Invasion der Freiheitsfresser
Zensieren, Überwachen, Regulieren: Was die Sicherheitspolitik angeht, ist Deutschland so trendy wie selten zuvor. Der bedenkliche Deal, Freiheitsrechte gegen mehr Sicherheit zu tauschen, wird überall in der westlichen Welt geschlossen. Und 2008 wird das nicht besser.
Ist sie wahr geworden, Don Siegels düstere Vision von der "Invasion der Körperfresser"? Könnte es sein, dass Aliens unsere Innen- und Justizminister weltweit gegen identische Kopien austauschten, die nun alle dieselben Forderungen stellen: zensieren, überwachen, regulieren? Dazu die Vorzüge der Teamarbeit entdecken, zumindest beim internationalen Austausch von Bürgerdaten?
Man könnte den Eindruck haben: Begründet durch angebliche Notwendigkeiten zur Kriminalitäts- und Terrorprävention drängen Politiker der westlichen Welt auf immer mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gilt dem schwindenden Häufchen von Menschen, die sich hierzulande noch für Themen wie Privatsphäre, Datensicherheit und Freiheitsrechte interessieren, längst als eine Art Graf Dracula, der beständig an den letzten Schutzrechten saugt.
Nachdem er erfolgreich Schutzrechte von Ärzten und Journalisten einschränken, Abhör-Befugnisse dagegen ausbauen ließ, wagte er Anfang Januar den nächsten Vorstoß. Bald sollen, wenn es nach ihm geht, sogar Priester abgehört werden können. Seine CSU-Kollegen preschen derweil mit einem eigenen Gesetz zur Onlinedurchsuchung vor, weil sie auf das Verfassungsgericht nicht warten wollen. Schlag auf Schlag geht das so seit Jahren. Diese Prognose sei gewagt: 2008 wird es nicht besser - nirgendwo.
Weltweiter Trend: Überwachung
Denn ein Blick über die Grenzen sorgt fast für Erleichterung: Im Vergleich zu ihren Kollegen sind hiesige Innenminister geradezu bescheiden.
Schon jetzt gelten laut einer aktuellen Studie von Privacy International neben China und Russland auch Großbritannien und die USA als Staaten, in denen die Überwachung der Bürger "endemisch" sei - was hier so viel wie heimisch, fest verwurzelt bedeuten soll. Deutschlands Datenschutz bekam 2007 das Prädikat "verfallend" verpasst - vom Überwachungsstaat trennen uns in dieser Systematik zum Glück noch zwei Stufen. Wirklich beruhigend ist dies jedoch nicht, denn bereits die nächst untere Stufe heißt "Systematisches Scheitern, die Sicherheitsmaßnahmen zu bewahren". Wenn es so läuft wie 2007, kriegen wir das 2008 wohl hin.
Was China, Australien, Großbritannien, Russland und die USA angeht, müssten sich die Beobachter der weltweiten Zensur- und Überwachungstendenzen allerdings langsam überlegen, wie man die unterste aller Kategorien noch unterkellern könnte. Denn Vollüberwachung ist offenbar ein an den technologischen Fortschritt gebundener, dehnbarer Begriff.
Das konnten die Leser des "New Yorker" am Montag letzter Woche aus berufenem Munde erfahren: In einem ausführlichen Interview machte Amerikas oberster Geheimdienst-Koordinator Mike McConnell dort klar, was mit der seit September ventilierten "Cyberspace Security Initiative" gemeint war: eine totale Erfassung der elektronischen Kommunikation.
Und das nicht nur im Sinne der in Deutschland seit 1. Januar 2008 praktizierten Vorratsdatenspeicherung, bei der Verbindungsdaten und -details archiviert werden. US-Geheimdienste, meint McConnell, müssten "alles lesen" dürfen, um Unheil zu verhindern. Bis hin zu den Suchanfragen bei Google.
Nur, um den Unterschied noch einmal klar zu machen: Dass Sie in diesem Augenblick von Ihrem Rechner aus SPIEGEL ONLINE lesen, soll bald für sechs Monate archiviert werden. Was Sie sonst im Web treiben, ebenfalls - inklusive (was Sie natürlich nicht tun) Zugriff auf illegale Inhalte, P2P, Musikdateien oder Pornografie. Dass Sie mit Person A einen E-Mail-Verkehr pflegen, wird ebenfalls erfasst - nicht aber, was in Ihren E-Mails steht.
Selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwartet McConnell in dieser Hinsicht kein leichtes Spiel. Wahrscheinlich, mutmaßt der oberste US-Geheimdienstler, werde man das erst durchsetzen können, wenn wieder "etwas Fürchterliches" passiere. Die Katastrophe als kalkulierter Hebel zur Durchsetzung missliebiger Gesetze? Schaurig.
Im Zweifelsfall ist alles nur noch eine Frage der Zusammenführung verschiedener Datenbestände. Das dürfte zu einem der Haupt-Trends des Jahres 2008 werden: Der zunehmend kollegiale Austausch von Know-how über alle Grenzen hinweg. Deutschland tauscht zwar keine DNA-Daten mit den USA, aber mit Österreich, die dann wieder mit den Amerikanern tauschen. Wer sich in ein Flugzeug setzt, dessen Daten werden zum Bestandteil des internationalen Bürgerdaten-P2P, wer international telefoniert, wird erfasst, national dagegen angeblich nur von den eigenen Lauschern.
Zweiter Trend: Ich sehe zu, dass Du nichts siehst
Zum frischen, die internationale Zusammenarbeit weiter befördernden Trend könnte auch der Austausch von Blocklists werden - Listen von Adressen und Medien im Web, die man lieber zensieren möchte. China hat da eine Menge Erfahrung, Russland arbeitet an einer eigenen Lösung: Die Putin-Regierung drängt auf Schaffung eines kyrillischen und somit vom Rest des Webs linguistisch wie typographisch abgesonderten Internets. Blase statt Free Flow of Information? Intra- statt Internet? Damit, warnt nicht nur der "Guardian", steige allerdings auch die Gefahr von Zensur und Überwachung - siehe China.
Nein, Zensur findet niemand gut. Am vergangenen Mittwoch bewilligte der US-Kongress 15 Millionen Dollar für die Entwicklung von "Anti-Zensur-Werkzeugen und Diensten". Damit sollen dann die virtuellen Mauern um "geschlossene Gesellschaften" wie China und Iran eingerissen werden.
Sehr gut, finden wir und regen an, diese Dienste dann auch anderenorts anzubieten: in Australien zum Beispiel. Dort drängt die neue Regierung darauf, Inhalte im Internet durch Blocklists zu zensieren. Serviceprovider und Telekommunikationsfirmen sollen Listen von Webseiten und IP-Adressen übermittelt bekommen, die dann in Australien nicht mehr gezeigt werden dürfen. So ließe sich zum Beispiel das Problem der Kinderpornografie lösen, wird argumentiert - noch so ein Argument, das wie das Stichwort Terrorprävention jeden mies aussehen lässt, der Widerspruch einlegt.
Doch den gibt es: Medien und Datenschützer mahnen an, dass das, was die Regierung plant, auf eine weitgehend unkontrollierte staatliche Zensur hinauslaufe. Weil nicht klar sei, wer eigentlich die Listen zusammenstellt und prüft.
Das große Reinemachen
Dabei wissen die Australier angeblich noch gar nicht, wie man die Blocklisten hinbekommen soll. Vielleicht sollten sie in Großbritannien nachfragen, wo Innenministerin Jacqui Smith schon sehr genau weiß, wie man das schafft.
Denn bereits seit Mai 2007 arbeitet Großbritannien mit Listen, die ganz unbürokratisch von der Internet Watch Foundation erhoben und gesammelt und sodann an die Regierung durchgereicht werden. Die sorgt wiederum für die Verteilung an die Service Provider, die zwar zurzeit auf die Barrikaden gehen, ansonsten aber lieber nicht erwähnen, dass angeblich über 90 Prozent von ihnen bereits mitmachen: Schließlich ging es zunächst ja nur um die Blockierung von Kinderpornografie - und wer könnte dagegen etwas haben?
Jetzt aber will Jacqui Smith die Blocklisten auf islamistische und andere politisch extreme Webseiten ausdehnen und möglicherweise mehr: "Wo auch immer illegales Material im Internet ist, will ich das entfernt haben!", forderte sie auf einer Anti-Terror-Konferenz vorletzte Woche eindeutig vieldeutig. Da schwant der britischen Presse langsam, dass dies auf einen Persilschein in Sachen Web-Zensur hinausläuft. Das, kommentierte Frank Fisher im Blog des "Guardian", sei "nicht die Art und Weise", wie eine Regierung mit einem so sensiblen Thema umgehen solle: Zwar sei es sinnvoll, Extremisten die Publikationsmöglichkeiten zu nehmen. Doch was im Einzelnen alles zensiert werde, müsse überprüft werden - beispielsweise durch ein parlamentarisches Aufsichtsgremium.
Doch Großbritannien, uns in allen modischen Dingen ja immer ein wenig voraus, ist da nur Vorreiter eines Block-Trends, der auch uns bald schon erreichen dürfte. Dafür sorgt beispielsweise EU-Vizepräsident Franco Frattini, der andeutete, er wolle auf europäischer Ebene verhindern, dass Serviceprovider Europas Bürgern weiterhin Bombenbau-Anleitungen und andere Illegalitäten zugänglich machen könnten. Wie erfreulich für Europas Sicherheitspolitiker: Ob auf diese Ankündigung auch eine schöne EU-Direktive folgt, auf die man sich so fein berufen kann, wenn man höchst unpopuläre Gesetze durchzusetzen hat?
In Deutschland klappt so etwas ja sogar, bevor die betreffende EU-Direktive wirklich durch ist, wie die Vorratsdatenspeicherung zeigt: Die ist hier längst Gesetz, während noch gar nicht klar ist, ob der Europäische Gerichtshof die EU-Verordnung nicht doch verklappt. Derweil verzögert das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über deutsche Verfassungsbeschwerden (darunter die mit 30.000 Beschwerdeführern größte aller Zeiten), indem die Senate über ihre Kompetenzen streiten.
Was bleibt, was kommt?
Die Trends hin zu mehr Überwachung, mehr Kontrolle und Regulierung sind klar zu sehen und international. Kaum auszumachen ist dagegen eine gesellschaftliche Debatte darüber, die dem Thema gerecht würde. In einer Welt, in der Jugendliche bei Facebook bereitwillig ihren 20.000 Freunden erzählen, wie es um ihr Intimleben bestellt ist und im Fernsehen gescheiterte Möchtegern-Stars freimütig bekennen, dass man halt Kakerlaken fressen muss, um sein Publikum wieder zu erreichen, haben Konzepte wie Privatsphäre, Datenschutz oder informationelle Selbstbestimmung einen schweren Stand.
2008 dürfte aus allen diesen Gründen kein gutes Jahr für diese einst bitter erstrittenen Schutzrechte werden. Streit um diese Themen scheint aber nötig, denn natürlich muss die Debatte geführt werden: Hier stehen sich schließlich nicht etwa zwei Fraktionen gegenüber, von denen die eine schützen, die andere Schutz abbauen wollte. Auch den Verfechtern der zunehmenden Kontrolle geht es letztlich darum, Freiheit zu schützen - nur eben mit Methoden, die selbst diese Freiheiten in Frage stellen. Die Schäubles dieser Welt verstehen sich als Hirten, die auf zunehmend scharf abgerichtete Hütehunde setzen, um die Wölfe draußen zu halten.
Was die Herde für sich entscheiden sollte, ist, wie oft und von wem sie sich lieber beißen lässt.