Hanfi genoss ihr den herrlichen Morgen in vollen Zügen. Sie wünschte sie könnte für immer auf diesem Stein unbeobachtet in der Sonne liegen und sich sonnen. Es war zwar nicht warm, aber die Kühle war angenehm prickelnd.
Da wurde Hanfi plötzlich aus ihren Träumereien gerissen. Eine Stimme rief:
"Willst du nicht rein kommen?"
Hanfi fuhr herum und sah Luxorian vor ihr im Wasser stehen. Er war nur mit einem Lendenschurz bekleidet und rief ihr lachend zu:
"Keine Sorgen, die Nymphen werden dich schon nicht kriegen... Ich habe auch einen Kalten Eisendolch dabei! Das hilft am besten gegen die Geisterwesen!"...
Hanfi war zutiefst erschrocken, mal abgesehen davon, hatte sie überhaupt gar nichts an und ihr war das peinlich, so angestarrt zu werden. Schnell nahm sie das weiße Seidenkleid und zog sich wieder an. Da an dem Kleid nicht viel dran war, ging dies ziemlich schnell.
Dann kam sprang sie von dem Felsen in die blauen Fluten. Luxorian alchte immer noch fröhlich. Dann meinte er:
"Komm, ich hab unter Wasser eine Grotte entdeckt! Dort will ich dir etwas zeigen!"
Luxorian nahm ihre Hand und zog sie unter hinab.
Im kristallklaren Wasser des Sees konnte sie sein goldenes Gesicht schemenhaft bläulich erkennen. Lächelnd deutete er mit der Hand nach in eine Richtung und schwamm los. Hanfi folgte ihm.
Da sah sie den Eingang zur Grotte. Er sah aus, wie ein geöffnetes Maul. Loxorian schwamm hinein und auch Hanfi zögerte nicht und tauchte in den dunklen Schlund. Sie passierte das steinerne Maul und fragte sich, wie lange sie wohl die Luft noch anhalten musste, da konnte sie auch schon wieder auftauchen.
Hanfi zog den Kopf aus dem Wasser, holte tief Luft und sah sich um. An solch einem wundervollen Ort war sie noch nie zuvor gewesen. Schlanke, gewundene Tropfsteine wanden sich von der Decke der Höhle bis zum Boden. An den steinernen Höhlenwänden glitzerten Diamanten, halb verborgen von langen Algenbärten und Tang. Durch ein kleines Loch irgendwo hoch oben im Fels fiel ein schmaler Lichtstrahl in die Grotte. Das Licht brach sich auf dem Wasser und warf kühlblaue, flackernde Lichtflecke auf die Grottenwände. Hanfi konnte sich einfach nicht satt sehen, an diesem wundervollen, beeindruckenden Anblick.
„He Hanfi! Ich bin hier drüben!“
Luxorians Stimme unterbrach die mystische Stille. Ihr Echo hallte durch die Grotte. Hanfi schritt durch das knietiefe Wasser zu Luxorian, der auf einem etwas erhöhten Stein saß und mit den Füßen leise im Wasser planschte.
„ Setz dich doch dahin.“ ,meinte er freundlich und wies auf einen Stein, ihm direkt gegenüber.
„Welch ein wundervoller Ort... Wann hast du diese Grotte denn entdeckt?“ ,fragte Hanfi. Noch immer sah sie sich bewundernd um.
„Bereits als ich dich gestern vor den Wassernymphen gerettet habe, sah ich den Höhleneingang. Das Bad im See heute morgen habe ich dazu genutzt diesen Ort einmal zu erkunden. Ich finde es hier ebenfalls wundervoll. Diese andächtige Stille gibt mir das Gefühl, als wäre ich der erste Mensch, der diesen Ort betritt.“
„Und die Wassernymphen?“ Hanfis Stimme klang besorgt und etwas angstvoll.
Luxorian lächelte ihr beruhigend zu.
„Du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben. Sie scheinen diesen Ort zu meiden. Außerdem habe ich ja immer noch den Eisendolch. Aber den werde ich jetzt wohl kaum brauchen.“
Der goldene Heilige zog den Dolch aus dem Gürtelband seines Lendenschurzes und legte ihn neben sich auf den Stein.
Hanfi lehnte sich zurück und lauschte in die Stille. Nur das leise Plätschern des Wassers war zu hören. Sie schloss kurz die Augen und genoss das Gefühl völliger Entspannung. Als sie aufblickte merkte sie, dass Luxorian sie amüsiert betrachtete.
„Warum hast du mich an diesen Ort geführt?“ ,fragte Hanfi plötzlich leise in die Stille hinein.
Luxorian schwieg eine Weile und sah Hanfi immer noch an, dann antwortete er ruhig:
„Weil ich dir eine Freude machen will, Hanfi.“
Hanfi wunderte sich ein wenig über Luxorians Antwort, aber sie ging nicht weiter darauf ein.
„Du bist das harte Leben auf der Straße und im Wald wohl mehr gewöhnt als ich oder?“ ,wandte sich Luxorian unvermittelt an Hanfi.
„Oh, nein,“ ,meine diese leicht entrüstet, „Nur weil ich Schauspielerin war, heißt das nicht, dass ich auf der Straße gelebt habe. Eigentlich habe ich niemals in meinem Leben auf der Straße gelebt.“
„Nun, dann hälst du aber einiges aus, Hanfi. Wir haben jetzt schon einiges mitgemacht, uns alle hat es in irgendeiner Weise erschöpft oder angestrengt. Nur an dir scheinen alle Erlebnisse spurlos vorüber gegangen zu sein.“
Hanfi blickte erstaunt in Luxorians Gesicht.
„Da irrst du dich aber gewaltig. All das was mir passiert ist in den letzten Wochen hat mich mehr verändert als alles was in meinem Leben bisher geschehen ist.“
Luxorian lächelte traurig.
„Wenigstens ist in deinem Leben schon viel geschehen. Ich hatte nur das ordinäre Leben eines verwöhnten und vermögenden Adeligen. Ich hatte alles was ich brauchte und wollte; Ich hatte Privatunterricht, Ich hatte Kampftraining; Ich hatte eigene Pferde, alles was ich mir nur wünschen konnte, aber ich war nie zufrieden. Ich wollte immer Abenteuer, Freiheit und ein wildes Leben. Als dann die Seelenjäger kamen und mich von meinem Besitz vertrieben lernte ich, diesen Wunsch zutiefst zu bereuen.“
Der goldene Heilige schwieg und starrte vor sich hin, versunken in seine Erinnerungen, die alles andere als schön waren. Hanfi konnte ihm im tiefsten Herzensgrund nachfühlen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte freundlich:
„Ich verstehe dich. Auch ich habe meine Träume und Illusionen gehabt und gelebt, bis ich von der Realität eingeholt wurde.“
Einige Minuten lang schwiegen sie beide und schwelgten in ihren Erinnerungen.
Luxorian brach plötzlich das Schweigen, in dem er sich wieder an Hanfi wandte:
„Wie alt bist du eigentlich?“
Hanfi schreckte aus ihren Gedanken auf.
„Ich? Och, das weiß ich nicht so genau, ungefähr Achtzehn.“
„Was, du bist erst Achtzehn?“ , Luxorian sah Hanfi erstaunt an, „Von deiner Lebenserfahrung und deinem Verhalten her, hätte ich dich für wesentlich älter gehalten.“
Hanfi lächelte trübselig:
„Ja, ich habe mir sozusagen meine eigene Jugend genommen. Das war der größte Fehler meines Lebens-“
Erschrocken hielt sie inne. Ihr war gerade bewusst geworden, wovon sie gerade redete und woran sie sich da gerade erinnerte. Langsam stiegen wieder die Erinnerungen auf, die sie sonst immer so erfolgreich verdrängte. Luxorian sah Hanfis verzweifeltes Gesicht und meinte tröstend:
„ Wir machen alle Fehler. Aber ist es nicht so, dass wir aus unseren Fehlern lernen um dann auf den Trümmern von dem, was wir uns zerstört haben, etwas Neueres und Schöneres aufzubauen?“
„Ich habe für meine Fehler gebüßt, wie ich es härter nicht hätte tun können, aber ich bekomme keine Vergebung und keine Versöhnung! Es wird mich immer wieder einholen, denn die Erinnerung ist unauslöschlich in mir!“
Das Echo von Hanfis Stimme flog schrill durch den Raum.
Luxorian war überrascht über Hanfis Gefühlsausbruch. Er wollte Hanfis Hand ergreifen, doch Hanfi zog sie weg.
Hanfi schwieg und schaute mit todunglücklichem Gesichtsausdruck Luxorian an, als erwarte sie von ihm, dass er etwas sagte.
„Du musst Schreckliches durchgemacht haben, dass es dich nach so langer Zeit immer noch auf solch intensive Weise einholt.“
„Du hast ja keine Ahnung.“ ,fauchte Hanfi unvermittelt, so dass Luxorian überrascht zurückwich, „Es ist nicht lange her, um genau zu sein war ich bereits sechzehn Jahre alt, als ich in mein Verderben rannte!“
Vollkommen perplex war Luxorian vor Hanfis wütend verzerrtem Gesicht zurückgewichen, doch im nächsten Moment wurde Hanfis Gesichtsausdruck wieder traurig und gequält.
„Es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe, bitte verzeih mir, ich wollte das wirklich nicht.“
„Es ist schon in Ordnung.“ ,sagte Luxorian und nahm wieder Hanfis Hand, die sie ihm dieses Mal nicht entzog. Dann lächelte er sie beruhigend an.
„Kannst du darüber reden? Ich werde natürlich niemandem erzählen was du mir sagst.“
Hanfi sah Luxorian in die Augen; Schöne, große, goldene Augen. Hanfi war sich nicht ganz im Klaren, ob sie ihm das Geheimnis ihres Lebens erzählen sollte, oder nicht. Sie kannte ihn erst ein paar Wochen und doch war es ihr, als wäre sie schon jahrelang mit ihm befreundet. Er war nett, verständnisvoll und höflich. Aber er war ein Mann von großer Ehre. Würde er noch so freundlich zu ihr sein, wenn er von ihrer Vergangenheit wusste? Hanfi fühlte sich, als wäre sie in zwei Teile gespalten. Die eine Seite war die ehrenvolle Hanfi, die ihre Vergangenheit wieder verdrängen und ein ehrliches und ehrenvolles Leben führen wollte. Die andere Seite wollte alles loswerden und erzählen, um in Schande zu leben, aber unbelastet und frei.
Hanfi focht einen inneren Kampf aus. Ihr Gesicht verzerrte sich und ihre Hand drückte Luxorians so fest, dass einen leisen, erstaunten Schrei ausstieß. Doch schließlich hatte Hanfi sich entschieden. Sie entschloss sich zum ersten Mal in ihrem Leben, einem fremden Menschen ohne Einwände zu vertrauen.
„Gut, ich werde dir erzählen, was mich so quält. Du wirst nachher wohl nichts mehr von mir wissen wollen, also verzeih mir, wenn ich dir irgendwelche Illusionen zerstöre.“
Luxorian nickte ernst und Hanfi begann ihre Geschichte zu erzählen:
„Meine Geschichte beginnt im Waisenhaus von Shapeir, dort bin ich mit meiner Schwester Helga aufgewachsen. Außer ihr hatte ich nie einen Menschen auf dieser Welt an den ich mich wenden konnte. Sie war mein großes Vorbild in allen bisherigen Tagen meines Lebens. Ich hatte das Glück, dass zu der Zeit, als ich im Waisenhaus von Shapeir lebte, ein reicher Adeliger eine Schulausbildung für alle Waisenkinder sponserte. So kommt es, dass ich Lesen, Schreiben und ein wenig Rechnen kann. Ich lernte sogar ein wenig Magie, den Heilzauber zum Beispiel. Meine Schwester verließ bereits mit vierzehn die Schule, um mit ihrem damaligen Freund durchzubrennen.
Damals verstand ich nicht, wie viel Wissen wert ist. Ich hatte ganz andere Träume. Schon immer war es mein Wunsch gewesen, Schauspielerin zu werden. Und so brach ich mit Fünfzehn unvermittelt die Schule ab und schloss mich einer wandernden Schauspielertruppe an. Mit denen zog ich dann durch die Lande. Fast ein Jahr lang ging alles gut, ich fühlte mich frei und glücklich. Bis dann diese Sache mit Norbert dem Nord passierte.
Die Schauspieltruppe gastierte damals einer dunklen, kleinen Stadt im hohen Norden namens „Frostzweig“. Vor kurzem hatten wir ein neues Mitglied bekommen: Norbert den Nord. Er war sehr nett zu mir, genauso wie zu allen anderen, ich dachte wir würden uns sicher gut verstehen. Doch als ich eines Nachts von einer Theaterprobe heimging, lauerte mir Norbert in einer dunklen Gasse auf. Ich konnte mich nicht wehren und war ihm hilflos ausgeliefert. Ich schrie was ich konnte um Hilfe aber niemand hörte es. Ich muss wohl jetzt nicht im Detail beschreiben, was er alles mit mir gemacht hat, allein der Gedanke daran ist schrecklich genug. Sicher hätte er mich in der dunklen Gasse gleich auch noch ganz umgebracht, aber meine Schwester Helga rettete mir das Leben. Sie und ihre Freundinnen kamen gerade ziemlich betrunken aus einer Kneipe in der Nähe. Trotz des Alkohols erkannte Helga meine Stimme. Sie schlug Norbert von mir weg und sagte mir, ich solle weglaufen. Das tat ich dann auch, ich erlebte nicht mehr mit wie Helga und ihre Freundinnen Norbert fertig machten. An die Wochen nach dieser Nacht kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war ein einziges nicht endendes Trauma. Als die meine Gedanken wieder anfingen klar zu werden betäubte ich sie sofort wieder mit Alkohol. Als der Alkohol nicht mehr wirkte, kamen Drogen. Ich rauchte jedes erdenkliche Gras und schluckte jedes Kraut, nur um zu vergessen. Mein Engagement bei der Schauspieltruppe hatte ich schon lange aufgegeben, ich habe keine Ahnung mehr, wie ich es geschafft habe, die Drogen zu bekommen. Zum Schluss wollte ich nur noch sterben.
Ich war letztendlich fast tot und ich wäre auch wirklich gestorben, hätte meine Schwester Helga mir nicht erneut das Leben gerettet. In einer kleinen und schmutzigen Besenkammer hatte sie mir ein Lager bereitet. Tag und Nacht saß sie an meinem Bett, sie half mir all die Entzugserscheinungen zu überstehen, während sie mich Stück für Stück von den Drogen und dem Alkohol entwöhnte. Als das ganze Drama schließlich sein Ende fand, waren zwei Jahre vergangen, ich war siebzehn. Ich verließ die Stadt namens „Forstzweig“ so schnell ich konnte und kehrte zurück in meine Heimatstadt Shapeir. Ich beschloss, meine gesamte Vergangenheit hinter mir zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Ich arbeitete bei einer der größten Spionageagenturen des Landes, ich war immer fröhlich und freundlich, vielleicht war ich sogar glücklich, aber ich kann mich immer noch nicht damit abfinden, dass nichts in der Welt mich vergessen lassen kann, was ich durchgemacht habe....“So beendete Hanfi ihre Geschichte, ihre Stimme verhallte in der Grotte. Sie war aufgestanden, Tränen rann über ihr Gesicht und ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
Luxorian konnte einfach nicht fassen, was Hanfi ihm da erzählt hätte. Niemals hätte er dieser schönen und unschuldig aussehenden Dunkelelfin angesehen, dass sie ein solch grausiges Leben hinter sich hatte. Über diese harte Geschichte musste er erst noch nachdenken, sie hatte ihn so getroffen, dass er gar keinen klaren Gedanken fassen konnte. Aber er wollte Hanfi wenigstens ein wenig trösten.
„Komm’ Hanfi. Setze dich erst einmal wieder hin.“ ,sagte er langsam und zog Hanfi auf den steinernen Sitzplatz neben sich. Er wollte sie gerade freundlich in den Arm nehmen, da stieß Hanfi eine spitzen Schrei aus und sprang auf.
Sie hatte sich in den Dolch gesetzt, den Luxorian neben sich gelegt hatte.
„Oh, das tut mir so leid, ich hatte den Dolch völlig vergessen, hast du dir weh getan?“ ,entschuldigte sich Luxorian. Doch Hanfi rief:
„Du hast den Dolch sicher mit Absicht liegen lassen, damit ich mich reinsetzte stimmt’s? Oh, wie bist du fies!“
Luxorian war nun völlig verwirrt. Hanfi redete wirres Zeug. Offenbar waren ihre Gefühle derartig durcheinander, dass sie sich gar nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er versuchte sie zu beruhigen.
„Ganz ruhig Hanfi, das war keine Absicht. Wenn du jetzt tief durchatmest wird es dir sicher gleich besser gehen-“
Aber Hanfi war völlig außer sich.
„Nein! Lass mich in Ruhe! Was mache und was nicht geht niemanden was an! Lass mich allein!“
Und mit diesen Worten stürzte sie sich kopfüber ins Wasser und schwamm aus der Grotte. Luxorian sah kopfschüttelnd auf die Wellen im Wasser, dort wo Hanfi verschwunden war. Ihm war klar, dass Hanfi das nicht so gemeint hatte. Er hoffte nur, dass sie sich wieder beruhigte.
Und so saß er noch sehr lange in der Grotte und dachte über Hanfi und ihre Geschichte nach, bevor er sich schließlich auch wieder auf den Weg zurück zum Lager machte.
Das eiskalte Wasser klärte Hanfis Sinne wieder ein wenig und das Spannen ihrer Muskeln bei jedem Schwimmzug den sie tat, ließ sie wieder zur Besinnung kommen. Sie schwamm zurück zu dem Stein auf dem sie gesessen hatte. Dort zog sie den Mantel wieder über das nasse, weiße Kleid und ordnete ihr Haar ein wenig. Sie konnte immer noch nicht fassen, was sie da preisgegeben hatte und hoffte nur, ihre Gefährten würden nichts von ihrer Gemütsverfassung bemerken. Inzwischen war es Mittag geworden, sie war sehr, sehr lang in der Grotte gewesen. Sie hoffte nur, dass ihre Freunde sich keine Sorgen um sie gemacht hatten. Dann ging sie zurück zum Lager.