Für einen Moment verschwand Sextana's Geist in einer anderen Zeit, in Bildern der Erinnerung. Sie konnte gerade schwören, dass die Schreie der Vergangenheit wirklich zu hören waren, und nicht nur Einbildung, da sprach jemand sie an. Als sie ihren Kopf hob und eine Hand erblickte, die auf sie zeigte, kniff Sextana ernst die Augen zusammen. Wenn Blicke hätten töten können, so hätte sich der Mann wahrscheinlich in eine einzige Blutlawine verwandelt.
Was dachte sich dieser Fremde dabei, über sie zu richten? Es war besser, dass der Mann sich so schnell wieder von ihr abwandte, denn wahrscheinlich hätte eine Auseinandersetzung mit diesem Fremden dazu geführt, dass ihn angesammelter und bisher kleingehaltener, unbändiger Zorn getroffen hätte.
"Hüte dich, mir sagen zu wollen, was ich nicht werden soll, heuchelnder Abschaum, wenn du nicht einmal weißt, was ich längst bin.", murmelte sie und versuchte sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Er gehörte zu diesem widerwärtigen Etwas das die Leichen selbst nach dem Tode noch zerfetzte, sich an ihnen labte, und wollte ihr sagen, dass sie ihre Menschlichkeit bewahren sollte? Menschlichkeit, oder meinte er Schwäche? Die Magierin gab sich wenigstens Mühe, auf ihre Art stark zu sein. Weder war sie ein Krieger, der jedem schnell das Lichtlein auspusten konnte, noch hatte sie eine andere Methode, auf die sie schnell töten konnte. Nachdenklich lauschte Sextana nur halb den Worten der Elfe. Wenn sich Sextana nur mit ihrer Magie schützen konnte, nur mit Magie stark sein konnte, so nahm sie in Kauf, dass Barmherzigkeit darunter litt - außerdem schenkte sie den Opfern die Anmut des Flammentodes, Kunst, mit der man den Tod eines Menschen nur noch schwer vergessen konnte, und die sie selten jemandem auf diese Weise geschenkt hatte. Also war sie lieber wehrhaft, als naiv und selbst tot. Die Rothaarige hatte schon viel schlimmere Dinge unbeabsichtigt getan, mit viel unschuldigeren Menschen, Dinge für die es sich wirklich lohnte Scham zu empfinden, war da also überhaupt noch genug Menschlichkeit, um sie im Kampf gegen Unholde zu verlieren?
Langsam stand Sextana wieder mit wackeligen Beinen auf. Ihr Kopf dröhnte noch ziemlich vom Sturz, doch wie sie sah, war es ihr wohl besser ergangen als manch anderen der Gruppe. Die Magierin erkannte, dass der Kampf zum Ende gekommen war. Der Rotschopf sah sich um und blickte dem Heiler bei seiner Arbeit zu. Dabei entging auch ihr nicht, dass einer von ihnen tatsächlich einen der Angreifer behandelte. Und mir Belehrungen an den Kopf werfen. Langsam vertrieb Sextana ihre düsteren Gedanken und drehte sich zur Elfe um.
"Ver-.., Verzeihung!", sagte Sextana als sie Lea ins Gesicht blickte. "Ehrlich gesagt habe ich nur halb zugehört.", gestand sie.
"Er.. Er wollte sich an dir vergehen?", fragte sie jetzt ungläubig nach.Er hätte viel, viel länger gelitten, wenn ich das gewusst hätte. Und jeder, der ihn erlösen wollte, hätte es bitter bereut. Der Rotschopf schüttelte den Kopf, zog so viel Rotze wie möglich zusammen und ging hinüber zur Leiche, um sie zur Seite zu treten, sodass das Gesicht des Banditen nach oben zeigte. Sextana spuckte beherzt die volle Ladung in das Gesicht dieses Abschaums. "Es ist mir ganz recht, dass du nicht schneller gehandelt hast. Ich habe die Wahl gelassen, ihn schnell zu töten oder leiden zu lassen. Ganz egal, wer ihn jetzt eben erlöst hat, ich hätte es nicht getan. Und wenn mir dafür eine Witzfigur Belehrungen über Menschlichkeit halten möchte, ist das nicht deine Schuld.", erklärte Sextana. Mit dem Tode des Mannes und ihrer letzten Geste der Verachtung war diese Auseinandersetzung vorüber. Der Rotschopf wandte sich Haj'ett zu, im Wissen, dass sie eine Unterhaltung mit ihm besänftigen könnte. "Ist ja alles ganz schön schnell passiert..", sagte sie etwas unbeholfen. Sie war nicht gut darin, nett zu sein. "Naja, ich will mich bei dir bedanken. Du hast wirklich geistesgegenwärtig gehandelt!", sprach sie weiter. Als sie realisierte, wie sie aussehen musste, mit dem Gesicht und Dekolleté voll fremdem Blut, lächelte sie verlegen. Zum Glück verdeckte es jedoch auch, dass die Magierin rot anlief. "Wer weiß schon, wie schnell ich gestorben wäre. Und du hast mich nicht nur vor dem Banditen bewahrt.. Sondern, wie sage ich es am Besten.. Auch vor mir selbst.", versuchte Sextana zu erklären. Wie sollte sie das auch erklären? Er konnte unmöglich wissen, was sie meinte. "Ich neige manchmal einfach dazu, mich zu vergessen.", sagte sie, ohne weiter erklären zu wollen, was sie damit meinte. Ihr Blick schweifte danach kurz durch die Gegend, und blieb an dem Dämon hängen, der, als wäre es nichts, gerade das Leben des versorgten Banditen beendete. Nun, der Bandit hatte scheinbar nicht mehr vor gehabt, jemanden der Gruppe anzugreifen, doch Sextana konnte verstehen, wieso der Dämon diesen Akt vollbracht hatte. Erst kämpften sie sich durch die Angreifer, dann kam einfach einer der Wüstenmänner und machte das zunichte, was sie erschaffen hatten, wofür der Dämon Blut vergoß. Selbst Sextana hatte die Flammen ihres Schutzzaubers zum Morden benutzt, etwas, zu dem sie bisher selten gegriffen hatte. Doch es hatte außergewöhnlich gut geklappt.
Jetzt blickte sie dem Dämon nach. Er hatte wirklich viel Blut vergossen, nicht nur das der Feinde und dem Blicke nach zu urteilen, den der Heiler ihm hinterherwarf, konnte er sich jetzt nicht auf dessen Heilkräfte verlassen. Wahrscheinlich wollte er das auch nicht. Gewiss wollte er das nicht.
Der Rotschopf war sich nicht ganz sicher, ob sie hinüber zum Dämon gehen wollte, um ihm ihre Dienste als Heilerin anzubieten. Aber er sah doch ganz schön mitgenommen aus und jetzt gerade war er allein, eine Möglichkeit, um in Ruhe mit ihm zu reden. Schwer schluckend wandte sich Sextana Haj'ett zu. "Ich hoffe, wir finden auf der Reise noch ein paar Male die Gelegenheit, uns etwas zu unterhalten.", sagte sie lächelnd. Gerne wäre sie einfach stehen geblieben, doch jetzt gab es Wichtigeres. Mit einer Mischung aus Widerwille und Angst ging die Magierin hinüber zu Martax und überlegte, ob sie nicht besser erst einmal nachsah, ob Karma noch auf der Stute saß. Doch erkannte Sextana diese Überlegung nur als Vorwand, um sich nicht mit dem Hünen auseinandersetzen zu müssen.
Bei Martax angekommen fragte sie sich, was sie zu ihm sagen sollte. Sie wusste schon nie, was sie zu anderen Leuten sagen sollte, aber.. Zu einem Dämon wie ihm?
"Die Banditen sind übel zugerichtet, aber das kann man auch von dir behaupten.", sagte sie schließlich und nahm auf dem Boden neben Martax Platz. Sie spürte seine gewaltige Aura, er hatte wirklich etwas Kraftvolles in sich, nicht nur körperlich. "Du bist von unermesslichem Wert für die Gruppe. Wir können uns glücklich schätzen, solch eine Kampfkraft an unserer Seite zu wissen.", sprach Sextana mit ruhiger Stimme, "Aber jetzt bist du verletzt und ich will mich revanchieren. Darf.. Darf ich dich heilen?"
Eine Heilung bei dem roten Hünen würde nicht so umständlich werden, weil er bei vollem Bewusstsein war, doch bestimmt würde sie Sextana viel ihrer übrig gebliebenen Kraft kosten. Das war es allerdings wert, wie sie fand, denn Martax hatte sie alle beschützt und konnte bei folgenden Kämpfen definitiv wieder hilfreicher sein, als Sextana mit ihrer verbliebenen Kraft. "Du musst es wirklich wollen, dann dauert es nur einige Sekunden.", bat sie. Hoffentlich würde der Hüne nicht beleidigt reagieren, oder wütend, stolz, oder überhaupt negativ, weil Sextana ihm Hilfe anbat. Die Magierin konnte sich problemlos eingestehen, dass der Dämon ihr imponierte und sie nicht vor hatte, ihn zu reizen. Verunsichert startete die rothaarige Magierin den Versuch, dem Dämon in die Augen zu schauen.