Ich finde die Diskussion um Amokläufe (oder in diesem Fall einem gezielten Mord) immer ein wenig erschreckend. Weil - ohne einzelne damit ansprechen zu wollen, da gerade die Medien in Oberflächlichkeit nicht zu überbieten sind, mir diese Diskussionen vor Augen führen, wie wenig Menschen dazu in der Lage sind, sich in andere hinein zu versetzen.
Hinein versetzen heißt "nicht" gutheißen! Es bedeutet, die Gründe nachvollziehen zu können, warum ein Mensch so gehandelt hat, wie er eben gehandelt hat. Aber nicht seine Tat zu entschuldigen.
Dementsprechend weit gehen die Reaktionen der Öffentlichkeit auf solche Taten. Die oben genannten Medien schaffen nämlich auch die Meinungen der Leute - Die meisten "Meinungen" entstehen dadurch, dass wir vergessen haben, wo wir sie mal gelesen oder gehört haben. Ein Paradebeispiel für diese Ignoranz der Gesellschaft sind die laufenden Forderungen nach einem Killerspielverbot. Es sollte im Jahr 2010 eigentlich bekannt sein, dass Gewaltmedien keinen Täter zum Täter machen. Da Amokläufer diese Medien anders nutzen als friedliche Menschen, sind diese Medien für sie besonders anziehend. Aber ich will diesen Post nicht nutzen, um zur Diskussion über die Richtigkeit der Killerspieldebatte ab zu schweifen.
Ich denke, und das ist auch das Statement vieler Psychologen dazu, dass es Amokläufern nicht (nur) darum geht, Gott spielen zu können bzw. in ihrem Leben mal der Held zu sein. Das wird in den Medien häufig so dargestellt, aber der Anreiz Gott über das Leben anderer zu Spielen ist nur ein Tropfen des Ozeans.
Was letztendlich zu Taten wie diesen führt, ist der Groll gegen die Welt.
Alle der so genannten Amokläufer hatten in ihrem Leben ein besonders erniedrigendes oder in ihren Augen ungerecht empfundenes Ereignis. Anmerkung: Dazu gehört auch das Gefühl, von anderen nicht ernst genommen zu werden. Dies kommt in unserer Gesellschaft leider viel zu oft vor. Die Menschen leben heute nebeneinander, nicht miteinander. Jedoch braucht der Mensch Aufmerksamkeit. Nichts kränkt oder verletzt Menschen mehr als Ignoranz. Selbst Mobbing ertragen wir leichter, als von allen zu ignoriert zu werden. Den Menschen fehlt es ein wenig an Herzlichkeit, wir behandeln andere nur noch mit egozentrischer Kälte.
Wir leben vor allem in Deutschland heute in einer radikalen Leistungsgesellschaft, die sehr hohe Leistungen an die Menschen stellt, sei es in beruflicher, sozialer oder schulischer Form. Es gibt immer Menschen die dieser Leistung nicht gerecht werden können oder wollen. Wenn ein Jugendlicher mit gutem Realschulabschluss aus Folge der Wirtschaftskrise ausschließlich Absagen auf seine Bewerbungen bekommt, verursacht dies das Gefühl, selbst nicht Herr über das Schicksal zu sein. Dieses Gefühl ist gefährlich, so gibt er in Folge dessen der Gesellschaft Schuld für seinen Zustand. Nicht Herr über sein eigenes Schicksal zu sein, bedeutet, anderen ausgeliefert zu sein. Dies führt zu einer Verbitterung des Gefühlszustands. Jede Niederlage vergrößert die empfundene Kränung und damit die Verbitterung. Und Verbitterung hat heute Konjunktur.
Ebenso handelt es sich um Amokläufer nicht um lasziv Depressive, die nur eine besonders aufmerksamkeiteregende Methode des Selbstmordes ausüben. Depressive fühlen sich selbst verantwortlich für ihren Zustand, während verbitterte Menschen die Schuld von sich weisen.
Während Depressive ihre Aggression vornehmlich nach innen richten und infolge dessen Selbstmord begehen, empfindet der verbitterte Amokläufer Hass auf die Welt und auf andere Menschen, jedoch nicht auf sich selbst, da dazu seine in sich gekehrte Persönlichkeit in der Regel nicht in der Lage ist. Solche Menschen sind in ihren Augen nie selbst an ihrem Leid schuld! Sie gehen in ein Kaffee, sprechen nicht mit dem Kellner und beschweren sich anschließend, dass er ihnen kein Getränk gebracht hat.
Der Amokläufer sieht sich selbst als "das" Opfer anderer Menschen oder der Gesellschaft. Es ist ein unsicherer, in die Ecke gedrängter Mensch, der durch die Gesellschaft zu tiefst gekränkt oder gedemütigt wurde. Nach und nach führen diese Kränkungen zu einer Schwarz-Weiß-Sicht und zur Isolation, zu dem Mantra "Ich gegen den Rest der Welt". Gefährlich wird es, wenn diese Aggression nach außen durchbricht. Da sie sich selbst als Opfer sehen, halten sie ihre Tat auch für gerechtfertigt, da sie nur Rache gegenüber den vermeintlichen Aggressoren walten lassen, die ihr Leben zerstört haben. Für sie ist es ein Weg, die Gerechtigkeit wiederherzustellen.
Dir traurige Vorgeschichte, die zu so einer Tat führt, ist meist lange und komplex. Wir wissen fast nie etwas über den Leidensweg eines Amokläufers. Ich will damit nichts entschuldigen! Natürlich ist es nicht richtig, Lehrer oder andere Menschen für eignes Leid zu "bestrafen", vor allem, wenn diese selbst unschuldig sind. Doch sollte diese Form der Rache auch nicht als plumpe Show zwecks Aufmerksamkeitsbeschaffung abgestempelt werden, die durch Medien und Gewaltverherrlichung in diesen hervorgerufen wird. Ebenso ist ein Amokläufer noch lange kein "schwacher" Mensch, sondern vielleicht nur ein leicht kränkbarer Mensch. Ich denke, man sollte es sich in der Beurteilung der Täter eben nicht immer so einfach machen. Die einfachste Lösung ist selten die Beste.
Anstatt dessen sollten Amokläufe die Menschen in meinen Augen zum Nachdenken anregen. Nicht zum Nachdenken, ob Gewaltmedien richtig oder falsch sind, oder ob Waffen verboten werden müssen oder nicht. Sondern zum Nachdenken, wie wir andere Menschen heute behandeln, ob sie es wirklich verdient haben, als "Loser" abgestempelt zu werden, nur weil sie den Zwängen des Gruppenzwangs nicht nachkommen oder beim Sport keinen Ball fangen können. Menschen, die Individuen sind, also sich von der Masse abheben, finde ich persönlich sogar interessanter als oberflächliche Proleten. Proleten, oder Menschen, die jedem Gruppenzwang nacheifern müssen, ohne sich selbst dazu eine Meinung zu bilden, sind in meinen Augen nämlich die wahren Versager unserer Gesellschaft.
In diesem Sinne liegt es in der Verantwortung eines JEDEN, andere Menschen mit Respekt und Würde zu behandeln. Und auch mit Herzlichkeit! Das sehe ich leider immer seltener. Würden sich die Menschen mit mehr Herzlichkeit und Respekt behandeln, so wäre ich mir sicher, dass solche Taten viel seltener oder gar nicht mehr passieren würden.
Denn ist es nicht seltsam, dass in manchen Ländern eigentlich nie Amokläufe geschehen und in anderen wie Deutschland und den USA immer häufiger? In den Ländern des Mittelmeerraumes – Also Italien oder Spanien, gab es bis heute nicht einen einzigen Schulamoklauf, obwohl die Menschen dort genau so viele Waffen besitzen und Gewaltmedien konsumieren... Allerdings ist die Lebenseinstellung in diesen Nationen eine andere. Die Menschen sind zu sich freundlicher.
Die sich häufenden Amokläufe sind in meinen Augen einfach ein Zeichen für die immer mehr zunehmende Kälte unserer Gesellschaft. Sie sind ein Indikator dafür, wie Menschen sich untereinander behandeln.
Was aber, wie gesagt, nicht in Verantwortung von Politik gehört, sondern in die Verantwortung eines jeden Menschen.