Der Junge mit der blutroten Robe rannte quer über dem Markt, verzweifelt nach Nyon suchend. Er fragte immer wieder einen Passanten nach ihr, aber niemand schien sie gesehen zu haben. Doch er gab nicht auf...
...so oder so ähnlich hätte die Sache ablaufen können, wäre Varim nicht auf den Süßwarenstand gestoßen. Anstatt seinen ürsprunglichen Plan, Nyon zu suchen, durchzuführen, wanderte er nun ziellos und verträumt druch die Straßen. Er nahm seine Umwelt kaum war, in seinen Gedanken war nur noch Platz für seine teuer erworbenen Bonbons, das edle, noch viel teurere Marzipan, dass er heute erst entdeckt und zu seiner neuen Lieblingsspeise erklärt hatte und, nicht zu vergessen, die wunderprächtige Sahnetorte, seperat verpackt, damit sie nicht kaputt geht, die absolute Göttin aller Konditorenkünste, Varims Meinung nach, und das war immerhin die Meinung eines echten Kenners.
In der einen Hand einen vollen Korb der die meisten seiner erworbenen Waren beinhaltete, in der anderen Hand die Torte suchte Varim einen ruhigen Ort wo er sich erst einmal hinsetzen konnte. Vielleicht sollte er auch nach einer Tasche oder etwas ähnlichem Suchen, sowas bräuchte er sowieso, seine Waffen in den Taschen seines Gewands zu tragen ist eben nicht so das Wahre.
>Ah, da hinten, eine Bank...jetzt muss ich nur noch die lächerliche Strecke bis nach dort hinten zurücklegen, dann muss ich mir keine Sorgen mehr darüber machen, dass mich gleich jemand anrempe - <
Grob wurde er von hinten angerempelt, schwankte stark und verlor fast das Gleichgewicht, fand es wieder, ließ dafür aber die Torte fallen.
Auf einmal bewegte sich alles schrecklich langsam. Zentimeter für Zentimeter konnte Varim die sorgsam verpackte Torte fallen sehen, er streckte die Hand nach ihr aus, aber es war zu spät. Langsam landete sie auf dem Pflasterstein, langsam wurde sie eingedrückt, viel zu deutlich war das häßliche, schmatzende Geräusch zu hören mit dem die endgültige Zerstörung des kulinarischen Meisterwerks eingeleitet wurde.
Den Leuten, die zuschauten, schlug die Dramatik der Szene wie ein Faustschlag ins Gesicht, immerhin sah diese Torte so teuer aus wie das Mobiliar eines ganzen Zimmers und selbst die, die das alles einfach nur komplett lachhaft fanden, wurden durch Varims intensive Aura der Bestürzung mitgerissen.
Noch Stunden stand der seines wohl kostbarsten Schatzes beraubte vor der schrecklichen Szenerie, so kamen ihm die wenigen Augenblicke, bis er den Übeltäter hinter sich mit dem Kurzschwert ausholen sah, jedenfalls vor.
Dank eines intuitiven Ausweichschritts kostete ihn der Hieb, der sein Leben nehmen sollte, lediglich ein paar Haare. Der Angreifer knurrte. "Ich weiß wer du bist! Ich kann dich gleich zu Hackfleisch verarbeiten oder du gibst mir die Kugel freiwillig! Ich warne dich, meine Männer sind überall auf dem Marktplatz! Du kannst nicht fliehen!"
Und tatsächlich: Von allen Seiten schälten sich weitere Bewaffnete aus der gaffenden Menge und fingen an, einen Kreis um ihr Ziel zu bilden. Ob die Stadtwache zusah? Wohl eher nicht, diese mussten schon im vorraus ausgeschalten worden sein, oder bestochen, bei einem Attentat würden sie nur stören.
Die akute Gefahr der Situation brachte Varim wieder in die Wirklichkeit zurück und aktivierte seinen Verstand. Er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren, so sehr er sich auch wünschte, die Eingeweide dieses brutalen Tortenzerstörers zu Staub zerfallen zu lassen.
Der Kreis begann sich zu schließen, wenn er jetzt nicht schnell handelte, würde er den Tag wohl nicht mehr überleben.
Er konzentrierte sich. Er streckte seine flache Hand aus, so dass die Handfläche auf sein Gegenüber zeigte, der schon ahnte was Varim vorhatte. "Komm mir jetzt nicht mit dieser verdammten Magie!!". Er hatte keine Zeit mehr, ihn aufzuhalten. Varims Handfläche begann rot zu leuchten, und das rote Licht wurde auch auf den Brustkorb des Gegners projeziert, wo nun der Umriss einer Hand zu erkennen war. Er wurde dunkler und es sah aus, als ob sich Risse von ihm ausbreiten würden.
Der Angreifer erstarrte, biss die Zähne zusammen und fing an zu schwitzen. Er ließ das Kurzschwert fallen. Es folgte ein markerschütternder Schmerzensschrei, gefolgt von einem kollektiven ungläubigen 'Huch?!' der Komplizen. Diese Chance nutzte Varim. Er rannte in eine Seitengasse und schob sich dabei an einem der Attentäter vorbei. Der Effekt des Schmerzzaubers wurde nicht mehr aufrecht erhalten und der wahrscheinliche Anführer erlangte wieder Fassung. "Er will fliehen! Hinterher!!", rief er, worauf die Angreifer eine Art wütenden Mob bildeten, der Varim in die Seitengasse folgte.
Die Verfolger legten eine ordentliche Geschwindigkeit an den Tag, mit der sie den jungen Hexer auch eingeholt hätten, würde dieser nicht immer wieder woanders einbiegen. Er kam stark ins Schwitzen, seine Ausdauer ließ wie immer zu Wünschen übrig.
Wie zu erwarten war, dauerte es nicht lange, bis er komplett außer Atem war. Weiter durch die engen Gassen wegrennen war keine Option mehr. Wohin jetzt?
Hastig sah er sich um. Es gab kein Fenster, in welches er einsteigen könnte, kein Kanalisationseingang, nichts dergleichen. Aber halt - was lehnt da gegen die unsorgfältig verputzte Wand? Eine Leiter direkt zum Dach! Nicht lange nachdem er sie erblickt hatte, erklomm er schon die ersten Sprossen, sich noch mehr beeilend, als er schon die ersten Stimmen hinter sich hörte.
Es war ein Ziegeldach, ein ziemlich flaches, auf dem man gut laufen konnte. Es lag im Schatten der viel höheren Türme zu den Seiten wodurch man seinen Zustand nicht so gut erkennen konnte. Das es eine Reperatur dringend nötig hatte, wusste Varim zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Der ihn verfolgende Mob hatte gesehen, wie er die Leiter erklommen hatte, und folgte ihm rasch. Da das Dach an kein anderes direkt angrenzte, sodass man hinüberspringen könnte, gab es keinen Ausweg. Jetzt führte kein Weg mehr an einem Kampf vorbei.
>Das war ja eine ganz geniale Idee, hier hoch zu kommen...fast so effizient wie mir das Grab selber zu schaufeln...<
Er wartete gar nicht erst darauf, dass seine Gegner alle hochkommen und Aufstellung beziehen konnten, sondern schleuderte dem ersten gleich einen roten Blitz hochkonzentrierter Zerstörungsmagie direkt ins Gesicht. Der Getroffene schrie auf und hielt sich die Hände vor die klaffende Wunde. Die nächsten Drei, die die Leiter hochgekrakselt kamen, wurde auf dieselbe Weise begrüßt. Der Vierte schien endlich zu merken was los war und wich der magischen Attacke mit einer Rolle vorwärts aus. Da Varim erst einmal mit ihm zu tun hatte, hatten seine Komplizen Zeit einer nach dem anderen auf das Dach zu klettern und sich in einem Halbkreis aufzustellen. Alleine gegen acht Attentäter auf einmal. Das versprach eine Herausforderung zu werden. Konnte der Hexer seine zerstörerischen Blitze auf acht Ziele gleichzeitig lenken, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren und sich selbst oder die Umgebung zu beschädigen? Einen Versuch war es wert.
Er streckte beide Hande aus, spreizte die Finger und aus jedem, außer den beiden Daumen, schossen die blutroten Blitze, rissen den Angreifern die Haut von den Knochen und ließ das innere Gewebe zerfallen. Sie zuckten ziemlich unkontrolliert mal nach oben, mal zur Seite und zerstörten auch einige der Dachziegel. Die Schmerzensschreie der Angreifer übertönten das bedrohliche Knarren des Bodens unter ihren Füßen.
Alle acht wurden von den Beinen gefegt und hielten sich die schmerzenden Wunden, die Zerstörungsmagie brach ab. Wenn Varim jetzt schnell war, konnte er sich eine Waffe schnappen und schnell allen den Gnadenstoß geben, bevor sie wieder aufstehen konnten.
Als er jedoch den Fuß hob, um einen Schritt zu machen, realisierte er erst, wie instabil das Dach war. Nicht nur konnte er es unter sich zittern spüren, sondern auch das vermoderte, von Würmern zerfressene Holz unter den zerstörten Dachziegeln sehen. Er befand sich in einer Situation vergleichbar mit Schlittschuhfahren auf einem See mit sehr dünner Eisdecke.
>Verdammter Mist...jetzt keine unnötgen Bewegungen...<
Kracks. Das Dach gab nach. Die Ziegel und das Holz sacken ein und rissen Varim mit sich durch das Loch, direkt in das Haus.
In einem Regen aus Staub und Holzsplittern landete er auf unsanft auf dem Boden des Zimmers, über dem er gekämpft hatte. Die Einrichtung war ziemlich edel, im Mittelpunkt des Zimmers stand ein großes Bett.
In diesem Bett befand sich eine verängstigt dreinblickende, leicht bekleidete Frau, und daneben ein Mann der regelrecht in Panik schien. Kein Wunder, mit zwei Kristallklingen vor seiner Kehle schwebend. >Schwebende Kristallklingen? Einen Moment...woher kenne ich das bloß?!< Er lenkte seinen Blick ein Stückchen weiter, zu der Person, die vor dem Bett stand.
"Öhm...hallo, Nyon. Wie war dein Tag so?" Peinliche Stille. Jeder im Raum schien gerade zu versuchen zu verarbeiten, wie absurd das alles war, außer der Frau, die im Bett lag, diese war inzwischen in Ohnmacht gefallen.