Varim war überrascht, das sich jetzt wirklich jemand für seine Vergangenheit interessierte, versuchte aber, es nicht zu zeigen. Es gefiel ihm irgendwie, mal mit jemandem über seine Vergangenheit zu reden, es hatte für hin etwas erleichterndes, auch wenn er sich nicht sicher war, ob das Interesse ehrlich war.
Er entschied sich, ehrlich und detailliert darauf zu antworten:
"Bevor das alles passiert ist...ich kann nicht sagen, dass es eine friedliche Idylle war. Immerhin war es eine Hexerakademie. Die Kinder wurden schon von Anfang an dazu erzogen, böse und machtgierig, und nur ihren Meistern loyal zu sein.
Sie sollten lernen, dass unser Hexergeschlecht über allem anderen stehe, sich niemand uns entgegenstellen dürfe und andere Gefühle als Hass, Rachsucht und Habgier unseren Feinden gegenüber - fast alle sind Feinde - nicht angebracht seien. Dementsprechend war die Atmosphäre der gesamten Stadt...die hohen, spitz zu laufenden Türme der Akademie und ein Großteil des Stadtzentrums bestandt, oder besteht immernoch, wer weiß ob er alles niedergerissen hat, hauptsächlich aus Obsidian. Der Rest der Stadt war zumindest Schwarz und Rot gefärbt. Das Farbschema enthiehlt jedenfalls keine einzige helle, freundliche Farbe. In dieser Umgebung konnte man sich den Persönlichkeitsvorgaben der Autoritäten, den sieben großen Hexenmeistern, kaum entziehen.
Mein Vater war einer dieser sieben, mein Großvater der "größte" von allen, zumindest in Wissen und magischen Kapazitäten gesehen...und natürlich mein Großonkel, Sorgriel al Fathir der Dritte...oder Vierte? Keine Ahnung, diese Titel kotzen mich an...ich habe ihn schon gehasst, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Er ist genauso verachtenswert wie sein Name grässlich klingt. Insgesamt bestanden die sieben Großen nur aus arroganten, machtgeilen, häßlichen, verachtenswerten und durch Magie leider fast nicht mehr durch das Alter totzukriegenden Fettsäcken!".
Varims Augen, seine Mimik und wie er seine Hände zu Fäusten ballte, alles an ihm schien zu schreien: "Oh, wie habe ich sie gehasst!!!", so dass es überflüssig wurde, es tatsächlich zu sagen.
Dann entspannte er sich wieder. "Der einzige der anders war, war mein Vater. Nicht nur, dass er weder fett noch durch Macht verdorben war, er stellte sich auch gegen viele Regeln und Beschlüsse. Zum Beispiel die penetrante Frauenfeindlichkeit. Neugeborene Mädchen wurden sehr oft sofort umgebracht, da grundsätzlich nur Jungen zu Hexern ausgebildet wurden. Frauen und Mädchen, wenn sie nicht gerade zu einem der adligen Geschlechter gehörten, wurden in eigenen Vierteln getrennt von den Männern untergebracht. Wenn ein Hexer viel geleistet, d. h. viele Dörfer niedergebrannt oder einen Krieg gewonnen hat, durfte er sich eine Frau oder auch mehrere aussuchen, sich mehr oder weniger zur Ruhe setzen und für eine nächste Generation sorgen. Mein Vater war gegen die ganze Sache, weil er meinte, dass wir so irgendwann noch aussterben würden. Obwohl er als zweiter Vertreter des Gründergeschlechts viel zu sagen hatte, könnte er nur wenig bewegen, da mein Großvater, der sich an alte Traditionen klammerte, prinzipiell dagegen war. Die Hexenmeister übrigens hatten je einen ganzen Harem voll Frauen, mit denen sie machen durften, was sie wollten...und die Obsidiantürme sind nicht schalldicht......"
Varim konnte sich denken, dass Nyon nicht wirklich mehr von diesem Thema hören wollte, wohl aus diesem Grund stellte sie eine andere Frage in den Raum:
"Und wie steht es mit euren Geschwistern? Ihr erzähltet bereits von einem großen Bruder und zwei kleinen...". Die Hand schnellte vor ihren Mund. Sie hatte nicht recht nachgedacht, was sie sagte. Die Worte waren jedoch schon ausgesprochen. "Schwestern. Ja. Die Zwillinge waren erst 10, aber man konnte schon erahnen, wie schön sie später werden würden. Sie wurden wie mein Bruder und ich mit viel weniger Hass und Disziplin aufgezogen als üblich. Ich glaube, sie waren die einzigen wirklich glücklichen Kinder in der ganzen Stadt..." Er machte eine längere Pause, sein Blick wirkte nun glasig und entrückt. "Ich habe ihre Leichen gesehen."
Schnell lenkte Nyon das Gespräch auf ein weniger gefährliches Thema: "Und...was gab man euch so zu essen?" Diese triviale Frage holte Varim wieder in das Hier und Jetzt zurück. "Nun, äh, ...eine große Auswahl gab es nicht. Brot, Wasser, Rindfleisch, etwas Fisch, ein wenig Grünzeug, und eine dunkelgüne Pampe die wir "Squast" genannt haben, fragt mich nicht, wie wir darauf gekommen sind. Da waren die meisten Nährstoffe drin, die noch gefehlt haben. Wir strichen es aufs Brot. Es schmeckte gräßlich.
Man konnte sich niemals daran gewöhnen." Er seufzte. "Insgesamt bin ich eigentlich sogar froh, da raus zu sein. Jetzt muss ich 'nur noch' Sorgriel und dieses verfluchte Ding loswerden, dann muss ich mir um fast nichts mehr Sorgen machen." Er warf sich mit einer ruckartigen Kopfdrehung die Haare aus dem Gesicht und sah Nyon mit beiden Augen eindringlich an.
"Ich habe euch das meiste über mich erzählt. Aber was ist mit euch? Warum seid ihr auf Reisen? Woher kommt ihr ursprünglich?"