich die Lippen und Augen.
Kurz haderte er, doch mit Wasser wäre es sicher nicht getan. Schließlich zupfte er den Mann vorsichtig am Ärmel. Gerade überlegte er noch, wie er sein Anliegen in Worte fassen sollte, da knurrte sein Magen geräuschvoll, was ihm überaus peinlich war. Doch der Soldat hatte verstanden und meinte grinsend, dass er sehen würde, was sich machen ließe.
Schüchtern blickte Haj'ett in die Runde. Die hübsche junge, nicht unerheblich autoritäre Frau, die sich als Dot (oder Dorothy?) vorgestellt hatte schien den Vorfall wohlwollend zu ignorieren und blickte ihre Gäste erwartungsvoll an. Stimmt, sie hatte nach Port Raven gefragt.
Eigentlich wollte Haj'ett vor allem jetzt nicht derjenige sein, der den Mund aufmachte und so beschloss er abzuwarten, ob die anderen beiden etwas zu sagen hatten.