Der mächtige schwarze Drache hinterließ tiefe Fußspuren im eisigen Schnee.
"Ach, sieh mal einer an...", murmelte er, als er den halb mit Schnee bedeckten Elfenkörper vor sich liegen sah und ihn zu sich herumdrehte. Er hatte ihre schwache Signatur bis hierher verfolgt, und aufgespürt. Hier, in Mitten vom Nichts der eisigen Bergwelt. Thanatos lauerte bis dato noch in einiger Entfernung zu der Höhle der Gefährten, wo er die für ihn begehrenswerte Elfe eigentlich vermutet hatte und folgte dann diesem Mysterium. Sie würde erfrieren, und doch war sie irgendwie anders. War ihm ähnlicher als sonst. Das spürte er. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Körper weich und beweglich. Eisigkalt. Thanatos bettete sie auf einen seiner Flügel und hauchte ihr schützende Wärme entgegen, der andere Flügel bot genügend Windschutz. Immer wieder stubste er sie mit seinem Kopf an, um zu prüfen, ob sie reagieren würde. Eine ganze Zeitlang wiederholte er dieses Schauspiel. Atem, Stubser, warten.
Doch nichts regte sich. Sie bewegte sich nicht.
Idril war wieder angekommen. Wieder in der Welt der Sterblichen. In ihrer Welt der Sterblichen, die sie gezwungen worden war, zu verlassen. Sie hatte wieder ihre alte bekannte Kleidung an, war in ihren Mantel eingewickelt im Schnee zum Erfrieren zurückgelassen worden, so als ob nichts gewesen wäre. Und es war nichts gewesen. Zumindest äußerlich. In Idril sah es jedoch ganz anders aus.
Leere im Nichts, nicht Schwarz nicht Weiß. Eine graue Wüste ohne Sand. Die man nirgends findet - noch nicht einmal in den tiefsten Tiefen des Geistes - wenn er denn noch existiert.
Es war nicht abzusehen, was Freude für einen Schaden angerichtet hatte und es würde sich auch vorerst nicht zeigen. Ihr Atem wich unaufhaltsam, leise aus ihrem Körper. Stoppte, wich erneut. Es war merkwürdig, so, als würde ihre letzte, wirklich allerletzte, Reserve sich gegen etwas wehren. Doch was. Was wollte sie finden. Nicht gehen lassen, in den Horizont. Idril war eisigkalt, sie spürte ihren Körper schon lange nicht mehr und vernahm nichts in dem Grau. Was konnte sie jetzt noch tun, ihr Wissen über Drachen, war aus ihr herausgepresst, wie aus einer Orange, ihr Körper gemartert wie auf einem Folterrad. Knochen geborsten und wieder verheilt, ihre Wunden blutend und überkrustet. Es war ein verheerender Zustand, körperlich sowie geistig. Geistig… geistig.
Idril zwang ich zu schlucken, wollte spüren, irgendetwas, auch wenn es nur Schmerz war. Ein Funke, winzig klein, ein Hauch, ihres Atems, ein Gedanke. Egal, irgendetwas musste doch noch in ihr sein. Etwas, was nur ihr gehörte und dennoch vor Freude verborgen geblieben war. Ungewollt stahl sich eine Träne in ihre Augen doch rollte nicht, sondern nahm ihr nur die Sicht. Sicht? Sicht worauf, wohin… war doch alles Grau. Träumte sie etwa? Ihr trockener Hals strafte sie gleich dafür, dass sie spüren wollte. Ein Brennen machte sich breit und der nächste Atemzug tat weh – meinte sie. Denn äußerlich passierte… nichts. Also fühlte sie etwas und fühlte doch nichts. Doch da drang ein Rauschen an ihr Ohr. Wind. Nein, es war etwas anderes – zwischen dem Wind. Idril hatte etwas gehört, war es eine Stimme? "IDRIL!" Wie? Was? Es war ihr Name. Doch woher kam er. In dem Grau war nichts zu erkennen, eine wabernde Wand vor ihr, hinter ihr um sie herum. Unter ihr, über ihr. Sie brauchte es nicht zu sehen, denn sie konnte sie fühlen. Eingeschlossen in Gel. Dem Erstickungstod geweiht und unbeweglich festgesetzt, so fühlte es sich an. "IDRIL!" Wieder diese Stimme. Was? Woher? Ihr Geist, er wollte ihr ein Schnippchen schlagen, bestimmt. War es Freude, der sie rief? Mit Sicherheit – so dachte sie. Doch sie hatte noch nicht einmal mehr Angst. "IDRIL!" Sie fühlte etwas. Was? Eine Präsenz. Präsenz hier? Im Gel, im grauen Gel? Wo? Sie zog sich zusammen, schnürte sie, zerquetschte sie – wollte es zumindest. Idril schloss die Augen, imaginär. >Vorbei… es ist vorbei…< "IDRIL!" „Môarié mâ mémmôrté…“, flüsterte sie – imaginär- in die Leere. >Alles beginnt erneut…<
Es reichte schon. Reichte um sich zu orientieren. Für ihn. Die Worte waberten durch die Stille, verzerrten, fügten sich und waberten weiter. Zu ihm. Die Richtung, er konnte die Richtung sehen aus der sie kamen.
Sie glaubte… Alles was ihr blieb war ihr Glaube. Etwas Unerreichbares, was selbst für Anomalien nicht nachvollziehbar war. Sie hatte es gefunden, durch denjenigen, der ihren Namen rief. ‚Idril’ Denn das war ihr Name. Ihr Name besaß Kraft. Kraft, die sie nun einfordern würde, musste. Denn, alles war grau. Das Einzige, woran sie sich orientieren könnte. Doch dann…
Ein Licht durchbrach das Grau, ein einzelner dünner Strahl. Ihre Worte hatten das Grau durchtrennt. Zerschnitten, denn sie glaubten. Glaubten, dass alles erneut beginnt. „Môarié mâ mémmôrté, Idril.“
Ein Drachengesicht, erschien. Im Grau…. "IDRIL!" … wurde heller und heller. Idril hatte die Augen geschlossen und dennoch war das Licht da. Nahm an Intensität zu, grell, zu grell. Sie kniff die Augen zusammen. Schmerz, „Aaaaarrrrggghhhhh…“
Er hatte sie. Der Kaiser hatte sie gefunden. Zurückgebracht. Obwohl sie schon da war.
Thanatos wich zurück. "Sieh an, sieh an... die Elfe schickt sich an, doch nicht zu sterben...", war das erste was sie hörte. Sie schlug ihre geschlossenen Augen nur mit äußerster Mühe auf und blickte mehr als angestrengt und verschwommen in ein Drachengesicht, fühlte lederartige Flügel um sich herum. Hörte das jaulen des Windes, der Eisigkeit versprach und doch war keine Eisigkeit zu spüren. Was war los?
Sie war sehr schwach. Fühlte sich leer, ausgepowert und ausgelaugt. Kraftlos, lag sie in Thanatos Flügel und realisierte so langsam, wer er war. Doch wo sie war, war ihr nicht bewußt - noch nicht.
Ein Stöhner der Kraftlosigkeit drang zu ihm als Antwort. Ausgerechnet Thanatos. Sie wollte ihn bekämpfen, jetzt lag sie in seinen Armen. Was war geschehen...?
"Hast... du mir das .... angetan?", quälte sie hervor und versuchte sich zu bewegen, was jedoch jäh endete und zwar mit einem zerreissenden Schmerz ihres Körpers.
"Natürlich nicht... ich will dich zwar haben - und könnte dich jetzt nehmen...", er musterte sie eindringlich und setzte dann fort "...doch wäre dieses Unterfangen jetzt zu...unwürdig. Für dich. Dennoch hängt dein Leben an einem seidenen Faden - und zwar an meinem.", und Thanatos grinste.
Idril sank wieder zurück. Was sagte er da? Sie war von ihm abhängig...
>Hmpf... auch das noch...< und spürte wieder seinen warmen Atem, wenn man bei einem eisigen Todeshauch von warm sprechen konnte - auf ihrem unterkühlten Körper. Idril riss sich zusammen. Wo waren ihre Gefährten? Wo war sie? War sie allein und wieso war sie Thanatos ausgeliefert?
"Was ist passiert?", wagte sie in zu fragen und versuchte sich aufzusetzen. Er half ihr dabei. "Ich weiß nicht, ich war dabei deine ... missratenen Gefährten zu beobachten, als ich deine schwache Signatur vernahm. Ich dachte du wärst bei ihnen, doch wie man sieht, täuschte ich mich."
"Du wirst sie in Ruhe lassen.... oder du bekommst es mit mir zu tun!" und obwohl Idril gar nicht zu irgendetwas kampfähnlichem fähig gewesen wäre, drohte sie ihm, was Thanatos ein lautes herzaftes Lachen entriss.
Idril fühlte sich leer. Innerlich leer. Kein Gefühl, keine Empfindung und obwohl, sie ihre Gefährten verteidigte, spürte sie keine Wut, keinen Hass und ... keine Liebe. Es ließ sie jedoch nicht stutzig werden, denn sie erinnerte sich nicht. Erinnerte sich nicht an Freude, die Anomalien, die andere... 'Welt'. Einige ihrer Erinnerungen würden zurückkehren, wenn sie das wohlig warme Feuer wieder erblicken würde. Doch für den Moment, dachte sie, sie wäre einfach im Schnee zusammengebrochen - aus Erschöpfung.