Manarchios schrieb:
Von den Leuten die zu nem Psychiater rennen sind 90% (mal so ne rein persönliche Annahme) bekloppt, aber nicht im sinne von krank, sondern im Sinne von bescheuert.
hmmm .. ok.
Ich beschreibe mal einen Fall, der ja eigentlich oberflächlich betrachtet in dieses Muster passen müsste - also "bekloppt":
Eine frisch gebackene Mutter merkt kurz nach der Entbindung, dass sie nicht in der Lage ist, ihren gerade geborenen Sohn anzufassen. Wenn Sie das Kind auf den Arm bekommt, ist sie jedes mal heilfroh, wenn es eine Schwester wieder wegnimmt.
Geburtsvorbereitungskurse und das ganze Programm wurden übrigens von beiden Elternteilen absolviert. Das Kind war ein Wunschkind. Die Schwangerschaft wurde als glückliche Zeit erlebt und beide haben sich tierisch auf das Kind gefreut.
Das ganze zieht sich so weiter hinaus - auch noch weit nachdem Sie aus dem Krankenhaus entlassen ist.
Sie kann Ihr Kind weiterhin nicht anfassen. Sie beteuert auch, dass sie Ihr Kind liebt - wahrscheinlich so, wie jede Mutter ihr Kind liebt. Sie möchte, aber es *geht* einfach nicht. Hinzu kommt noch eine unerklärliche Angst, dem Kleinen irgendwie weh zu tun oder etwas falsch zu machen. Das ganze spitzt sich zu und kurze Zeit danach fühlt sie sich noch nicht einmal mehr in der Lage, sich dem Kind zu nähern.
Das alles erzeugt nun einen unbeschreiblichen Leidensdruck. Sie fühlt sich schuldig. Schuldig, eine schlechte Mutter zu sein, schuldig eine schlechte Ehefrau zu sein. Schuldig ein schlechter Mensch zu sein. Tiefste Depression.
Natürlich war sie auch fest davon überzeugt, der einzige Mensch auf diesem Planten zu sein, der so schlecht und schuldig ist, wie sie. Der Ehemann, der sich dem einen oder anderen anvertraut hatte, erntet übrigens nur mitleidige Blicke und Unverständnis.
An dieser Stelle würde ich jetzt mal zwischenfragen, ob irgend ein Nichtfachmann für dieses Verhalten irgendwie Verständnis hätte - das irgendwie nachvollziehen könnte, was da gerade in so einem Menschen vorgeht.
Schließlich (eigentlich viel zu spät) führte der Weg zu einem Psychologen und dann ziemlich unmittelbar in eine psychiatrische Klinik.
Dort "schwebte" die Frau in der ersten Tagen förmlich über den Flur. Man hatte zunächst weder das richtige Präparat, noch die für sie richtige Dosis gefunden. Ziel war es zunächst einmal den Leidensdruck erträglich zu machen.
Nachdem die Medikation erst mal ok war, wurde sie ansprechbar. Das führte dazu, dass sie sich auch mit Mitpatienten unterhielt. Dabei erfuhr sie, dass sich unglaublich viele Frauen (mal mehr oder auch weniger stark ausgeprägt) in einer ähnlichen Situation befinden - nur wird das totgeschwiegen. Man könnte fast sagen "In jedem Zimmer einer Wöchnerrinnenstation liegt eine betroffene Frau". Weiterhin erfuhr sie, dass das eine *vorübergehende* Störung ist, die teils psychische (Angst vor Überforderung) aber eben auch hormonelle Ursachen hat.
Drei Dinge sind ihr dabei bewusst geworden:
- Sie war plötzlich nicht mehr alleine
- Sie war kein schlechter Mensch, sondern krank
- Sie musste nicht für immer damit leben, sondern es würde vorübergehen
Das führte nun dazu, dass Sie kurze Zeit später gemeinsam mit ihrem Kind und ihrem Mann einen Platz in einer Klink finden konnte, die genau auf diese Problematik spezialisiert war. Nach etwa einem Jahr war sie soweit hergestellt, dass man meinen könnte, da wäre nie etwas gewesen. Allerdings war das für alle Beteiligten (sie selbst an erster Stelle, aber auch Ehemann, Eltern und Schwiegereltern) ein Weg durch deren kleine Privathölle.
warum schreibe ich das ? Zum einen, weil ich das bis heute 2 x in meinem privaten Umfeld erlebt habe und mich das alles wirklich sehr berührt hat.
Zum anderen, weil eine solche Erkrankung bis zu einem bestimmten Punkt für einen selbst gar nicht erklärbar ist. Man kann das einfach nicht nachempfinden, nicht erklären.
"Bekloppt" ist das einzige Wort, was wir ohne Hintergrundwissen im Normalfall dafür kennen.