KAUKASUS-KONFLIKT
Wie die Russen ihre Besatzung auskosten
Von Matthias Gebauer, Gori
Sie bewegen sich, doch von einem Abzug kann keine Rede sein. Mit ihren Checkpoints kontrollieren die Russen weiter große Teile Georgiens - und sie schaffen Militärmaterial des Gegners aus dem Land. Temporäre Besatzer sehen anders aus.
Gori – Alexander Lomaia hat in den letzten Tagen wenig geschlafen, eigentlich fast gar nicht. Dicke Ringe unter den Augen des georgischen Vorsitzenden des Sicherheitsrats zeugen von Stress, aber auch vom Frust. Pendelnd zwischen den Linien der georgischen und der russischen Armee versuchte der Spitzenpolitiker immer wieder, die Russen zum versprochenen Abzug zu drängen oder wenigstens Durchfahrtserlaubnisse für Hilfstransporte zu bekommen.
Viele Erfolge kann er nicht vorweisen. Heute Mittag stand er mit hochgekrempelten Ärmeln auf dem Marktplatz der strategisch wichtigen Stadt Gori, nur wenige Kilometer südlich von der südossetischen Grenze. Die Analyse des Tages fiel wieder einmal düster aus. "Von einem Abzug kann keine Rede sein", konstatierte der Georgier mit heiserer Stimme, "vielmehr breiten sie den von ihnen überwachten Raum weiter aus". Direkt vor Lomaia glänzte in Gori eine riesige Stalin-Statue.
Was der Unterhändler beschrieb, konnte man bei einer Fahrt nach Gori leicht sehen. Keine 20 Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt, auf der wichtigsten Verbindungsstraße des Landes, endete das Gebiet, das georgische Truppen kontrollieren. Eine Kurve weiter schon hatten russische Truppen einen Checkpoint errichtet, sie ließen nur Journalisten durch. Artilleriestellungen und Scharfschützen auf den umliegenden Hügeln signalisierten überdeutlich, wer hier das Sagen hatte.
Trotz aller Ankündigungen aus Moskau und allen Hoffnungen in Tiflis, das wurde heute deutlich, wird dies auch noch für längere Zeit so bleiben. Offensichtlich bewegten die Russen ihre Truppen zwar intensiv auf georgischem Gebiet, doch von einem Abzug war nichts zu erkennen. Es ist die Attitüde der Kontrollposten, die viel aussagt. Freundlich, fast wie Polizisten in ihrem eigenen Land, stoppten sie die Wagen. Oft fiel die Phrase "No Problem", und es wurde gelacht.
Jetzt spielen die Russen Polizei
Temporäre Besatzer sehen anders aus. Vielmehr scheinen die Russen fest entschlossen, nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrags ihre Version des Papiers durchzusetzen. Was das heißt, beschreibt dieser Tage gern ein fülliger General der Armee, der mit einem Jeep in der Region herumrast und viel mit Journalisten redet. "Wir haben hier die Mission, den Frieden zu bewahren", sagt General Wjatschislaw Borisow gern. So auch heute am frühen Morgen, als er am Ortseingang von Gori ein Team von Reportern begrüßte.
Borisow machte aus seiner Sicht der Dinge kein Geheimnis. "Sehen Sie hier irgendwo Polizei oder georgische Armee", fragte er rhetorisch in die Runde. Da dies nicht der Fall sei, müssten die Russen eben einspringen. Der General hat Sinn für Humor, auch wenn es ein zynischer ist. Schmunzelnd zitierte er aus den Genfer Konventionen, die seine Armee schlicht verpflichteten, die Zivilbevölkerung zu schützen. "Wir nehmen Plünderer fest und kontrollieren die Stadt", sagte er.
Was hinter den blumigen Worten steckt: Nach Ende der Kampfhandlungen haben die russischen Truppen Georgien massiver geschwächt, als es für möglich gehalten worden war. Faktisch ist das Land in zwei Hälften geteilt. Von Tiflis aus führt kein Weg mehr in den Westen, durch die Sprengung einer Eisenbahnbrücke ist auch der Warenverkehr zum Stillstand gekommen. Jenseits von Gori haben die Russen fast vollständig die Kontrolle übernommen.
General Borisow aber wollte uns lieber die Lage in Gori zeigen. Der Trip war gut geplant: Zuerst ging es in eine orthodoxe Kirche in Gori. Der General nahm seine Kappe ab und betete vor der Weltpresse mit den Einwohnern von Gori. Nach dem Geistlichen ergriff er selber das Wort. "Wir wollen euch nichts Böses, sondern euch schützen", referierte er vor den Gläubigen, die ziemlich ängstlich vor dem 120-Kilo-Mann standen. Man werde das schon hinbekommen, wenn beide Seiten kooperieren.
Provokante Gesten selbstbewusster Besatzer
In Gori selber waren an diesem Morgen in der Tat nur noch sehr wenige russische Soldaten zu sehen. Egal aber in welche Himmelsrichtung man fuhr, überall waren Checkpoints eingerichtet, zum Teil sogar mit Betonsperren gesichert, an denen die Armee jedes Auto stoppte. Manche wiesen Soldaten sich als "peacekeeper" aus, die Südossetien "vor Angriffen der Georgier" schützten. An der nur einige Kilometer entfernten Grenze zu Südossetien auf der Straße nach Zchinwali verlangten russische Soldaten gar ein russisches Visum für die Durchfahrt.
Auch wenn die Visa-Kontrolle nur eine provokante Geste von selbstbewussten Soldaten sein mochte, illustrierte sie doch, dass Moskau die abtrünnige Region bereits als eigenes Gebiet erachtet. Ebenso verhält es sich mit den sogenannten Friedensoldaten. Die Präsenz ihrer Checkpoints unterstreicht den Eindruck, dass Moskau fest entschlossen ist, rund um Südossetien eine Pufferzone zu schaffen, die mehrere Kilometer nach Georgien hineinragt.
Ob die Pufferzone alles ist, erscheint in der chaotischen Lage keineswegs klar. In Gori ist im Radio schon jetzt ein russischer Sender zu hören, den die Truppen von einer mobilen Station ausstrahlen. Zuvor hatten sie den lokalen Sender zerstört. Menschen auf der Straße berichteten zudem, ihnen seien russische Pässe angeboten worden. Auch wenn dies nicht zu überprüfen war, alarmiert die Lage die Regierung in Tiflis. Die Menschen hier, das ist Tradition, tendieren dazu, sich lieber dem militärisch stärkeren Partner anzuschließen.
In der Stadt selber herrschte noch immer eine beängstigende Stimmung. Langsam erst trauten sich die wenigen Menschen, die nicht geflohen waren, aus ihren Häusern. Wenn ab und an ein Hilfstransport eintraf, brach Chaos aus. Frauen rissen sich an den Haaren von der offenen Ladefläche, um an einen Sack Reis zu kommen. Den Erfolgreicheren wurden ihre Waren oft an der nächsten Ecke wieder abgenommen. An Bäckereien bildeten sich lange Schlangen. Am Ortsausgang bettelten Menschen um eine Mitfahrt ins sichere Tiflis.
Wie Russland die Destabilisierung Georgiens betreibt
Die georgische Regierung, internationale Unterstützung hin oder her, kann dem Treiben der Russen nur zusehen. Die eigene Armee, so jedenfalls die Darstellung von Unterhändler Lomaia, ist mittlerweile rund um Tiflis konzentriert. "Bis heute haben wir keine Garantie, dass sie nicht doch auf einmal in die Hauptstadt kommen", gesteht er ein, "auch wenn es nur für eine Rundfahrt ist, um uns weiter zu demütigen". In seiner Stimme ist zu hören, dass nichts mehr ausgeschlossen ist in dieser Lage.
Auf dem Mobiltelefon seines Leibwächters zeigte Lomaia uns heute auch das Ergebnis eines anderen Teils der russischen Operation. Leere Waffenlager, ausgeräumte Baracken und leere Parkplätze waren auf den Fotos zu sehen, die er auf einer georgischen Armeebasis nahe Gori gestern gemacht hatte. Den Stützpunkt, einst Stolz Georgiens und der erste Standort, der nach Nato-Standard ausgerüstet war, haben die Russen erfolgreich demilitarisiert. Mindestens drei weiteren wichtigen Basen ging es ähnlich.
Alexander Lomaia macht sich für die kommenden Tage wenig Illusionen. "Wir werden um jeden Meter kämpfen müssen", sagt er, "und die Russen haben alle Zeit der Welt." Dann klingelt wieder das Mobiltelefon, einer seiner Mitarbeiter aus einer Region weiter westlich ist dran. Gute Nachrichten hat der Mann nicht; dort, wo kein Journalist in den letzten Tagen mehr hingekommen ist, hat die russische Armee eine komplette Kaserne in Brand gesteckt.
Sicherheitsberater Lomaia wollte über den Vorgang noch am Nachmittag mit seinem Gegenüber Borisow reden, meinte er. Viel herauskommen wird dabei wohl nicht. Für die Russen ist die Destabilisierung Georgiens eine Frage der eigenen Sicherheit, da werden sie keine Abstriche machen. Offenbar aber ist Moskau mit der Arbeit der Truppen zufrieden.
Am späteren Nachmittag teilte der Kreml mit, der wirkliche Abzug solle Montagmittag beginnen. (mehr...)