BKA-Tagung: Brieftauben verschlüsseln nicht
Drei Tage lang informierte das Bundeskriminalamt (BKA) auf seiner Herbsttagung über das Thema "Tatort Internet". Verglichen mit dieser "Fernuniversität des Terrors, die rund um die Uhr geöffnet hat", so BKA-Chef Ziercke, war das recht kurz, doch die Nachricht kam rüber: Den straffreien Raum Internet wird es nicht geben, weil es ihn nicht geben darf. Zum guten Schluss kamen im Rahmen einer Podiumsdiskussion erstmals die Kritiker der Online-Durchsuchung zu Worte.
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ZDF-Moderator Steffen Siebert hatte keine Mühe, die Diskussion in Gang zu bringen, dazu waren die Positionen zu klar vorgegeben. Der ehemalige Bundesinnenminister Baum, Beschwerdeführer beim Bundesverfassungsgericht, tat die Online-Durchsuchung als überflüssig ab und kritisierte die Arbeit der gesetzgebenden Politiker als Schluderei. Moderater gab sich Bundesdatenschützer Peter Schaar. Er habe keine Bedenken, wenn mit der Online-Durchsuchung tatsächlich gegen Terroristen ermittelt werde. Er habe aber Probleme damit, wenn das Verfahren auf umfangreiche Vorfeldermittlungen ausgeweitet werde. Als Beispiel führte Schaar die Kontoabfrage an, die zunächst nur für schwerste Straftaten wie Terrorismus und organisierte Kriminalität gedacht war und nun zur Kontrolle von Hartz-IV-Beziehern verwendet werde.
Die Gegenposition bezog der hessische Innenminister Volker Bouffier. Er wischte die Bedenken mit der Bemerkung vom Tisch, dass es Aufgabe des Staates sei, Opfer zu vermeiden, und erntete mit dieser Position wiederholt den Beifall des Auditoriums. Bouffier nahm vom Moderator in die Diskussion eingebrachten Vergleich auf, den Innenminister Schäuble gemacht hatte. Ob durch die Kommunikation mit Brieftauben oder über Telefon oder mit dem Internet, immer müsse es darum gehen, dass der Staat Einblick in die Kommunikation von Verdächtigen nehmen kann. "Brieftauben verschlüsseln nicht. Sie wollen einen Polizisten in den Schrank des Brieftaubenzüchters setzen," entgegnete Datenschützer Schaar.
Unbeeindruckt von den Bedenken der Kritiker zog BKA-Chef Ziercke am Ende sein Fazit der Tagung. Sie habe die Notwendigkeit einer Kriminalistik der digitalen Welt gezeigt, wie sie auch seine Grundsatz-Thesen bestätigt habe (inzwischen als PDF-Datei vom BKA veröffentlicht). Besonders erschreckend sei es, dass terroristische Propaganda mittlerweile in Kinderzimmer eindringe. Unter Bezugnahme auf das Referat (PDF-Datei) des Arabisten Yassin Musharbash erklärte Ziercke, dass sich Al-Qaida nur mit Hilfe des Internet von einer Kader-Organistation zu einer interaktiven Terror-Organisatuin zu wandeln. Die anonymisierte, kryptierte und nomadisierende Kommunikation der Terroristen verlange dringend nach Mitteln wie jenen der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung. "Den maßgeschneiderten Modi Operandi von Terroristen und Schwerkriminellen müssen wir maßgeschneiderte Ermittlungsinstrumente entgegensetzen," erklärte Ziercke seine Forderung nach technikoffenen flexiblen Lösungen. Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung von Technik und Recht müsse aufgehoben werden. Dies sei besonders darum wichtig, weil die "realen Probleme von heute die Verbrechen in den virtuellen Welten von morgen sind".
In der abschließenden Pressekonferenz erklärte Ziercke, dass Österreich, die Schweiz und Spanien die Länder sind, die die Technik der Online-Durchsuchung bereits umgesetzt hätten. Zumindest in Bezug auf Spanien gibt es für diese Aussage von dortigen Juristen keine Bestätigung, wie es auf der Bochumer Tagung zur Online-Durchsuchung bekannt wurde. Unter Verweis auf die europäische Dimension der Vorratsdatenspeicherung erklärte Ziercke, dass alle Länder schon erkannt haben, dass man handeln müsse. Bei zwei konkreten Anlässen habe man die Online-Durchsuchung benötigt. Für die Zukunft schätzte der BKA-Chef erneut, dass in 10 bis 15 Fällen pro Jahr zur Online-Durchsuchung gegriffen wird, um der Auswertungsproblematik bei kryptierten Inhalten begegnen zu können und so noch während eines laufenden Ermittlungsverfahrens die massenweise anfallenden Daten auf wichtige Inhalte sieben zu können. "Nur so haben wir die Chance, im laufenden Verfahren zu erfahren, welche Objekte Ziel eines Anschlages sein sollen."
Ziercke bestätigte dabei, dass die geforderte Quellen-TKÜ vor allem wegen der Skype-Telefonate benötigt wird. Mit Skype selber habe man bislang keine Gespräche geführt, um sich Backdoors offen zu halten. Ebenso mache es für ihn keinen Sinn, von der Bevölkerung zu verlangen, dass alle Kryptoschlüssel zentral hinterlegt werden müssen, weil sich Schwerkriminelle und Terroristen nicht an die Regelung halten würden. Auf Nachfrage von heise online erläuterte Ziercke seine Forderung, Kompetenz-Center zur Analyse von Massendaten einzurichten. Entsprechende Geräte können 50 bis 60 Millionen Euro kosten und könnten angesichts der weiter abnehmenden Halbwertzeit von IT-Anlagen nicht von allen Kriminalämtern einzeln angeschafft werden.
Insgesamt wurde mit der Herbsttagung deutlich, dass für die Kriminalisten das "Sicherheitsversprechen des Staates gegenüber seinen Bürgern" (Ziercke) auf dem Spiel steht und sie darum ohne wenn und aber die Online-Durchsuchung, die Quellen-TKÜ und die Einrichtung von Kompetenz-Centern fordern. An der technischen Umsetzbarkeit der Maßnahmen haben die Spezialsten absolut keinen Zweifel. "Wenn die Verdächtigen über offene WLANs ins Internet gehen, haben wir keine Probleme, einen Ü-Wagen hinzustellen und ihnen ein offenes WLAN zu geben", erklärte ein Beamter gegenüber heise online. "Schauen Sie sich doch Ihre Kollegen an." In der Tat: Bedenkenlos nutzten die meisten Pressevertreter die bereitgelegten Netzwerkkabel des BKA, um ihre Berichte in die Redaktionen zu mailen.
(Detlef Borchers)