Wer sich fragen kann, ob das Leben lebenswert ist, ist schon einmal in einer privilegierten Position. Zunächst einmal hat er überhaupt die kognitive Möglichkeit dazu (das ist keine Selbstverständlichkeit). Auch scheint es für denjenigen eine noch nicht definitiv entschiedene Fragestellung zu sein, d. h. er ist wohl noch nicht völlig am Boden. Und vor allem: Sein Leben lässt ihm noch so viel Freiheit, dass er über so etwas nachdenken kann. Jemand, der in äußerster Not lebt, wird die meiste Zeit damit beschäftigt sein, zu überleben. Vielleicht nicht einmal für sich selbst, aber möglicherweise für andere (Kinder, Eltern, ...). So geht es Millionen von Menschen. Selbst für am Leben zweifelnde Menschen ist der Überlebenstrieb immerhin noch so stark, dass sie sich selbst nicht einfach verhungern lassen würden.
Kranke Menschen mit pausenlosen unerträglichen Schmerzen, schwer Depressive, Folteropfer "usw." - für sie gibt es nur noch die pure Faktizität und die ist nur eines: Schmerz. Da gibt es kein Abwägen mehr über den Wert des Lebens, weil das die zermürbende und übermächtig gewordene Gegenwart nicht mehr zulässt. Wie soll z.B. der schwer Depressive bei solch einem Abwägen, Beurteilen und Bewerten noch etwas anderes vor Augen haben können als dieses eine leidvolle und unendliche Jetzt? Die Vergangenheit, die vielleicht schöner war (oder auch nicht: manche Menschen müssen vom Tag ihrer Geburt an immer leiden), die hat jetzt kein Gewicht mehr und sie kann auch nicht erinnert werden, und eine Zukunft? Die hat derjenige nicht oder er könnte sie zumindest in diesem Jetzt nicht imaginieren.
Ich denke, das sollte man vor Augen haben, wenn man über den Wert des Lebens nachdenken will. Was für ein Segen, dass man das noch kann. Es ist noch etwas in der Schwebe.
Ich für mein Teil wünschte mir nur, ich könnte authentisch und innerhalb meines eigenen Wertekanons sinnvoll leben, damit mein Leben Früchte trägt, die zum schon vorhandenen Leid auf der Welt nicht noch mehr Leid hinzufügen (wenigstens das - aber vielleicht auch etwas Gutes dazutun?).
Dann hätte zumindest MEIN Leben einen Wert gehabt. (Und natürlich auch Sinn.)
So wie ich diese Diskussion verstehe, geht es aber auch um die Frage, ob das menschliche Leben GENERELL einen Wert hat, d. h. ich müsste mit der Antwort darauf auch über den Wert aller anderen Menschen entscheiden. Und das auch noch unabhängig davon, ob ihr Leben aus meiner Sicht sinnvoll ist oder nicht. (Oder ich müsste je nach meinem eigenen Urteil zwischen wertem und unwertem Leben unterscheiden.)
Implizit habe ich diese Entscheidung wohl schon getroffen: Wäre das menschliche Leben für mich etwas Unwertes (die Terminologie ist bekannt!), würde ich anders gegenüber mir und anderen handeln. Es ist ja offenkundig, dass man etwas, das für einen keinen Wert besitzt, anders behandelt als etwas für einen selbst Wertvolles. Das eine schmeiße ich fort, zerstöre es oder kümmere ich mich zumindest nicht darum, das andere hege ich. Ich handele aber in der Regel so, als ob das Leben (meines und das anderer) wertvoll wäre.
Ob das metaphysisch gesehen durch irgendein legitimierendes Prinzip gedeckt ist, kann ja ohnehin niemand entscheiden. Man kann Versuche anstellen, es "allgemein" zu begründen: Z.B. religiös oder durch ein der menschlichen Vernunft entsprungenes philosophisches Prinzip (hört sich jetzt an wie ein totaler Gegensatz, ist aber nicht als solcher gemeint ^^). Oder man sagt: Jeder muss das für sein eigenes Leben selbst entscheiden, so wie jeder auch seinen eigenen Sinn finden muss. (Hier ist wieder evident, welcher Voraussetzungen es allein schon bedarf, um überhaupt darüber nachdenken zu können, wie "privilegiert" man also sein muss. Über so etwas kann man kaum nachdenken, wenn man beispielsweise jeden Tag als Sklavenarbeiter malochen muss und hungert, wenn man Tag für Tag die ärgsten Schmerzen hat, dass man gar nicht mehr klar denken kann oder wenn durch Depression das Denken solchermaßen gehemmt und gelähmt ist.)
Ich halte es auch für u.U. "gefährlich", allzuschnell diesen Gedankengang zu gehen: Das Leben ist (oft) in der Hauptsache leidvoll, anstrengend, traurig - also ist es wohl nichts wert. Zumindest wäre das gefährlich, wenn man das nicht nur für sich gelten lassen wollte, sondern als allgemein wahre Aussage betrachtete. Dann ist es ja auch nichts Schlimmes mehr, wenn jemand solches Leben, das schließlich nichts wert, ist, auslöscht.
Das sind aber auch nur hingeworfene Gedanken von mir, ich hab mich nie systematisch damit beschäftigt.