Eine Welt ohne Götter. Niemand konnte sich das vorstellen. Es ging einfach nicht. Götter sind Teil der natürlichen Ordnung. Sie sind eine Instanz. Der Pantheon hatte noch nie als unverlässlich oder zusätzlich gegolten. Er war einfach da. Er war Teil vom Ganzen, gehörte dazu. Das Königreich Tyo hatte diese ungeschriebene Gesetzmäßigkeit immer geglaubt, immer mit ihr gelebt. Immer schon zu den Göttern gebetet. Hatte sich niemand gefragt was vor den Göttern war? Ob es da noch irgendetwas gab, vielleicht sogar eine Welt vor dieser hier, Bewohner die nichts mit dem Begriff 'Gott', oder 'Gebet' anfangen konnten? Was für eine Welt musste das gewesen sein? Wo war in dieser Welt die Magie? Welche Stellung hatte das Leben dort? Gab es dort nichts Unerklärliches? Hatte es dort nie Mächte gegeben, die über den Verstand hinaus gingen? Hatte es vielleicht einen Ersatz für den Pantheon gegeben und damit auch für diese geheimnisvolle Welt in der alle Götter lebten? Wo sie sich selbst und ihre ganze Spähre beherrschten? Was war mit dieser? 'Feob' wurde sie getauft. Wer hatte das festgelegt? Die Götter? Die Menschen? Niemand von beiden? Ist Feob einfach so entstanden wie die Berge, Seen, Meere und Ebenen von Tyo? Gab es dort andere Bewohner bevor die Götter waren, oder waren sie schon immer? War dann auch Feob schon immer? Ja, gab es vielleicht sogar so etwas wie eine Verbindung zwischen Feob und Tyo? War es alles nur ein Plan von Ao, Allvater und Schöpfer von allem? Doch wer hatte dann Ao geschaffen? Niemand konnte sich vorstellen das man solche Fragen klären könnte. Niemand wollte die meisten dieser Fragen klären. Was für ein Sinn hätte es auch? Der Pantheon ist immer da. Götter existieren schon immer und werden es immer tun.... oder nicht? Können Götter vielleicht sogar sterben und wenn es noch so theoretisch ist? Was ist eigentlich ein Gott? Was macht ihn aus? Was macht seine Stellung aus? Es war unablässig diese Dinge zu betrachten, wenn man folgende Ereignisse verstehen möchte...
Ein leises summendes Surren durchstreifte einen langen Säulengang. Zwischen den weißem Marmorstützen, die von beachtlicher Größe waren, wehten lange halbdurchsichtige weiße, dünne Stoffe in einem lauen Sommerwind. Zumindest hätte es sich auf der Haut so angefühlt. Doch keines Sterblichen Haut hatte diese Luft schon mal gefühlt, kein Auge je erblickt und kein Ohr die Geräusche vernommen. Das abendliche Licht fiel zwischen den zwei bis drei Meter großen Säulenzwischenräumen hindurch und tauchte die langen wehenden Stoffe in ein unbeschreibliches Licht. Von der anderen Seite fielen die Strahlen der frühen Morgensonne wie unsichtbare Krieger in diesen Gang ein und wurden ebenfalls von den seicht wehenden Stoffen in ein seltsames Licht getauscht. Es war hell und doch keine klare Sicht. Dunkel und doch konnte man alles erkennen. Da wo die gefilterten Strahlen von Morgen- und Abendsonne aufeinandertrafen, da in der Mitte des langen Ganges, dort schwebe eine kleine Kugel aus pulsierendem Licht leise surrend diesen mystischen Gang entlang. Auch die Kugel strahlte ein Licht aus, was weder die Atmosphäre der einen, noch der anderen Seite widerspiegelte, sondern seine ganz eigene Nuance zu kreieren schien. Es mischte dem Geschehen der Lichtstrahlen einen weiteren Farbton hinzu. Kein Maler und hätte er noch so viel Verstand, noch so viel Erfahrung, hätte diese Farbgebung zeichnen können. Kein Dichter fände Worte dafür. Die summende Kugel ohne feste Form kümmerte die Besonderheit dieses Ortes nicht. Sie hatte nur das Bestreben möglichste rasch weiterzukommen. So schwebte sie auf unsichtbaren Wellen in eben gleicher Bewegung den Gang entlang. Auch der laue Sommerwind hatte das Interesse dieses Wesens nicht geweckt. Einzig der große Torbogen, auf welchen es sich zubewegte, war für den kleinen Kerl bemerkenswert. Zwischen ihm waberte eine undurchsichtige bunte Masse und versperrte die Sicht auf ganzer Breite und sämtlicher Länge. Wie ein vertikaler Teich aus Quecksilber erschien die Masse. Die Lichtkugel hielt davor an und schien auf etwas zu warten. Kaum hörbar gab sie noch ein Summen von sich und schwebte wie in einem Dämmerzustand gleichmäßig auf der Stelle auf und ab.
Plötzlich schwappte eine Welle von allen Rändern des Bogens gleichzeitig über den bunten Quecksilberteich zum Zentrum und als sich die einheitliche Welle in der Mitte traf und wieder nach außen reflektiert wurde, verschwand die bunte Undurchsichtigkeit und machte einer vollkommen Transparenz Platz. Hinter dem Torbogen offenbarte sich der kleinen Lichtkugel ein stockfinsterer Raum. Er schien völlig aus dem Raster zu fallen, denn es gab weder sichtbare Wände, noch Abgrenzungen dazu. Auch einen Boden oder eine Decke suchte man vergeben. Es war als wäre man im puren Nichts. Die Schwärze füllte alles aus. In gewissen Abständen die durch das Fehlen von Fixpunkten unmöglich ein Maß beigemessen werden konnte, befanden sich ebenfalls solche Torbögen. Manche möchten meinen sie seinen kreisförmig angeordnet. Andere schätzen es vielleicht rechteckig, oder gar quadratisch ein. Es war unmöglich zu sagen. Hinter diesen Torbögen konnte ein Betrachter mit scharfen Augen identische Gänge ausmachen wie der durch den die kleine Kugel ohne Form gerade kam. Im nächsten Moment erschienen perfekte Abbilder an jedem Torbogen im Verhältnis zum Ort wo sich auch die echte Lichtkugel befand. Der kleine Kerl schwebte weiter in den Raum hinein als hätte er dort in dieser Finsternis irgendwo ein Ziel ausgemacht. Seine Abbilder taten es ihm von ihrem Startpunkt aus gleich. Es kam einem vor wie in einem Spiegelkabinett. Doch der Ort war gänzlich anderer Struktur.
Von jetzt auf gleich verschwanden die Abbilder wie sie gekommen waren, ohne Getöse, oder Lichtchaos. Sie waren einfach mitten in ihrer Bewegung verschwunden. Das Original blieb, schien das jedoch nicht zu interessieren, wie es auch das Auftauchen völlig ohne Reaktion geschehen ließ. Es war nicht mal wirklich klar, ob die Lichtkugel es überhaupt bemerkte. Sie schwebte einfach schnurstracks auf ihr imaginäres Ziel zu was nicht da war, über einen Boden der nicht existierte, in einem Raum der so wie er war nicht sein konnte und doch passierte es alles genau so. Noch absurder wurde das Ganze, wenn man die Torbögen bei dieser Bewegung von der Lichtkugel aus betrachtete. So entfernten sie sich immer mehr und wurden stetig kleiner. Doch gegen den gesunden Menschenverstand taten dies alle Torbögen zur gleichen Zeit und wenn man dies begriff und noch keine Kopfschmerzen davon bekam, sollte man sich auch noch bewusst sein, dass die Bewegung der Lichtkugel stets gleichmäßig nach vorne war. Der Raum bewegte sich keinen Millimeter.
Inmitten dieser Schwärze die nun durch die weit entfernten Torbögen noch wesentlich bedrückender wirkte, hielt das Wesen ohne Vorwarnung an. Wieder schien es auf etwas zu warten. Die Stille war angesichts des Raumes verheerend. "SPRICH!", donnerte ein Laut unbekannten Ursprungs durch die Schwärze. Weder konnte man ausmachen ob die Stimme männlich oder weiblich war, noch deren Lautstärke bestimmen. Es konnte einem vorkommen, als spräche der Raum selbst zu der kleinen Lichtkugel. "Wie auch bei den anderen Meister.", antwortete die Lichtkugel in einer Mischung aus Piepsen und Poltern zugleich. Doch die Stimme war nicht unangenehm, aber deutlich nicht von sterblichem Ursprung. "Er ist verschwunden und die meisten Imps mit ihm." Einen Moment herrschte wieder die drückende Stille in der Leere. Aus dem Nichts pellte sich irgendwo über dem unsichtbarem Zielpunkt der Kugel ein gleißender Lichtstrahl wie ein schwelendes Feuer unter einer Zimmerdecke aus dem Dunkel. Ihm entsprang ein Weiterer und diesem ebenfalls ein Neuer, ohne das die vorherigen verschwinden würden. Das Licht gebar sich selbst um ein unbekannten Kern inmitten sämtlicher Helligkeit. Trotz der enormen Größe der neuen Lichtkugel, welche die Kleine an Durchmesser um ein hundertfaches übertreffen musste, erhellte sie den seltsamen Raum kein bisschen, sondern schien einfach nur die Dunkelheit wo sie entstand gegen Licht auszutauschen. Der Vorgang war bei aller Faszination keine Überraschung für den kleinen Horts des Lichts. "GIBT ES HINWEISE?", donnerte es nun deutlich aus der großen Kugel heraus. "Nein Meister. Die Imps die ich fragen konnte sprachen von einem Ruck im Sein, welchen sie gespürt haben und einem Ende der Ewigkeit, welcher nur einen Augenblick andauerte bevor wieder alles war wie zuvor und sie wussten sofort das er fehlte. Sie haben es gespürt Meister." Stille. "GESPÜRT?" "Ja Meister." "BIST DU SICHER, DASS SIE ES SO BESCHRIEBEN HABEN?" "Ich gebe ihre exakten Worte wieder Gebieter." Erneut folgte eine lange Pause. Man könnte meinen, dass die große Kugel nachdachte und wenn man tief in sich hineinginge, konnte man es sogar spüren. "GEH NACH TYO. ICH HABE SCHON ANDERE VORAUSGESCHICKT." "Ja Meister Ao." "FINDE DIE ANDEREN IMPS. FRAGE SIE, WARUM SIE DORT SIND UND SCHICKE SIE UNVERZÜGLICH WIEDER ZURÜCK. SIE MÜSSEN BEREIT SEIN, WENN IHRE HERREN WIEDERKEHREN. ICH WERDE DIE ANDEREN GÖTTER FINDEN." Nun war es die kleine Kugel die innehielt und fast brannte es sich in den Verstand, dass sie so etwas wie ihren Mut zusammen nehmen musste. "Meister... sind wir in Gefahr?" Die riesige Kugel schwebte stumm auf und ab. Es verging unbestimmte Zeit, wobei eine Zeitmessung hier ohnehin sehr schwer war. Es konnten Sekunden sein, oder genauso gut Stunden. Nichts geschah. Ohne eine Antwort trat der kleine Imp den Rückzug an und nahm exakt den gleichen Weg, welchen er in den Raum hineingenommen hatte, schnurgerade auf einen immer größer werdenden Torbogen. Die große Lichtkugel implodierte wieder in schwellenden Lichtfetzen, bis sie sich gänzlich selbst aufgezehrt hatte und dort wieder die Finsternis auszumachen war. Inzwischen hatte der Imp seinen Torbogen fast erreicht. "JA. WIR SIND IN GRÖßTER GEFAHR!", donnerte es wieder von unbekanntem Ursprung durch den Raum. Die Kugel hielt ob der sehr späten Antwort an. "DOCH ES IST ZEIT. GEH NACH TYO." Ohne eine weitere Reaktion setze sich der Imp wieder in Bewegung und schwebte ohne erneutem Zwischenstopp durch den Torbogen, dessen Inhalt sofort nach dem Durchgang des Dieners wieder von innen nach außen die undurchsichtige, bunte Farbe annahm. Auch davon nahm der Imp keine Notiz. Er hatte eine Aufgabe.
In Kelgerssons Ruh fielen die ersten Lichtstrahlen durch die Fenster der Taverne. Wie in jeder Nacht blieben noch einige Gäste länger als es gut für sie war. Doch wo Grombart diese sonst freundlich, aber direkt von ihrem Schlafplatz aufheben und vor die Tür werfen würde, war er in der letzten Nacht dazu nicht im Stande. Denn er fand sich diesen Morgen mit schrecklichen Kopfschmerzen neben seinem Bett auf den harten Holzdielen wieder. Das Bett war unangetastet und wie immer zurechtgemacht. Einige wenige Kerzen, die genügend Wachs besaßen um die ganze Nacht brennen zu können, taten dies auch jetzt noch. Der Wirt hatte sie nicht gelöscht. Er lag in voller Montur mit dröhnendem, Kopf in sehr ungünstiger Körperhaltung auf dem Boden und erwachte aus unruhigem Schlaf. Gar nicht weit neben ihm lag ein halb verbranntes Buch, welches aus dem kleinen Bücherregal gefallen war, welches an der Wand befestigt war. Es führte nur wenige Bücher und war mehr ein altes Brett als ein wirkliches Regal, welches an den Seiten von zwei wirklich dicken Wälzern begrenzt wurde. Die Lücke auch der das angekokelte Buch fiel, war deutlich an der schrägen Haltung der anderen Bücher zu erkennen. Es lag aufgeschlagen mit dem Buchrücken nach oben neben dem komatösen Wirt. Unter einer Rußschicht waren drei senkrechte Ringe auf dem Cover zu erkennen. Der unterste Ring war an einer Stelle gebrochen und damit unvollständig. Ein kaum sichtbarer Rauchfaden stieg noch vom Buch auf und war in den Sonnenstrahlen zu erkennen. Die Seiten waren alle komplett leer. Im Gastraum indes schnarchten an den Tischen von die Volltrunkenden deren Besitzer den Katerschlaf der Gerechten. Einer hatte sogar noch den Humpen in der Hand, der mittlerweile umgekippt auf dem Tisch lag und deren Inhalt sich in einer Lache über den Tisch ausgebreitet hatte. An einer Stelle tropfte das Getränke seit einiger Zeit in stetem Tropfen auf den Fußboden. Dem Betrunkenen interessierte das nicht, selbst wenn er mit einer Gesichtshälfte voll in der Lache lag. Von draußen kündigten die wenigen Singvögel die es hier gab den neuen Tag in Kahlfuhrt an.