Fassen wir zusammen:
Jedermann tat geistesgestört...
Nein, jedermann tat wahnsinnig interessante Sachen - so hieß es richtig - und war auch ansonsten in jeder Hinsicht interessant. Das jedermann wahnsinnig interessante Sachen tat, wäre normalerweise bereits an sich nicht nur wahnsinnig, sondern eben auch gut gewesen. Das ganze Spektakel hatte jedoch einen wahnsinnig frustrierenden Nachteil. So frustrierend, dass Asterinian neben Eleasar zitterte und Geräusche machte, die als Zeichen äußerster Frustration zu werten waren. Aber, was war denn nun der wahnsinnig frustrierende Nachteil?
Ganz einfach.
Es gab zu viele Jedermanns, die wahnsinnig interessante Sachen taten, und es gab nur einen Asterinian, der die wahns... Sachen beobachten konnte. Die Konsequenz, die logische, die frustrierende - der Nachteil hatte ihr etwas von seiner Frustration, die er Asterinian bereitete, abgegeben - war, dass er sich auch nur mit einer wahnsinnig interessanten Sache befassen konnte, während alle anderen seiner Aufmerksamkeit entgingen und die daraus zu gewinnenden Erfahrungen somit unwiederbringlich verloren waren. Er konnte auch ständig zwischen zwei Sachen wechseln und mal die eine, mal die andere beobachten, aber das hätte Wissenslücken hinterlassen und ohnehin doch reichlich seltsam gewirkt, wenn es ihm auch nichts ausgemacht hätte, reichlich seltsam zu wirken (das war ein Nebeneffekt, wenn man Dinge tat, die seltsam wirkten. Man wirkte dann ebenfalls seltsam).
Er hatte ja schon entschieden, den Zwerg verhören zu wollen, aber der war anderweitig beschäftigt. Gespräche durfte man ja nicht stören, wie er von Sperber gelernt hatte. Ach, das mit den guten Manieren war doch gänzlich uninteressant und keinerlei Aufmerksamkeit wert! Nur würde es ihn auch nicht näher an seine Antworten bringen, wenn er jetzt zwischen Thorgrimm und Leonar trat, denn er rechnete mit einer negativen Reaktion des Zwergs - wütend, empört, diese Worte kommen ihm in den Sinn. Gut, bei einer negativen Reaktion gab es auch Antworten, aber nicht die gewünschten, was natürlich äußerst bedauerlich war. Somit fielen Idrils Rede und die Bedeutung des Begriffs "Glaube" erneut aus. Hoffentlich kam das jetzt nicht in Mode, ihn davon fernzuhalten, seine Neugier in dieser Hinsicht zu befriedigen.
Shara und Sperber knüpften inzwischen irgendeine äußerst komplizierte Beziehung an, eine von der Sorte, wo ein sterbliches Männchen sich der Herrschaft eines Weibchens unterwarf und zum Ausgleich mit anderen Weibchen gewisse Freuden erfuhr, während das Herrscherweibchen vorgab, nichts davon zu wissen. Halt, die Beziehung schien sogar noch komplizierter und implizierte eine Gleichstellung der beteiligten Geschlechter. Sogar Emotionen spielten darin eine Rolle, aber welche?
Moment. Äh, wie hieß die noch? Zuneigung? Asterinian schien es, als beobachte er hier eine verstärkte Form der Zuneigung. Ja, genau. Eine sehr intensive Bindung formte sich. Doch was war das? Shara schien im letzten Moment abzuwehren und verweigerte Sperber den Besitz ihrer Gefühle. Und dann war das etwas mit Verzeihung. Hm. Anscheinend kam es dabei leicht zu emotionalen Schäden, die unbeabsichtigt verursacht werden konnten. Irgendwoher kannte er das doch...
Ehe und Familie...
Genau, die gründeten doch darauf! Aber diese Dinge erreichten selten die Stufe von Sharas und Sperbers knapp gescheiterter Bindung und zerbrachen obendrein sehr leicht. Aber mehr konnte Asterinian dazu nicht sagen. Er wusste zu wenig und den Großteil seiner Gedankengänge, die er gerade verfolgt hatte, waren durch ihn selbst in diesem Moment erschlossen worden und nichts, was er in den kurzen zwei Jahren seiner Existenz gelernt hatte.
Die Interaktion zwischen dem Paladin und der Magierin schien daraufhin an Intensität zu verlieren. Was war inzwischen denn bei den anderen geschehen?
Idril sprach mit Ryan, Thorgrimm noch immer mit Leonar, Zohani wurde gnadenlos von Shara ignoriert, warum auch immer, Milianra lehnte an Nuramon und war wohl in Gedanken, auch die Elfe, die sich Larale nannte, erfuhr von Shara eine unbarmherzige Abfuhr, oder war zumindest in Vergessenheit geraten, die Halbdryade belästigte den Balanmae mit Nichtigkeiten, Arec war auch mit dem Schattenmagier beschäftigt, Taiyo war... irgendwohin... verschwunden und Eleasar unterhielt sich mit dem anderen Lich, diesem Taros, in einer Asterinian unbekannten Sprache. Sicher ging es um, man konnte es sich fast denken...
... wahnsinnig interessante Sachen! Da hatte er Shara und Sperber zugesehen und wer konnte schon sagen, was in der Zwischenzeit alles geschehen war! Was er alles erfahren hätte, wäre er nicht von den Händeln des Paladins und der Magierin so fasziniert gewesen. Da zog die Welt an ihm vorüber, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen! Einfach zuviel! "Verdammt nochmal!", rief er. Das brachte ihm nicht die Aufmerksamkeit aller Anwesenden ein.
Aber das, was er danach tat.
Er war wirklich wütend. So wütend, wie es ein Sterblicher, ein Mensch vollbracht hätte. Und er musste diese Wut irgendwohin ableiten, zum Beispiel...
... in eine Felswand! Praktischerweise war gerade eine in der Nähe und in einem spontanen, von leidenschaftlichem Zorn verursachten Ausbrach magischer Energie entsprang ein hauchdünner Strahl schwachen orangen Lichts seinen Handflächen.
Nun hatte Asterinian mit seinen Fertigkeiten bereits bewiesen, dass es nicht auf die Größe ankam und auch dieser Strahl gab ihm recht. Nachdem der Rauch sich gelichtet hatte, wurde erkennbar, dass die Anomalie ganz nebenbei einen Tunnel von mehreren Metern Länge in die Wand geschmolzen hatte. Nein, nicht geschmolzen. Das Gestein war förmlich verdampft.
Alles starrte ihn an. Er starrte nicht zurück.
Nicht zu Allem. Nur zu einer Person. Aber welcher? Sein Finger deutete wieder anklagend auf Thorgrimm. Dann schüttelte er den Kopf. Drohend glitt der Fingerzeig über die Gefährten und suchte...
... und suchte...
... und suchte.
Er fand Ryan. "Ihr!", stieß er hervor, als hätte der Mann Asterinians Mutter gefoltert, beraubt, erschlagen, angezündet und vergewaltigt, ungefähr in dieser Reihenfolge. Nur dass Asterinian keine Mutter hatte und das Ganze somit unmöglich war, weshalb der Tonfall einen anderen Hintergrund haben musste. Die Anomalie stürmte auf ihr Opfer zu und jetzt klang ihre Stimme zuckersüß und unecht: "Ihr werdet mir sicher gerne die Fragen beantworten, bei denen ihr letztes Mal einfach weggeritten seid, ja?" "Äh..." "Wenn ihr nicht wollt, finde ich schon einen Weg, ein paar Antworten aus euch rauszuholen, auf die eine oder andere Weise. Schließlich kann ich alle Schäden, die dabei entstehen, wieder heilen." Immer noch zuckersüß und unecht. "War das nicht eine herrlich spontane Aktion von mir?" "Äh... Einigermaßen. Ich war schon... Na ja, etwas überrascht..." "Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen, wenn ich dadurch gewalttätiger werde. Wisst ihr was? Das nächste lebende Wesen, das uns auf unseren Reisen begegnet, werde ich ohne Umschweife umbringen!" Die Fragen, wo blieben sie?
"Also, was haltet ihr von Idrils Rede, vom Zusammenhalt unter den Gefährten und was ist denn nun der Glaube?" Die Rede, die ihn ganz besonders brennend interessierte, lag zeitlich nun schon etwas zurück, aber für ihn spielte das keine Rolle. Schließlich fand er sich selbst gerade äußerst fantastisch und menschlich.