Ein ungutes Gefühl schlich sich in Naevia's Magengrube, legte sich wie schwere Ketten auf ihr Brustkorb und ließ sie wachsam bleiben, während sie die Gänge unter Augenschein nahm. Es musste etwas Grauenhaftes an diesem Ort sein Werk treiben. Als die Halbelfe Stimmen vernahm, schloss sie wieder zu den anderen auf und betrachtete die zwei Unbekannten ausgiebig, während sie ihnen in den abgelegenen Raum folgte. Während Keer-Mah die Fesseln der Fremden löste, fragte sich Naevia, ob es sich nicht auch um eine Falle handeln konnte. Wachsam betrachtete sie das Mädchen und dann wieder die Sprecherin. "Mein Name ist Naevia", stellte sich die Halbelfe vor und deutete auf ihre Begleiter, "Und das sind Keer-Mah und Yrenne." Sie kratzte sich nur kurz an der Stirn, bevor sie den festen Griff ihrer anderen Hand löste, die das Schwert zur Vorsicht bereit gehalten hatte. Selbst wenn es eine Falle wäre, konnten diese Zwei sie wohl kaum so einfach überwältigen.
"Leichenschänder?", hakte sie schließlich nach und starrte zurück in den Gang, bis zu dem Gittertor. "Gibt es hier noch mehr Gefangene? Wisst ihr, wie viele?", wollte sie wissen. Dass Cirien gesagt hatte, sie könne endlich wieder sehen, hatte Naevia ein wenig verunsichert. Mit den Händen sehen? War sie etwa?.. Mit fragendem Blick wartete die Halbelfe erst einmal auf eine Antwort.
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Es roch nach Blut. So frisch und tiefrot. Mit ihrem Messer löste sie das letzte Stück Tierhaut und -Fell von dem kostbaren Fleisch. Als Nyla schließlich in das frische Fleisch einschnitt, spritzte ihr das Blut noch in großem Bogen entgegen. Nylaathria liebte es, ein Tier auszunehmen, das wenige Augenblicke zuvor noch gelebt hatte. Diese Sauerei, für die Nyla bezahlt wurde, machte ihr Leben noch lebenswerter. Zufrieden schmierte sich Nyla das Blut aus dem Gesicht. Für einen kleinen Anteil hatte Nyla den Arbeitsplatz des Fleischhändlers geliehen, um in Weißlauf ihre schmutzige Arbeit vollenden zu können und sie an verschiedene Händler zu verkaufen. Als Nyla zufrieden den Gewinn aus dem Wild in ihre Beutetasche räumte, trat der bretonische Fleischhändler an Nyla's Arbeitsfläche heran und räumte seinen Anteil an Fleisch in eine Kiste. "Vielleicht sollten wir das nun öfter Vereinbaren.", sagte er, der sich stets nur knapp mit dem Handel über dem Wasser halten konnte. "Ich werd' drüber nachdenken.", murmelte sie, als sie bereits durch die Tür verschwand. Ein Schwall verschiedenster Düfte kam der Bosmer entgegen, als sie in das Licht hinaus trat. Blumen, aber auch Pisse und saure Milch vermischten sich zu einem unverwechselbaren Geruch, als Nyla durch den Marktbezirk trat. Es war viel los - an solchen Tagen wurden viele angenehme Gerüche von ekelerregendem, befremdendem Gestank abgelöst. Fremde Abenteurer, Jäger, Bettler und Diebe strömten durch die Stadt. Festen Schrittes eilte Nylaathria durch die fremden Leute, bis sie die Taverne erreichte. Endlich, endlich duftete es wieder angenehm. Met, Bier, Fleisch und Gemüse. Dazu bereits am hellen Tage raufende und saufende Tavernengäste, einheimisch oder aus fernen Städten. "Nylaathria, Ihr habt mich dieses Mal ziemlich warten lassen!", tadelte die Wirtin, als Nyla hinter den Tresen trat und ihre frischen Waren auspackte. "Ich dachte, zur Abwechslung könnte ich mir einen anständigen Arbeitsplatz zum Ausnehmen suchen. Dafür sind die Ergebnisse sauberer.", raunte Nyla und offenbarte sehr gutes, zartes Wildfleisch. "Wenn Ihr Platz sucht, könnt Ihr das auch in unserer Küche tun - aber nur, wenn Ihr die Sauerei danach beseitigt und keinen Aufpreis für das Fleisch verlangt!", bot die Wirtin an. "Meine Güte.. Das ist aber viel Fleisch. Wie soll ich das so schnell verkaufen?", lachte sie und betrachtete die Ausbeute. "Das übersteigt, was ich bezahlen kann, bei weitem.", murmelte sie. "Kein Problem.", sagte Nyla, "Ihr habt bisher immer eure Schulden gezahlt. Sagen wir einfach, ich habe etwas bei Euch gut.", schlug Nyla vor und bediente sich im nächsten Moment schon grinsend an den Äpfeln, die in einer hübsch getöpferten Schale auf dem Tresen standen. "Ihr könntet mir erzählen, was in meiner Abwesenheit in der Stadt geschehen ist und vielleicht auch den ein oder anderen Krug Met bringen lassen.", sagte Nyla mit kokettem Lächeln. Dann biss sie in den laut knackenden Apfel hinein, um endlich die erste Mahlzeit an diesem Tag zu sich zu nehmen.
Wenige Minuten später, als die Wirtin einen Moment Zeit zum Weiterplaudern hatte, war Nyla schließlich mit reichlich Met und Wildbret versorgt und lauschte aufmerksam, was sie ihr zu erzählen hatte. "Ich wünschte, ich hätte große Neuigkeiten zu erzählen. Momentan ist es aber ziemlich still in dieser Stadt geworden. Es gibt höchstens Geschichten über Halunken und Diebe, das übliche Gesindel nun mal. Vielleicht solltet Ihr Euch derer annehmen, aber ich bezweifle, dass Euch diese Arbeit zusagen würde.", erzählte die Wirtin und lehnte sich vor, um einen Schluck von Nyla's Met zu stibitzen. "Tatsächlich könnte ich Arbeit gebrauchen.", murmelte Nyla, "Ich kann nicht immer nur dieselbe Arbeit leisten. Es gibt bereits nichts mehr, was ich an meiner Arbeit verbessern könnte. Vielleicht ist es weggeschmissenes Talent, wenn ich mein Leben auf die Jagd beschränke?", dachte sie laut. Die Wirtin nickte nur und trank einen weiteren Schluck. Weil Nyla sie deswegen kritisch beäugte, zuckte die Wirtin nur mit den Schultern. "Was denn? Wenn Ihr dafür sowieso nicht bezahlen müsst..", rechtfertigte sie sich, während die Bosmer sich ihren Krug zurücknahm und die warme Flüssigkeit in wenigen Zügen leertrank, "Nun.. Wenn Ihr wirklich noch andere Arbeit sucht.. Gerade eben noch kam eine Bosmer, so ein Spitzohr wie Ihr es seid, in meine Taverne. Sie und ihre Gilde suchen arbeitswillige Abenteurer. Die werte Dame sagte, sie würde bei Zeiten den Gildenmeister vorbeischicken, um einen Handel mit mir zu schließen. Vielleicht solltet ihr verweilen und auf seine Ankunft warten?", erzählte die Wirtin, "sollte er am heutigen Tag nicht erscheinen, biete ich Euch auch ein Zimmer an." Mit nachdenklicher Miene aß Nyla von ihrem Wildbret und dachte über die Erzählung der Wirtin nach. Eine Gilde? Vielleicht wäre jetzt der Moment, in dem sich Nyla dazu entscheiden musste, ihr Leben nachhaltig zu verändern. Sie beschloss, zumindest etwas Zeit in der Taverne zu verbringen und mit dem Gildenmeister zu sprechen, wenn er erschien. Also verweilte sie mit ihrem Met und hielt die ein oder andere Plauderei mit der Wirtin.