"Wirklich sehr hübsch." Nur ihre Dunkelelfenohren konnten die vertraute Stimme hören. Da! Sie erspähte Shin in der Menge ihrer Zuschauer. Leider konnte sie im Moment keine Zeit für ihn erübrigen, daher...
Moment! Was hielt er denn da in der Hand? Ein Buch, in dem er eifrig herumkritzelte. Es strömte einen gewissen Duft aus, nicht den frischer Tinte, der war nicht aufdringlich genug. Dieser hier war irgendwie verführerisch und betörte auf seltsame Weise ihre Sinne. Er betörte sie so sehr, dass sie sich ihren Weg zwischen den Leuten hindurch suchte, die ihr ehrfürchtig Platz machten.
Ja, das war der Duft eines Theaterstücks, den sie wahrnahm! Begabte Schauspielerin, die sie war, hatte sie ein besonderes Gespür für solche Dinge und... Was sie da roch, war nicht schlecht, auch nicht angenehm, sondern schlichtweg...
Eigentlich genial, aber etwas stimmte mit dem Duft nicht. Magisch zog es sie immer näher an den Gefährten und schließlich, als sie nah genug war...
... schnappte sie ihm das Buch aus der Hand. "He, was...?" Ohne auf seine Proteste zu hören, las sie sich das Werk durch. Es war ein schönes Stück, das er da ausarbeitete, allerdings hatten die Charaktere recht seltsame Namen, wie Uyr, Sarrac oder Ifnah. Shin, anfangs noch bemüht, ihr das Buch wieder zu entreißen, ließ sie plötzlich gewähren. Ihr schien, als wolle er ihre Meinung hören. Nein, eigentlich schien es ihr nicht so, weil sie ihm keine Beachtung schenkte. Weiter und weiter las sie...
Es war ein episches Werk, voller Tragik und sie konnte den Gedanken vieler Personen nicht folgen. Sie waren zu kompliziert und generell schien ihr vieles zu mächtig und zu mysteriös in dieser Geschichte, die den ominösen Namen "Frühjahrsputz" trug. Nichts, was für jüngere Zuschauer geeignet wäre. Es war wohl noch nicht fertig, ab dem 2. Akt, 3. Szene, hörte es abrupt auf. Beeindruckt klappte sie das Buch zu und blickte Shin an, der auf ihr Urteil wartete. "In der Tat, sehr hübsch..." "Wirklich?" Shin strahlte. "Aber..." "Aber?" Shin strahlte nicht mehr.
"Aber es ist zu ernst." "Wie, zu ernst? Es ist eine Tragödie, um Himmels Willen!" "Shin, Tragödien sind nicht zeitgemäß. Wann warst du das letzte Mal im Theater und wie oft?" "Vor einer Woche und 70x." "Ist dabei jemals eine Tragödie aufgeführt worden?" "Äh..." Shin überlegte angestrengt. "Nein. Wieso?" "Zu einer anderen Zeit wäre dein Werk sicherlich gut angekommen, aber nicht hier und heute." "Aber... Warum..." "Ich sagte es doch schon. Dein Stück ist nicht zeitgemäß. Und ich fürchte, das liegt nicht daran, dass es zu modern ist... Eher zu alt." "Für mich ist es mehr als ein Stück!" "Inwiefern?" "Es ist von kosmischer Bedeutung!" "Kosmische... Shin, geht es dir nicht gut?" Au, verflixt! Da hätte er sich fast verplappert! Also...
"Doch, doch, mir geht's gut, nur..." "Schön. Weißt du, der 'Frühjahrsputz' kann durchaus noch gerettet werden." "Du hattest doch gesagt..." "Paß auf." Hanfi bat um Shins Schreibfeder, der die Tinte niemals auszugehen schien und die ihr der Gefährte mit einigem Misstrauen aushändigte.
Und ehe er sich versah, hatte sie das ganze Stück umgeschrieben, um es ihm seinerseits zur Bewertung zu überreichen. "Na, ich weiß nicht", murmelte er. "Wie war das?" "Zu lustig." "Lustig? Ich fürchte, wir beginnen, uns im Kreise zu drehen." "Was soll ich dann tun?" "Denk doch mal nach." "Hey, du hast es zuerst kritisiert." "Stimmt. Ich schlage vor, du legst es erstmal auf Eis." "WAS!?!"
Damit hatten sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden. Etwas verlegen flüsterte Hanfi: "Vielleicht hast du andernorts ja auch mehr Glück..." "Ja, sieht wohl so aus."
Und da kam es über ihn. "Hanfi, ich werde euch verlassen." "WAS!?!" "Shht, nicht so laut. Vielleicht hast du ja recht und es ist zu ernst. Nur... Meine Fantasie gibt sich nicht mit kleinen Dingen ab und... Kann man eine Komödie mit einer Heldensage vergleichen?" "Nun, in gewissem Maße schon." "Gut, andere Vorgehensweise... Siehst du, ich habe bestimmte Szenen im Kopf und... Ich kann sie mir nicht in einer Komödie vorstellen. Ich weiß, dass der Zweck eines solchen Spiels es ist, die Zuschauer zu unterhalten... Aber es reicht mir nicht, das nur durch Witz zu erreichen, wie du das hier geschafft hast. Ich will sie täuschen, in die Irre führen, sie dazu bringen, zu sagen 'Das kam unerwartet, eine gute Wendung!' oder 'Der arme Kerl, was der alles durchmachen muss...'" "Das klingt lächerlich." "Oder wir haben einfach sehr verschiedene Vorstellungen davon, wodurch ein solches Schauspiel gut wird. Wenn es um solche Dinge geht, will ich einfach immer hoch hinaus, das liegt in der Natur meiner Rasse." "Deiner Rasse? Du siehst aus wie ein ganz normaler Mensch und von denen kenne ich keinen derartigen Wesenszug." "Sagen wir, es gibt vieles, was du nicht über mich weißt." "Aha."
"Vielleicht sehen wir uns einmal wieder... Oder ich begegne einer anderen Inkarnation von dir." "Moment, du willst wirklich gehen?" "Ja." "Aber wieso?" "Ich hatte Pläne. Nicht für dieses Stück, für euch." "Für uns?" "Keine sehr schönen Pläne, zugegeben. Aber mir scheint, das Publikum ist etwas ungeeignet für ihre Ausführung. Vielleicht habe ich andernorts mehr Glück." "Geh nicht! Nur wegen dieses Stücks..." "Ich sagte doch schon, für mich ist es mehr als nur ein Stück. Und irgendwie habe ich das Gefühl, hier unwilkommen zu sein." "Red keinen Unsinn. Du und unwilkommen? Wir..." "Kennen uns erst seit kurzem. Leb wohl, Hanfi. Und kein Abschied. Bei unserer nächsten Begegnung könnten wir Feinde sein." Dieser Kommentar hätte sie beunruhigen sollen, aber sein verschmitztes Lächeln zeigte ihr, dass er wenigstens das nicht ernst meinte. "Leb wohl, Shin."
Er zwinkerte ihr ein letztes Mal zu und verpuffte dann in einer Rauchwolke. Wieder ein Gefährte weniger.