Das war doch wohl alles ein schlechter Scherz ... oder viel eher ein böser Albtraum. Cirien war sich ihrer Überlegenheit so sicher gewesen, allerdings war sie ebenso davon ausgegangen, gegen gewöhnliche Magier anzugehen. Abtrünnige der Akademie, Hexen, vielleicht sogar daedrische Kultisten. Mit all dem wäre sie höchstwahrscheinlich zurechtgekommen, aber nicht so mit widerwärtigen Nekromanten. Und nun? Nun hing sie kopfüber in einer kalten, muffigen Gruft. Ihr stieg der Geruch von verwestem Fleisch stieg ihr aufdringlich in die Nase und das elende Knarzen und hölzerne Klackern von blanken Knochen auf kaltem Felsboden ließen der jungen Bretonin das Blut in den Adern gefrieren.
Natürlich verspürte sie Todesangst, doch sie würde diesen Totenbeschwörern sicher nicht die Genugtuung lassen, sich an ihrer Verzweifelung zu laben. Daher tat sie ihr bestes, das Zittern ihres gefesselten Körpers zu unterbinden und nicht zu weinen zu beginnen. Doch neben Angst verspürte sie auch Wut - nicht nur auf ihre "Gastgeber", sondern vielmehr auf sich selbst. Eibon hatte wieder einmal Recht gehabt ... so war es doch immer. Und sie hatte seine Warnungen einmal mehr in den Wind geschossen. Das Ergebnis sprach für sich.
Und Zaubern konnte sie in ihrer Position auch nicht. Nicht mit gefesselten Händen. Und da sie weder mit ihrer Magie Leben aufspüren konnte noch Eibon hatte, der sie führte, war sie das erste Mal seit langer Zeit wieder tatsächlich blind. Wie ihr diese Hilflosigkeit auf Nerven ging ... das Gefühl, nichts tun zu können. Dieses Gefühl wob Gedanken, dass ihre Eltern womöglich recht hatten, und das gefiel Cirien noch viel weniger.
Das war der Stand der Dinge. Eine scheinbar aussichtslose Situation, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in ihrem Tod enden würde. In regelmäßigen Abständen nahm sie die Präsenz einer dunklen Magie wahr ... und sie hörte eine Person des Öfteren fluchen. Mindestens einer der Totenbeschwörer war hier in dem selben Raum, und versuchte sich vermutlich an irgendwelchen dunklen Ritualen. Was genau, das konnte Cirien natürlich unmöglich wissen. Sie wahr zwar eine fähige Beschwörerin, aber von Nekromantie hatte sie sich bisher ferngehalten. Aus gutem Grund - denn wer die Totenbeschwörung praktizieren wollte, der musste sich zwangsläufig mit gefährlichen und unberechenbaren Mächten einlassen. Und obendrein wurde man von der Gesellschaft ausgestoßen.
Sich nähernde Schritte rissen die Bretonin abrupt aus dem Gedankenkonstrukt, in das sie sich zu flüchten versucht hatte, um sich von ihrer gegenwärtigen Lage abzulenken. Eine knochige Hand, die jedoch scheinbar zu einem lebendigen Körper gehörte, strich ihr sanft über die Wange und neigte ihren Kopf leicht. Die Berührung sorgte dafür, dass Cirien eine richtige Gänsehaut bekam, während ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, wie das Gesicht wohl aussah, dass zu dieser Hand gehörte.
"Sehr schön ... wirklich vielversprechend. Mit diesem Exemplar kann ich arbeiten." Die Stimme wirkte auf die Beschwörerin wie ein eiskalter Hauch von Verdammnis, der aus einem tiefschwarzen Grab entwich. Sie wagte es nicht einmal, zu atmen. Doch völlig gleich, wie verängstigt sie war, sie wollte es den Totenbeschwörern keinesfalls zeigen. Sie nahm ihren restlichen Mut zusammen, versuchte, ungefähr auszumachen, wo die Gestalt sich befand und spuckte anschließend in diese Richtung. Dem Geräusch nach zu urteilen hatte sie getroffen, und auch die Hand entfernte sich.
"Ich hoffe, Molag Bal holt eure verdorbenen Seelen, ihr dreckigen Leichenschänder!", rief sie anschließend. Ob es so klug war, diese Totenbeschwörer zu reizen? Vielleicht nicht, aber in ihren Augen war sie bereits totgeweiht. Da konnte sie ihren Entführern wenigstens die Meinung sagen. Den Nekromanten schienen all das jedoch kaum zu verärgern. Im Gegenteil.
"Ah, ein temperamentvolles Exemplar obendrein. Keine Sorge, kleines Vögelchen. Wir beide werden noch früh genug das Vergnügen haben." Mit einem unheilvollen Lachen entfernten sich die Stimme und ihre Schritte wieder.
Wo ist bloß ein tapferer Held in strahlender Rüstung, wenn man auf einen angewiesen ist?