Ungeahnte Magie
Das Gelächter war kaum verklungen, da drängte sich ein neuer Klang von Widerhall an seine Stelle und erfüllte den Raum der Bibliothek, als hätte es einem ehrgeizigen Schauspieler gleich nur darauf gewartet, seine bedrohlich klingende Rolle auf dieser unterirdischen Bühne zu spielen.
Es war das Geräusch schwerer Schritte, das Spiller nun herumfahren ließ und seinen Siegestaumel brüskierend unterbrach, und schnell war der Schuldige gefunden, dessen gepanzerten Sohlen für die Störung verantwortlich waren. Anthreds edles Gesicht war von den drei frischen Wunden, die er sich im Kampf auf dem Flaggschiff Spillers zugezogen hatte entstellt, doch verlieh ihm der Makel nun eine umso bedrohlichere Wirkung, als seine kalten Augen belustigt im schwachen Licht funkelten.
“Es bereitet meinem Herzen Freude, Euch in Euren letzten Momenten von solch Wonne erfüllt zu sehen.“
Der Spott war offensichtlich und Spiller knurrte mit geballten Fäusten. Anthred musste ihm gefolgt sein.
“Umso mehr schmerzt es mich, Euch den Augenblick des Triumphes verderben zu müssen. Doch dies Ding, dass ihr da habt - es ist mir leider wichtiger als Euer Wohlergehen.“
Anthred machte einige rasselnde Schritte auf die Mitte des Raumes zu und besah sich in gespielter Neugier die ledernen Rücken der zahllosen Bücher, die er passierte. Spiller schloss die Faust um die Nadel, warf seinem Feind einen herausfordernden Blick zu, nicht gewillt seine jüngste Eroberung ohne weiteres freizugeben und musste beinahe Grinsen ob der hemmungslos wie armseligen Überheblichkeit des Verräters.
“Ihr seid ein Narr zu glauben, Euch die Nadel mit albernen Sprüchen unter den Nagel reißen zu können, doch nichts weiter als ein Narr scheint ihr zu sein. Wieso sonst hättet Ihr Euch so früh zu erkennen gegeben? Die Nadel wäre von selbst zu Euch gekommen.“
Anthred hielt Inne, als Spiller ihm die Beleidigung an den Kopf warf wie einen schmuddeligen Schneeball. Doch als er den Blick seines Gegners nun erwiderte, zeugte lediglich ein überlegenes Grinsen, das hinter seinem langen blonden Haar hervorglitzerte, dass er mehr wusste, als es zunächst den Anschein erweckt hatte.
“Ihr habt meinen Plan erkannt, werter Meister Adriennen, doch zwang mich das Unvermögen Eurer Gefolgschaft zum handeln. Was glaubt ihr, wo Euer Stoßtrupp abgeblieben ist, der die Nadel hätte beschaffen sollen?“
Spiller schluckte. Dieses Detail war seiner Aufmerksamkeit entgangen. Anthred nickte wissend lächelnd, bevor er fortfuhr;
“die Elfen, mein Lieber, haben sich die Umtriebe Eures kleinen Grüppchens Schnüffler nicht gefallen lassen, als die Kämpfe noch tobten. Ihr hättet ewig gewartet und die Zeit wurde knapp. Es ist vermessen von Euch, denjenigen als Narren zu bezeichnen, der sich von Euch direkt zum Fundort dieses Schatzes hat führen lassen können.“
Mit dem Finger seiner mächtigen Pranke wies er auf die Rechte Spillers, die immernoch das kleine, goldene Artfekt umschloss.
“Und seid Euch gewiss, ich werde Euch diesen Schatz wegnehmen, genauso wie ich Euch die kleine Helena nahm.“
Spiller hatte genug gehört und die Klaue arkaner Energien, die nun aus seiner linken Hand hervorbrach, um den Mörder seiner Beinahe-Tochter zu vernichten war stark und furchterreged; die Nadel in seiner Hand wirkte durch die Macht ihrer magischen Natur wie ein Katalysator und schien die schiere Gewalt seines Angriffes unterstützt durch seinen heißen Zorn zu verzehnfachen.
Es war nicht die Überraschung, sondern die plötzliche Heftigkeit des Zaubers, die Anthred mit geweiteten Augen nach Luft schnappen ließ, bevor er sich mit Mühe unelegant aus der Bahn warf. Stattdessen fiel der Attacke ein Bücherregal zum Opfer, dass von der kraftvollen Erschütterung erfasst, lose Seiten ausspeiend in seine Einzelteile zerbarst. Doch Anthred war schnell auf den Beinen und seine Vergeltung war fürchterlich. Spiller, trunken vom Hass wurde von einem Inferno erfasst, dessen Fauchen dröhnend jedes andere Geräusch in der Bibliothek übertönte.
In einem Regen von verglühenden Papierfetzen endete der Feuersturm und Spiller, der sich vor den gierigen Flammen kaum hatte schützen können, erhob sich ächzend, von schwarzen Rauchschlieren umtanzt, als wäre er von einem Reigen gleichgültiger schwarzer Kobras umzingelt. Mehr und mehr wurde ihm klar, dass sein Feind voller Überraschungen steckte, Schwert und Schild zwar meisterlich beherrschte, doch selbige nur als Deckmantel für weitaus größere Macht gebraucht hatte. Ohne Zweifel hatte Anthred auch im Kampf auf dem Flaggschiff nur ein maskeradenhaftes Spiel gespielt und die Wunden im Gesicht womöglich sogar als realistische Untermauerung dieser virtuosen Posse in Kauf genommen, um damit jeden Zweifel auszuräumen.
Spiller blieben bloß Bruchteile eines Augenblicks, in denen er sich diese Antworten erriet und eins und eins zusammenzählte, als der blonde Hüne schon herangesprungen war, kraftvolle Magie in der ausholenden Hand schöpfend. Mit vor der Brust überkreuzten Armen gelang es Spiller, seine vielfarbig blitzende arkane Kraft zwischen sich und den wuchtigen Bannspruch zu bringen, bevor der Aufprall ihm die Luft aus der Lunge drückte und seine Verteidigung in Form auseinanderstiebender Donnerkeile den gesamten Raum erfüllte. Der Lärm der Kollision war ohrenbetäubend, doch von kurzer Dauer.
Spiller taumelte einen Schritt zurück, froh, dass seine Geistesgegenwart ihn davor bewahrt hatte, mit einem fransigen Loch im Oberkörper zu Boden zu sinken. Schon sammelte er Kraft, um dem nächsten Treffer stanzuhalten und vielleicht diesmal auf seinen Verursacher zurückzuschleudern, jetzt wo er wusste, mit wem er es zu tun hatte - doch der Angriff blieb aus. Es fühlte sich an, als würde ihm Eis in die Brust gegossen und mit einem Sturm kalter Nägel in die Glieder gedrängt; denn ihm wurde gewahr, dass ihm etwas fehlte. Das Gefühl von glattem, dünnen Metall in seiner Hand war verschwunden. Hektisch blickte er zu Anthred auf, der mit einem halben, süffisanten Grinsen die Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger hochhielt und die Juwelen funkelten, als er sie betrachtete. Spiller bewunderte und verabscheute den Mörder Helenas für seine brilliante Finte.
“Ich danke Euch, Meister Adriennen.“
Mit diesen hohnvollen Worten begann der gewaltige Mann sich aufzulösen.
Ein Reisezauber!
Spiller hatte keine Zeit, um die Situation abzuwägen, in einem weiteren Moment, kürzer als der Flügelschlag eines Finken würde der Verräter verschwunden sein. Es kam ihm vor, als watete er durch zähen Morast, als er auf den diffusen Wirbel des Teleports zustürmte, wohl wissend, dass selbst unter normalen Umständen ein magischer Ortswechsel nur dann richtig gelang, wenn er ohne Störung und unter höchster Konzentration ausgeführt wurde. Zu riskant war es, in einem anderen Objekt wieder auszutreten oder nur mit dem halben Körper - jetzt wo das Gefüge der Welten selbst angegriffen war, gestört und verzerrt durch den klaffenden Riss im Firmanent über Port Raven würden die Folgen unkalkulierbar sein.
Ohne weiteres Zögern packte Spiller den Flüchtigen am Arm und wurde mitgerissen in ein unbegreifliches, wirbelndes Farbenmeer.
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Haj'ett schalt sich für seine übereilten Worte, als er sich vom Sims, den er gemeinsam mit Serfina erreicht hatte endlich einen Überblick verschaffen konnte, der nicht durch schnaufende Reittiere blockiert wurde, da ihm nun endlich klar war, weshalb Alexis sich so lange geweigert hatte, sich mit den anderen zurückzuziehen.
Feste und Twiggy waren noch dort draußen. Der Echsenmann hatte Schwierigkeiten, in von den stürmenden Hufen Festes Pferdes augewirbelten Sandwolken genaueres auszumachen, doch die Goblinhexe schien mitsamt des gutmütigen, doch störrischen Grautieres eine kleine Düne hinabgestürzt zu sein, einer unscheinbare Verwerfung im unregelmäßigen Muster des ewigen Sandes, auf die der klimpernde Narr nun zusteuerte.
Der Echsenmann begann, seine Armbrust zu laden, um die versprochene Deckung bieten zu können und kurbelte hektisch an der schwergängigen Winde, sodass sich die Sehne langsam aber sicher auf die Arretierung zubewegte und die Waffe mit ihrer tödlichen Spannkraft versah. Ein Seitenblick zeigte ihm, dass seine neue Gefährtin längst wieder schussbereit war.
Kennerhaft musterte er das leichte Modell des Mädchens kurz, eine flinke Waffe und schnell einsatzbereit, dafür jedoch weniger kraftvoll und mit weniger Reichweite. Er widmete sich wieder seinem eigenen Mordinstrument und zog sorgfältig einen Bolzen hervor. Er war vielleicht langsamer, aber wo er traf, wurden selbst Panzerplatten durchbohrt.
Sie würden einander gut ergänzen.
Ein plötzlicher Sturmwind umtoste die Streiter am Eingang des Pfades und der Echsenmann hätte beinahe seinen Bolzen verschossen, als die heftige Bö ihm einen Stoß versetzte. Der gewaltige schwarze Drache schoss herab wie ein Unheilsbote der Götter, zweifellos versessen darauf in einem der verstreuten Nachzügler ein schnelles, grausiges Mahl zu finden. Gebannt beobachtete er, wie Feste dem schuppigen Biest voller artistischer Eleganz ein Schnippchen schlug und der Klang der vielen Glöckchen des Spaßmachers war bis zum Sims herauf zu hören. Dem unglückseligen Esel wollte ein solches Kunststück nicht gelingen und er wurde von den Hufen gerissen, und reiste traurig Laut gebend dem umwölkten Hinmel und einem baldigen Ende entgegen. Aus dem Blutregen donnerte nun Festes Pferd hervor, mit erstaunlicher Disziplin kaum bockend und Feste und Twiggy auf dem Rücken.
“Echsenmann, gebt Acht!“
Die Stimme seiner Kameradin entriss ihn der Faszination um das haarsträubende Schauspiel und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Alexis und den grauen Mann, die einsam versuchten, den Zugang zur Schlucht freizuhalten. Schreie zu seiner Linken ließen außerdem vermuten, dass den beiden Streitern bereits einige Dämonen entgangen waren und sich nun erbitterten Streit mit den Wüstenmännern lieferten.
Alarmiert fletschte Haj'ett die Zähne, zog am Abzug und schickte den ersten hölzernen Todesboten auf den Weg, der nur einen Augenblick später einen Schatten durchbohrte, der sich auf den Magier hatte stürzen wollen.
“Mädchen, wacht über die Männer in der Schlucht, ich werde Euren großen Freund nicht fallen lassen.“
Die Konzentration des Echsenmannes war ob des jüngsten knappen Manövers zurückgekehrt und gewissenhaft machte er sich für den nächsten Schuss bereit. Die Kurbel ratterte, während er prüfende Blicke über die Ebene warf, stets nach einem Ziel suchend, das sein Eingreifen notwendig machte. Ihm war nur zu unangenehm bewusst, dass ihm nur eine begrenzte Anzahl an tödlichen Interventionen verblieb. Er hatte kaum eine Chance, sich die verschossenen Bolzen zurückzuholen und wenn ihm die Munition ausging würde sein Nutzen in dieser brenzlichen Schlacht schwinden, wie eine Düne im steten Wüstenwind.
Erleichtert stellte er fest, dass zumindest Alexis sich nun zurückzog, gefolgt von dem grauen Krieger, der mit jedem erlegten Feind an Esprit zu gewinnen schien und nur zögerlich abrückte, als würde der Blutdurst ihn langsam zu übermannen drohen. Und nur quälend langsam kamen die beiden Nachzügler heran.
Was folgte, brachte Haj'ett erneut beinahe völlig aus dem Konzept, aber diesmal war es so, als würde ein fremder Wille seine Aufmerksamkeit geradezu auffressen zu wollen. Die Quelle dieses Gefühls befand sich hinter ihm und näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. Eine Energie, so eigenartig, so ungewöhnlich raste heran, so fremd war sie, sie schien nicht von dieser Welt zu sein. In seinem Körper schienen nicht anatomisch definierbare Kanäle ins vibrieren zu geraten, rebellierend und angsterfüllt und plötzlich wurde ihm bewusst, dass es die spärlichen magischen Energien waren, die durch seinen Leib flossen und durch den fremden Einfluss ins Schwingen gerieten wie die Saiten einer Fidel. Der heranrollende Einfluss wurde begleitet von einem sternentiefen Dröhnen, das sich brummend in seinen Kopf bohrte, selbst dann nicht verschwinden wollte, als er sich die Pfoten vor die Ohren schlug, zerfasernd anschwoll und mit ungeheuerlicher Frequenz wabernd, wie nichts, dessen er in seinem bisherigen Leben gelauscht hatte.
Es stellten sich ihm die Halsschuppen auf, ob der schieren Fremdartigkeit der Erfahrung und es schüttelte ihn am ganzen Körper, sodass es ihm kaum gelang, die fallengelassene Armbrust wieder aufzulesen, bevor er sich umwandte und die dreuende Wand aus Licht auf sich zustürmen sah, die den Berghängen enteilte, wie ein Heer aus weißen Paladinen.
Voller Furcht warf er sich zu Boden, als die gewaltige Woge über ihn hinweg und am Fuße des Berges zu branden schien. Doch wurde Haj'ett von sanfter Dunkelheit empfangen, die gespickt war mit faszinierenden Lichtpunkten, die funkelten wie ein unermesslicher Hort von schönsten Diamanten. Dem Echsenmann wurde ein nie zuvor erblickter Sternenhimmel gewahr, wunderschön und von hellem Klang erfüllt, wie von Glocken aus unbekannten Metallen, die an den Ufern nie gesehener Gestade läuteten und seinen kleinen Geist erfüllten. Schwerelos kam ihm sein Körper vor und es schien ihm, als würde er abheben, um in die unendliche Ferne abdriften, als er den steinigen Boden unter den Pfoten verlor. Verzückt betrachtete er die bunten Nebel ferner Leibhaftigkeiten, als er die Körper der anderen ihn umgebenen Lebensformen sah, die wie Sternenkonstellstionen um ihn herum räumlich sichtbar wurden. Da waren die Wüstenmänner, gestrenge Sternbilder kampferprobter Mannesbilder und Alexis, der funkelte wie ein Quasar. Und da waren die finsteren Nebel der stürmenden Dämonen, hässlich und dennoch nicht deplaziert im unendlichen Gefüge des Universums. Und er sah die Schatten verwehen, vergehen in den Flammen heißer Sonnen.
Dann fiel er, eine runde Scheibe vor Augen, die stetig größer wurde, blaugrün wie Lapislazuli, die mehr und mehr einen sandig braunen Fleck gewahr werden ließ. Es kam ihm vor, als wären Äonen verstrichen, als er wieder den rauen Felsen des Felsvorsprunges zwischen den Zehen spürte und das Bild verschwand, dem er anheimgefallen war. Erst jetzt fiel Haj'ett ein, dass er einen Hauch dieser Kraft bereits in Port Raven erfahren hatte, als er durch Jarhas Körper getreten war, ein Portal, geboren aus der Unendlichkeit des Universums. Und als er die vielen verkohlten Leichen der Dämonen im Sand vor dem Felsen sah, begriff er, dass er zum ersten Mal wahrhaftige Sternenmagie am eigenen Leib gefühlt hatte. Indes trudelte der Drache klagevoll brüllend am Himmel, der nun wieder wie gewohnt mit dunklen Wolken behangen war und schien mit neu erblühtem Zorn voll Raserei hinabzustoßen.
Dem Echsenmann war jedoch klar, dass sie diesen Vorsprung der sternengeborenen Vernichtung nutzen mussten, um von den bereits erstarkenden Horden nicht ausgelöscht zu werden. Und dennoch wich er nicht zurück, mit scharfem Auge beobachtend, ob Feste und Twiggy dem geflügelten Biest entrinnen würden, die schwere Armbrust für jeden Ausgang im Anschlag.
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