RPG Books of the Lost Gods

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Eine Welt ohne Götter. Niemand konnte sich das vorstellen. Es ging einfach nicht. Götter sind Teil der natürlichen Ordnung. Sie sind eine Instanz. Der Pantheon hatte noch nie als unverlässlich oder zusätzlich gegolten. Er war einfach da. Er war Teil vom Ganzen, gehörte dazu. Das Königreich Tyo hatte diese ungeschriebene Gesetzmäßigkeit immer geglaubt, immer mit ihr gelebt. Immer schon zu den Göttern gebetet. Hatte sich niemand gefragt was vor den Göttern war? Ob es da noch irgendetwas gab, vielleicht sogar eine Welt vor dieser hier, Bewohner die nichts mit dem Begriff 'Gott', oder 'Gebet' anfangen konnten? Was für eine Welt musste das gewesen sein? Wo war in dieser Welt die Magie? Welche Stellung hatte das Leben dort? Gab es dort nichts Unerklärliches? Hatte es dort nie Mächte gegeben, die über den Verstand hinaus gingen? Hatte es vielleicht einen Ersatz für den Pantheon gegeben und damit auch für diese geheimnisvolle Welt in der alle Götter lebten? Wo sie sich selbst und ihre ganze Spähre beherrschten? Was war mit dieser? 'Feob' wurde sie getauft. Wer hatte das festgelegt? Die Götter? Die Menschen? Niemand von beiden? Ist Feob einfach so entstanden wie die Berge, Seen, Meere und Ebenen von Tyo? Gab es dort andere Bewohner bevor die Götter waren, oder waren sie schon immer? War dann auch Feob schon immer? Ja, gab es vielleicht sogar so etwas wie eine Verbindung zwischen Feob und Tyo? War es alles nur ein Plan von Ao, Allvater und Schöpfer von allem? Doch wer hatte dann Ao geschaffen? Niemand konnte sich vorstellen das man solche Fragen klären könnte. Niemand wollte die meisten dieser Fragen klären. Was für ein Sinn hätte es auch? Der Pantheon ist immer da. Götter existieren schon immer und werden es immer tun.... oder nicht? Können Götter vielleicht sogar sterben und wenn es noch so theoretisch ist? Was ist eigentlich ein Gott? Was macht ihn aus? Was macht seine Stellung aus? Es war unablässig diese Dinge zu betrachten, wenn man folgende Ereignisse verstehen möchte...



Ein leises summendes Surren durchstreifte einen langen Säulengang. Zwischen den weißem Marmorstützen, die von beachtlicher Größe waren, wehten lange halbdurchsichtige weiße, dünne Stoffe in einem lauen Sommerwind. Zumindest hätte es sich auf der Haut so angefühlt. Doch keines Sterblichen Haut hatte diese Luft schon mal gefühlt, kein Auge je erblickt und kein Ohr die Geräusche vernommen. Das abendliche Licht fiel zwischen den zwei bis drei Meter großen Säulenzwischenräumen hindurch und tauchte die langen wehenden Stoffe in ein unbeschreibliches Licht. Von der anderen Seite fielen die Strahlen der frühen Morgensonne wie unsichtbare Krieger in diesen Gang ein und wurden ebenfalls von den seicht wehenden Stoffen in ein seltsames Licht getauscht. Es war hell und doch keine klare Sicht. Dunkel und doch konnte man alles erkennen. Da wo die gefilterten Strahlen von Morgen- und Abendsonne aufeinandertrafen, da in der Mitte des langen Ganges, dort schwebe eine kleine Kugel aus pulsierendem Licht leise surrend diesen mystischen Gang entlang. Auch die Kugel strahlte ein Licht aus, was weder die Atmosphäre der einen, noch der anderen Seite widerspiegelte, sondern seine ganz eigene Nuance zu kreieren schien. Es mischte dem Geschehen der Lichtstrahlen einen weiteren Farbton hinzu. Kein Maler und hätte er noch so viel Verstand, noch so viel Erfahrung, hätte diese Farbgebung zeichnen können. Kein Dichter fände Worte dafür. Die summende Kugel ohne feste Form kümmerte die Besonderheit dieses Ortes nicht. Sie hatte nur das Bestreben möglichste rasch weiterzukommen. So schwebte sie auf unsichtbaren Wellen in eben gleicher Bewegung den Gang entlang. Auch der laue Sommerwind hatte das Interesse dieses Wesens nicht geweckt. Einzig der große Torbogen, auf welchen es sich zubewegte, war für den kleinen Kerl bemerkenswert. Zwischen ihm waberte eine undurchsichtige bunte Masse und versperrte die Sicht auf ganzer Breite und sämtlicher Länge. Wie ein vertikaler Teich aus Quecksilber erschien die Masse. Die Lichtkugel hielt davor an und schien auf etwas zu warten. Kaum hörbar gab sie noch ein Summen von sich und schwebte wie in einem Dämmerzustand gleichmäßig auf der Stelle auf und ab.

Plötzlich schwappte eine Welle von allen Rändern des Bogens gleichzeitig über den bunten Quecksilberteich zum Zentrum und als sich die einheitliche Welle in der Mitte traf und wieder nach außen reflektiert wurde, verschwand die bunte Undurchsichtigkeit und machte einer vollkommen Transparenz Platz. Hinter dem Torbogen offenbarte sich der kleinen Lichtkugel ein stockfinsterer Raum. Er schien völlig aus dem Raster zu fallen, denn es gab weder sichtbare Wände, noch Abgrenzungen dazu. Auch einen Boden oder eine Decke suchte man vergeben. Es war als wäre man im puren Nichts. Die Schwärze füllte alles aus. In gewissen Abständen die durch das Fehlen von Fixpunkten unmöglich ein Maß beigemessen werden konnte, befanden sich ebenfalls solche Torbögen. Manche möchten meinen sie seinen kreisförmig angeordnet. Andere schätzen es vielleicht rechteckig, oder gar quadratisch ein. Es war unmöglich zu sagen. Hinter diesen Torbögen konnte ein Betrachter mit scharfen Augen identische Gänge ausmachen wie der durch den die kleine Kugel ohne Form gerade kam. Im nächsten Moment erschienen perfekte Abbilder an jedem Torbogen im Verhältnis zum Ort wo sich auch die echte Lichtkugel befand. Der kleine Kerl schwebte weiter in den Raum hinein als hätte er dort in dieser Finsternis irgendwo ein Ziel ausgemacht. Seine Abbilder taten es ihm von ihrem Startpunkt aus gleich. Es kam einem vor wie in einem Spiegelkabinett. Doch der Ort war gänzlich anderer Struktur.

Von jetzt auf gleich verschwanden die Abbilder wie sie gekommen waren, ohne Getöse, oder Lichtchaos. Sie waren einfach mitten in ihrer Bewegung verschwunden. Das Original blieb, schien das jedoch nicht zu interessieren, wie es auch das Auftauchen völlig ohne Reaktion geschehen ließ. Es war nicht mal wirklich klar, ob die Lichtkugel es überhaupt bemerkte. Sie schwebte einfach schnurstracks auf ihr imaginäres Ziel zu was nicht da war, über einen Boden der nicht existierte, in einem Raum der so wie er war nicht sein konnte und doch passierte es alles genau so. Noch absurder wurde das Ganze, wenn man die Torbögen bei dieser Bewegung von der Lichtkugel aus betrachtete. So entfernten sie sich immer mehr und wurden stetig kleiner. Doch gegen den gesunden Menschenverstand taten dies alle Torbögen zur gleichen Zeit und wenn man dies begriff und noch keine Kopfschmerzen davon bekam, sollte man sich auch noch bewusst sein, dass die Bewegung der Lichtkugel stets gleichmäßig nach vorne war. Der Raum bewegte sich keinen Millimeter.

Inmitten dieser Schwärze die nun durch die weit entfernten Torbögen noch wesentlich bedrückender wirkte, hielt das Wesen ohne Vorwarnung an. Wieder schien es auf etwas zu warten. Die Stille war angesichts des Raumes verheerend. "SPRICH!", donnerte ein Laut unbekannten Ursprungs durch die Schwärze. Weder konnte man ausmachen ob die Stimme männlich oder weiblich war, noch deren Lautstärke bestimmen. Es konnte einem vorkommen, als spräche der Raum selbst zu der kleinen Lichtkugel. "Wie auch bei den anderen Meister.", antwortete die Lichtkugel in einer Mischung aus Piepsen und Poltern zugleich. Doch die Stimme war nicht unangenehm, aber deutlich nicht von sterblichem Ursprung. "Er ist verschwunden und die meisten Imps mit ihm." Einen Moment herrschte wieder die drückende Stille in der Leere. Aus dem Nichts pellte sich irgendwo über dem unsichtbarem Zielpunkt der Kugel ein gleißender Lichtstrahl wie ein schwelendes Feuer unter einer Zimmerdecke aus dem Dunkel. Ihm entsprang ein Weiterer und diesem ebenfalls ein Neuer, ohne das die vorherigen verschwinden würden. Das Licht gebar sich selbst um ein unbekannten Kern inmitten sämtlicher Helligkeit. Trotz der enormen Größe der neuen Lichtkugel, welche die Kleine an Durchmesser um ein hundertfaches übertreffen musste, erhellte sie den seltsamen Raum kein bisschen, sondern schien einfach nur die Dunkelheit wo sie entstand gegen Licht auszutauschen. Der Vorgang war bei aller Faszination keine Überraschung für den kleinen Horts des Lichts. "GIBT ES HINWEISE?", donnerte es nun deutlich aus der großen Kugel heraus. "Nein Meister. Die Imps die ich fragen konnte sprachen von einem Ruck im Sein, welchen sie gespürt haben und einem Ende der Ewigkeit, welcher nur einen Augenblick andauerte bevor wieder alles war wie zuvor und sie wussten sofort das er fehlte. Sie haben es gespürt Meister." Stille. "GESPÜRT?" "Ja Meister." "BIST DU SICHER, DASS SIE ES SO BESCHRIEBEN HABEN?" "Ich gebe ihre exakten Worte wieder Gebieter." Erneut folgte eine lange Pause. Man könnte meinen, dass die große Kugel nachdachte und wenn man tief in sich hineinginge, konnte man es sogar spüren. "GEH NACH TYO. ICH HABE SCHON ANDERE VORAUSGESCHICKT." "Ja Meister Ao." "FINDE DIE ANDEREN IMPS. FRAGE SIE, WARUM SIE DORT SIND UND SCHICKE SIE UNVERZÜGLICH WIEDER ZURÜCK. SIE MÜSSEN BEREIT SEIN, WENN IHRE HERREN WIEDERKEHREN. ICH WERDE DIE ANDEREN GÖTTER FINDEN." Nun war es die kleine Kugel die innehielt und fast brannte es sich in den Verstand, dass sie so etwas wie ihren Mut zusammen nehmen musste. "Meister... sind wir in Gefahr?" Die riesige Kugel schwebte stumm auf und ab. Es verging unbestimmte Zeit, wobei eine Zeitmessung hier ohnehin sehr schwer war. Es konnten Sekunden sein, oder genauso gut Stunden. Nichts geschah. Ohne eine Antwort trat der kleine Imp den Rückzug an und nahm exakt den gleichen Weg, welchen er in den Raum hineingenommen hatte, schnurgerade auf einen immer größer werdenden Torbogen. Die große Lichtkugel implodierte wieder in schwellenden Lichtfetzen, bis sie sich gänzlich selbst aufgezehrt hatte und dort wieder die Finsternis auszumachen war. Inzwischen hatte der Imp seinen Torbogen fast erreicht. "JA. WIR SIND IN GRÖßTER GEFAHR!", donnerte es wieder von unbekanntem Ursprung durch den Raum. Die Kugel hielt ob der sehr späten Antwort an. "DOCH ES IST ZEIT. GEH NACH TYO." Ohne eine weitere Reaktion setze sich der Imp wieder in Bewegung und schwebte ohne erneutem Zwischenstopp durch den Torbogen, dessen Inhalt sofort nach dem Durchgang des Dieners wieder von innen nach außen die undurchsichtige, bunte Farbe annahm. Auch davon nahm der Imp keine Notiz. Er hatte eine Aufgabe.




In Kelgerssons Ruh fielen die ersten Lichtstrahlen durch die Fenster der Taverne. Wie in jeder Nacht blieben noch einige Gäste länger als es gut für sie war. Doch wo Grombart diese sonst freundlich, aber direkt von ihrem Schlafplatz aufheben und vor die Tür werfen würde, war er in der letzten Nacht dazu nicht im Stande. Denn er fand sich diesen Morgen mit schrecklichen Kopfschmerzen neben seinem Bett auf den harten Holzdielen wieder. Das Bett war unangetastet und wie immer zurechtgemacht. Einige wenige Kerzen, die genügend Wachs besaßen um die ganze Nacht brennen zu können, taten dies auch jetzt noch. Der Wirt hatte sie nicht gelöscht. Er lag in voller Montur mit dröhnendem, Kopf in sehr ungünstiger Körperhaltung auf dem Boden und erwachte aus unruhigem Schlaf. Gar nicht weit neben ihm lag ein halb verbranntes Buch, welches aus dem kleinen Bücherregal gefallen war, welches an der Wand befestigt war. Es führte nur wenige Bücher und war mehr ein altes Brett als ein wirkliches Regal, welches an den Seiten von zwei wirklich dicken Wälzern begrenzt wurde. Die Lücke auch der das angekokelte Buch fiel, war deutlich an der schrägen Haltung der anderen Bücher zu erkennen. Es lag aufgeschlagen mit dem Buchrücken nach oben neben dem komatösen Wirt. Unter einer Rußschicht waren drei senkrechte Ringe auf dem Cover zu erkennen. Der unterste Ring war an einer Stelle gebrochen und damit unvollständig. Ein kaum sichtbarer Rauchfaden stieg noch vom Buch auf und war in den Sonnenstrahlen zu erkennen. Die Seiten waren alle komplett leer. Im Gastraum indes schnarchten an den Tischen von die Volltrunkenden deren Besitzer den Katerschlaf der Gerechten. Einer hatte sogar noch den Humpen in der Hand, der mittlerweile umgekippt auf dem Tisch lag und deren Inhalt sich in einer Lache über den Tisch ausgebreitet hatte. An einer Stelle tropfte das Getränke seit einiger Zeit in stetem Tropfen auf den Fußboden. Dem Betrunkenen interessierte das nicht, selbst wenn er mit einer Gesichtshälfte voll in der Lache lag. Von draußen kündigten die wenigen Singvögel die es hier gab den neuen Tag in Kahlfuhrt an.
 
Noch immer vollkommen perplex versuchte Grombart sich den gestrigen Abend noch einmal vor Augen zu führen. Hatte er wieder zu tief ins Glas geschaut? Eigentlich nicht, denn einen dröhnenden Schädel hatte er nach ausgelassenen Trinkgelagen nur äußerst selten. Zu gewöhnt war sein Körper schon an den übermäßigen Konsum von Bier und Schnaps. Warum also lag er auf dem Boden neben seinem Bett? Mit krachenden Knochen zog sich der Wirt langsam am Bettpfosten nach oben und hielt sich den donnernden Schädel. Was war passiert? Taumelnd machte er einen Schritt vorwärts, wobei er ganz genau merkte wie schwach seine Beine derzeit noch waren. Fast kam es ihm so vor als hätte man bewusstlos geschlagen und in seinem Zimmer liegen lassen, denn noch immer hörte das laute Pochen in seinem Kopf nicht auf. Aber auch diese Möglichkeit schloss er recht schnell aus, denn keiner seiner Gäste würde es wagen sich mit Grombart anzulegen. Und so sehr er sich auch zu erinnern versuchte, so blieb die vergangene Nacht ein schwarzer Schleier in seinen Gedanken den er nicht zu durchdringen vermochte.
"Meine Medizin.", brummte Grom mehr als dass er sprach und sein Blick glitt auf seinen Nachtschrank an der anderen Kopfseite des Bettes. Sich weiterhin am Bett abstützend, umrundete der Wirt seinen Schlafplatz und bahnte sich so den Weg zum Schränkchen. Jeder Schritt kam ihm unglaublich lang vor, und als er am richtigen Kopfende angekommen war, so setzte er sich gleich schnaufend auf seine weiche Matratze. Er fühlte sich so als sei er lange Zeit ununterbrochen gerannt, denn sein Atem ging pfeifend obwohl er nur wenige Fuß zurückgelegt hatte.
Spielt mir mein Körper einen Streich? Werde ich schon so schnell alt?
Mit fahrigen Bewegungen griff Grombart nach der Schublade des Nachtschranks und öffnete sie, nur um ein kleines braunes Fläschchen hervorzuziehen das er auch sogleich entkorkte. Es handelte sich um das Schmerzpulver das er vom Alchemisten bekommen hatte, eigentlich um etwas gegen seine andauernden Rückenschmerzen zu tun, aber wahrscheinlich half das Zeug auch genauso gut gegen einen dröhnenden Schädel. Mit zitternder Hand ließ er etwas von dem bräunlichen Pulver aus der Flasche auf seinen anderen Handrücken rieseln, bis sich dort ein kleines Häufchen der übelriechenden Medizin gebildet hatte. Rasch führte er die Hand an seine Nase und schnupfte das Häufchen mit einzigen langen Zug. Sofort merkte er das Brennen in seiner Nase und für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, bis die Wirkung des Pulvers langsam nachließ und er im Kopf ein schwaches Stechen wahrnahm, so als würde die Medizin dort anschlagen. Grom schüttelte sich wie ein nasser Hund, verkorkte die Flasche wieder und warf sie zurück in die Schublade. Tatsächlich waren seine Kopfschmerzen zu einem guten Teil verschwunden, auch wenn er immer noch ein leichtes Ziehen verspürte wenn er seinen Kopf zu schnell bewegte.
"Das wird auch gleich weg sein." Sich wieder am Bettpfosten abstützend, zog sich der Wirt wieder in die Höhe und streckte sein breites Kreuz einmal durch. Gut hörbar knackten seine Wirbel und zufrieden schaute sich Grombart nun endlich in seinem Zimmer um. Alles war so wie er es sonst auch vorfand, lediglich die Kerzen auf seiner Kleiderkommode brannten noch, obwohl er diese für gewöhnlich immer löschte bevor er sich schlafen legte. Verwundert etwas in seinen Bart murmelnd machte er einen Schritt nach vorne auf die Kommode zu, bis sein Fuß auf etwas hartes traf das vor ihm auf dem Boden lag. Verwundert blickte Grom nach unten und gewahrte ein altes verwittertes Buch das dort eigentlich nicht liegen sollte. Ein kaum merklicher Rauchfaden stieg vom Einband auf so als wäre das Buch leicht angesenkt worden, vielleicht war es aber auch nur seine von Müdigkeit geplagte Fantasie die ihm etwas vorgaukelte. Der Wirt bückte sich gemächlich und hob das Schriftstück auf, sich die Vorderseite ganz genau besehend. Es war das Ringgebilde Zulins darauf abgebildet, doch als er es aufschlug und durch die Seiten blätterte, fiel ihm auf dass rein gar nichts in diesem Buch stand. Sämtliche Seiten waren lediglich vergilbtes leeres Papier, nicht einmal der Name des Autors war noch irgendwo zu finden. Verwirrt grummelnd schaute Grombart zum Bücherregal an der Wand neben sich, wo tatsächlich ein Werk zu fehlen schien, was merkwürdig genug war. Eigentlich besaß er nur Bücher über das Brauen von Schnaps und einige wenige Geschichtenbücher aus denen er seinen Töchtern stets vorgelesen hatte. Ein Werk des Endgültigen hatte er eigentlich nie dort stehen gehabt.
"Hm.", knurrte der Wirt und stellte das Buch zurück an den Platz wo es scheinbar heruntergefallen war, ehe er seinen ursprünglichen Gang zur Kommode fortsetzte und dort die Kerzen auspustete. So nah an der Zimmertür hörte er jetzt erstmals das laute Schnarchen aus dem Gastraum am Ende des Flures, und ihm wurde wieder schlagartig klar, dass er sich an den gestrigen Abend nicht erinnern konnte und somit auch nicht wusste, ob er die Taverne überhaupt geschlossen hatte. So schnell er es eben konnte öffnete Grombart die Tür und schritt eiligst durch den Korridor der seine Privatgemächer vom Gastraum trennte, durch zwei Portale an jeder Seite. Die Tür zum Gastraum allerdings stand einen Spalt weit offen, und als Grom sie gänzlich öffnete und in dahinterliegenden Raum eintrat, offenbarte sich ihm das Chaos das er dort anscheinend zurückgelassen hatte. Gleich drei Saufbolde saßen noch an ihrem Tisch zwischen umgeworfenen Krügen und verschüttetem Bier, schnarchend wie ein ganzer Chor und seelenruhig den Rausch ausschlafend. Er kannte die Jungen, zwei von ihnen waren Holzfäller im nahen Sägewerk, der andere der Geselle des Schmieds. Sich gar nicht bemühend leise zu sein, ging der Wirt auf den Tisch zu, nahm sich einen leeren Humpen und donnerte ihn wuchtig auf das abgewetzte Holz der Tischplatte.
"Aufstehen ihr Hurenböcke! Hier wird nicht geschlafen!", rief er lautstark dazu und jeder im Gastraum war schlagartig wach. Die verwirrte Gesichter und die tiefroten müden Augen waren ein klares Zeichen dafür, dass allesamt erst langsam wieder zurück ins Hier und Jetzt fanden.
"Grom? Wie spät ist es denn?", lallte einer von ihnen und sah hinauf zum erzürnten Wirt, der mit verschränkten Armen vor ihm stand.
"Viel zu spät schon. Und jetzt raus hier, alle! Das sage ich kein zweites Mal mehr." Die drei Trunkenbolde wägten erst gar nicht ab ob sie es auf eine weitere Drohung ankommen lassen wollten, sondern erhoben sich schnurstracks und torkelten hastig Richtung Ausgang, wobei einer von ihnen gegen einen Tisch strauchelte und zu Fall kam. Halbherzig halfen seine Kollegen ihm wieder auf die Beine und schon verließen sie wortlos das Gasthaus, Grombart hinterdrein der ihnen sogar noch bis vor die Taverne folgte.
"Nüchtert euch aus und kommt später wieder, am besten mit 'nem guten Grund warum ich euch wieder reinlassen sollte!", rief der Wirt den Burschen hinterher die taumelnd die Straße entlang irrten und wenig später hinter einer Häuserecke verschwanden. Vorm Eingang seines Gasthauses stehend harre Grombart nun einen kleinen Augenblick inne und sog erstmals die Brise des jungen Morgens ein. Die Sonne, die fast schüchtern über den Gipfeln des nahen Waldes zwischen den Wolken hervorschaute, tauchte das gesamte Dorf in ein rötliches Licht, während über den Dächern der einfachen Häuser einige Vögel ihre morgendliche Melodie sangen. Es war ein schöner Morgen im Dunkelmoor, doch wer schon länger hier wohnte wusste genau, das spätestens zur Mittagsstunde wieder jedes Zeichen der Sonne verschwunden war und der Himmel sich in seiner üblichen grauen Pracht präsentieren würde. Für jetzt genoss Grom aber kurz die wärmenden Strahlen der Sonne und die Ruhe die noch über Kahlfurt lag, auch wenn er das dumpfe Gefühl nicht loswerden wollte, dass dieser Tag ein merkwürdiger werden würde. Sich seufzend wieder zur Tür drehend schweifte sein Blick noch einmal über die nahen Häuser, bis er an einem der Vögel hängen blieb der dort auf einem Dachstuhl saß. Ein kräftiger, schwarzer Vogel war es, der Grombart mit stechend weißen Augen zu beobachten schien. Ein Zul-Rabe saß dort oben als sei es das normalste der Welt, ein kerniges Krächzen von sich gebend und im selben Moment die großen Flügel ausbreitend.
"Was soll das denn jetzt wieder heißen?", fragte sich Grom selbst schaudernd und verschwand wieder schnell in den sicheren Wänden seines Gasthauses, die Tür hastig hinter sich schließend. Immerhin musste noch jemand die Sauerei der vergangenen Nacht beseitigen.
 
Der Kanzler saß in seinem Arbeitszimmer auf der Prachtwehr und verfasste einen Brief, wie er es zahlreich jeden Tag tat. Der Stapel von zu unterzeichnete n Botschaften, Erlassen und Verordnungen stapelte sich neben ihm auf dem großen dunkelbraunen Holztisch, mit den massiven Füßen die zu großen Tatzen geschnitzt waren. Er war im Grunde gerade erst aufgestanden, hätte er nicht die ganze Nacht durchgearbeitet. Es kam in letzter Zeit öfter vor und immer wieder fragte er sich warum er die Zeit nicht bemerkte, welche dahinzufliegen schien. Es gab immer viel zu tun, denn als oberster Verwalter des Königreiches waren seine Dienste unablässig für den König um den Überblick zu behalten. Fast die gesamten Wände waren mit großen Bücherregalen verkleidet die selten ein Buch unter 500 Seiten enthielten. Auch die Regale waren in dem massiven dunklen Holz gehalten und ein penetranter Geruch von Papier und Holzlack hielt sich seit jeher in diesem Raum. Anfangs hatte sich der Kanzler daran gestört und sogar einmal beim König, damals noch der Vater des aktuellen, um eine Audienz ersucht, um ein anderes Zimmer zu bekommen. Doch ihm wurde mitgeteilt, dass der König keine Zeit hatte und mit wichtigen Staatsgeschäften befasst war. Nach 48 Dienstjahren hatte sich der Kanzler daran gewöhnt, ja die Atmosphäre sogar schätzen gelernt. Denn die massiven Mauern der Prachtwehr sperrten allen Lärm aus, wenn man das Fenster schloss, welches das Arbeitszimmer mit dem Licht des anbrechenden Morgens füllte. Der alte Mann sah auf und kniff die alten Augen zusammen. Hatte er wieder die Nacht verloren? Gab es nicht noch etwas wichtiges, was man nachts tun sollte? Ah richtig... schlafen. Es fiel ihm wieder ein, während er sich den ergrauten Vollbart kratze. Der Kanzler schob den Stuhl zurück, der durch halbrunde Holzbalken Lehne und Armstützen in einem Stück besaß. Für den Rücken war in der Mitte noch ein breites Brett vertikal eingearbeitet. Der Verwalter streckte sich und merkte wie die alten Knochen knackten. Er zog sich die braune Robe zu Recht, die nach dem nächtlichen Sitzmarathon etwas zerknautscht aussah, und ging langsam zu einem Fenster hinüber. Man konnte direkt auf den Marktplatz schauen und der Kanzler genoss es jeden Tag das Treiben von hier oben zu beobachten. Auch auf dem Markplatz erwachte ein neuer Tag und die reisenden Händler bauten ihre Stände an den ihnen zugewiesenen Plätze auf. Jeden Tag drängten mehr Händler auf den Platz als unterkommen konnten und angesichts der Größe von Ferodans Tor war es ein stetiges Spiel um Gunst, Platz und bare Münzen. Der Kanzler erinnerte sich auch dazu noch einige Bewilligungen auf dem Tisch zu haben. Er öffnete das Fenster und sofort wehte ihm eine frische Brise entgegen die unmittelbar die muffige Zimmerluft um das Fenster vertrieb. Einen tiefen Atemzug später spähte er zu seinem Schreibtisch hinüber. Es war noch viel Arbeit zu tun. So setzte er sich wieder und las sich den Brief erneut durch, welchen er gerade die letzten Minuten verfasst hatte:



Hoch geachtete Durchlaucht Frann Theodor Gilidan,


mir ist bewusst wie sich Eure Lage darstellt. Einen Verlust von Gunst und Ansehen ist nie leicht zu verkraften. Ich bin mir sicher, seine Majestät wird Verständnis für Eurer Anliegen aufbringen, wenn Ihr den Weg aus dem Fürstentum Trelis zu uns in die Hauptstadt auf Euch nehmen würdet. Ich habe seiner Majestät natürlich in angemessenem Rahmen von Eurem Problem berichtet. Seid versichert, dass ich dabei äußerste Diskretion gewahrt habe, wie ich es bei allen Anliegen tue, welche solcher Brisanz innewohnen. Die geforderten Truppen kann ich Euch leider nicht entsenden, da es nicht Aufgabe es Militärs ist eurem Eigentum zu dienen, sondern allein der Sicherheit des Volks und des Königreichs. Ich bitte Euch diese Bitte gegenüber seiner Majestät nicht nochmals zu erwähnen, da er es als Beleidigung auffasste und mit einer Ausladung zum diesjährigen Monarchenfest Eurer Familie drohte. Ich konnte seine Majestät nach dem letzten abendlichen Gelage beschwichtigen und zumindest was Eure Einladung angeht ist diese gesichert. Ich werde natürlich nicht ruhen bis auch Eure Familie wieder eingeladen ist. Eine Präsenz Euerer werter Person hier am Hof würde dazu beitragen können. Zimmer Eures Standes stehen natürlich bereit. Ich werde weitere Schritte jedoch erst nach Eurer Zusage in die Wege leiten.

Bis dahin verbleibe ich mich Hochachtung
Kanzler S. Vika



Der Kanzler nickte zufrieden und rollte das Pergament zusammen. Mit Siegelwachs und einem Abdruck seines Siegelrings schloss er den Brief. Gerade in diesem Moment klopfte es. "Mein Herr? Hier ist Roderick. Ich bringe Euch Euer Frühstück mein Herr." Mein Page! "Immer herein mit Euch guter Junge. Frühstück ist das richtige Wort für meinen müden Leib um wieder die Lebensgeister zu wecken."




Der Zul-Rabe beobachtete von seinem Platz den Wirt wie er sich in Haus verzog und krächzte noch ein zweimal. Er drehte den Kopf und fixierte die Taverne. Nach einer Weile begann er seinen Kopf zu bewegen, langsam und nicht zufällig, sondern zielgerichtet. Es war fast so, als ob er Grombart noch in seiner Behausung ausmachen konnte und folgte ihm nun. Wieder ein Krächzen über Kahlfuhrt. Schließlich hob er sich in die Lüfte und flog davon. Einige Zeit verging in der Grom seine Ruhe vor dem Vogel hatte und seiner Arbeit nachgehen konnte. Doch schon kurze Zeit später war der Zul-Rabe wieder da und landete auf der gleichen Stelle auf der er schon zum Sonnenaufgang saß. Laut Krächzend kündigte er seine Rückkehr an. Aus dem rötlichen Himmel schwebte ein zweiter Zul-Rabe heran. Er war nochmal ein Stück größer und wäre nicht der charakteristische Kopf mit dem Rabenschnabel gewesen, hätte man ihn für einen Greifvogel halten können. Auch er krächzte und landete auf dem Dachstuhl von Kelgerssons Ruh. Er machte es sich gemütlich als ob er nicht vorhatte demnächst wieder wegzufliegen. Die beiden Raben krächzten um die Wette und mit etwas Fantasie könnte man meinen, dass eine gepflegte Unterhaltung stattfinden würde. Schließlich machte sich der kleinere Imp Zulins wieder auf den Weg, wohingegen der größere blieb und sich nun daran machte um die Taverne zu fliegen, immer mal auf Mauern, Häusern, oder Pflanzen die ihn trugen zu landen und durch die Fenster blickte. Die weißen Augen fixierten dabei immer mal wieder das Innere der Taverne. Schließlich hatte er den Wirt ausmachen können und flatterte ans Fenster heran. Mit seinem Schnabel pochte er ans Fenster, ohne es zu durchschlagen, was angesichts des großen Schnabels wohl kein Problem darstellen würde. Dann hielt er plötzlich inne drehte wieder den Kopf und wartete auf Grombarts Reaktion.
 
Während Grombart dabei war den üblichen Schmutz einer durchzechten Tavernennacht mit einem alten Besen zusammenzukehren, vernahm er ein gut hörbares Pochen das ihn plötzlich aus seinen Gedanken riss. Zuerst hielt er es für einen weiteren Schub an Kopfschmerzen, doch schon nach wenigen Augenblicken war sich der Wirt sicher, dass dieses Pochen nicht aus seinem Kopf, sondern von woanders stammen musste. Schnell war der Verursacher gefunden, denn als sich Grombart bedächtig im Gastraum umsah, bemerkte er den schwarzen Schatten hinter einem der Fenster der von Außen gegen die Scheibe klopfte.
Nanu? Schon wieder?
Es war wieder ein Zul-Rabe der dort auf der Fensterbank saß, wahrscheinlich sogar der selbe von vorhin. Den Besen fest in beide Hände nehmend, schritt Grom vorsichtig auf die Scheibe zu, von wo aus ihn der Rabe mit den stechend weißen Augen anstierte. Das Tier blieb ruhig an Ort und Stelle sitzen, selbst dann noch, als der Wirt schon längst unmittelbar vorm Fenster stand und den großen Vogel verwundert von oben bis unten musterte. Erst selten hatte er eines dieser mystischen Wesen gesehen, schon gar nicht aus so nächster Nähe, denn der Zul-Rabe der vom Totenehrer hier in Kahlfuhrt gehalten wurde war ein scheues Tier das sich nicht von jedem angaffen ließ. Dieser Vogel hier schien ein anderer zu sein, denn anscheinend machte ihm die Nähe Grombarts nicht sonderlich viel aus, auch wenn sich derzeit noch eine trübe Scheibe zwischen ihnen befand. Für gewöhnlich war es kein gutes Zeichen wenn einer dieser Raben so aufdringlich wurde, deshalb zögerte Grom auch nicht noch länger als ohnehin schon sondern legte den Riegel des Fensters um und öffnete es nach Innen sodass der Vogel nicht verscheucht wurde.
"Hast du was für mich, Kleiner?", fragte der Wirt den Raben der nun in seiner ganzen Pracht vor ihm saß und ihn weiterhin zu beobachten schien. Das schwarze Gefieder wirkte rau, reflektierte nur Matt das Licht der Morgensonne und auch sonst hatte das Tier etwas majestätisches, wobei allerdings eine nicht zu verleugnende unheimliche Aura von ihm ausging. Grombart schluckte einmal, vielleicht sogar in der Erwartung im nächsten Lidschlag, aus welchem Grund auch immer, vom Raben angefallen zu werden, doch eine Attacke blieb genauso aus wie eine Antwort des Raben.
"Gar nichts? Was willst du dann hier?" Grombart wusste genau dass der Vogel ihn verstand, immerhin waren die Zul-Raben intelligente Biester die einiges mehr konnten als herkömmliches Federvieh. Dennoch kam weiterhin keine Antwort.
"Gut, wenn du nichts sagen willst, dann kann ich hier auch weiter machen." Gerade wollte der Wirt das Fenster wieder schließen, da ließ das Tier ein lautes, markiges Krächzen vernehmen das derart plötzlich kam, dass Grom erschrocken zwei Schritte zurück stolperte und den Besen schützend vor sich hielt. Den Freiraum sofort nutzend, machte der Rabe einen Satz nach vorn, durchquerte so das Fenster und landete auf den alten Bodendielen des Gastraumes, so herumstolzierend als sei es das normalste der Welt.
"Du bist ein ganz hartnäckiges Kerlchen, oder?", warf Grombart dem Vogel entgegen und hielt weiterhin den Besen wie einen Speer nach vorn. Langsam machte sich ein gewisses Unwohlsein in seinem Magen breit das nicht mehr ganz verschwinden wollte.
"Na los, kusch kusch. Du hast hier drinnen nichts zu suchen." Mit größtmöglicher Vorsicht, und jederzeit erwartend dass der Rabe weitere Krächzer oder ähnliches von sich gab, näherte er sich dem Tier bis auf wenige Schritte. Der Wirt war sich nicht sicher was genau geschehen würde wenn er einen Zul-Raben verletzte, förderlich könnte es aber auf keinem Fall sein, weswegen Grom es tunichts vermeiden wollte dem Vogel etwas anzutun. Er wollte soeben einen schnellen Schritt auf den Raben zu machen, da breitete dieser seine Schwingen flatternd aus, machte einige schnelle Sprünge nach vorn und schaffte es so sich in die Lüfte zu heben. Das schwarzgefiederte Wesen hob ab und flog knapp am Wirt vorbei, der sich sogleich auf den Boden warf und die Hände schützend über den Kopf riss. Der Zul-Rabe flog unterdes dicht über die Tische und Stühle quer durch den Gastraum, bis er sich anscheinend den Tresen als Ziel auserkoren hatte und dort sanft landete, die Flügel wieder eng an den Körper legend. Sichergehend dass der Rabe dort blieb wo er war, erhob sich Grombart wieder, nahm den Besen zur Hand und blieb vorerst an Ort und Stelle stehen. Das Unwohlsein in seinem Magen wuchs sogar noch an, denn noch war immer nicht sicher was dieser Vogel hier von ihm wollte. Wollte er nur eine Nachricht überbringen? War es schlichte Neugier? Oder sollte der Rabe ein böses Omen sein, das die Zukunft des Wirtes dauerhaft beeinflussen würde? Sich weiterhin nicht näher an den Tresen heran bewegend, sondern das Tier nur aus der Ferne argwöhnisch musternd, blieb Grombart abwägend stehen und wartete ab was das Wesen des Endgültigen sonst noch tat.
 
Roderick stellte das Tablett auf einen Beistelltisch in der Nähe des Arbeitsplatzes. Ihm war schleierhaft wie der Kanzler an diesem vollgestellten Tisch arbeiten und essen konnte, aber er schaffte es seit der Page in dessen Dienst getreten war. "Erzähl mir von den Gesprächsthemen des gemeinen Volkes heute Morgen. Was erzählt man sich auf der Straße?" Roderick goss dem Kanzler Wein in einen Kelch und trug ihn zu seinem Herrn herüber. "Es gab Gerangel auf dem Markt. Zwei Händler aus dem Umland hatten sich um denselben Standplatz gestritten und selbst Marktmeister Evanus konnte sie nicht trennen. Erst als die Stadtwache eingriff ließen sie voneinander ab und wurden beide für den heutigen Tag fortgeschickt. Eine Magd hat mir erzählt, dass einer direkt aufs Torviertel zugestürmt ist, während der andere Richtung Flussviertel verschwand. Es war offen ob er seinen Kummer bei einer Hure ausweint, oder auf dem Weg ins Wisperviertel war um bei den Göttern Gerechtigkeit zu fordern." Kanzler Vika nahm den Becher entgegen und trank einen Schluck. Die lange Arbeit in der staubigen Luft tat seiner alten Lunge nicht gut, was er allerdings erst merkte, wenn er Selbige wieder mit Feuchtigkeit benetzte. Der Wein schmeckte dadurch doppelt so gut wie sonst. "Mh, sind Namen bekannt? Ich kann mich nicht an Verwaltungsfehler dieser Art erinnern." Er griff mit seiner alten Hand sofort wieder nach dem Stapel mit Papieren auf seinem Schreibtisch. "Mögt Ihr nicht erst mal etwas zu Euch nehmen mein Herr?", fragte Roderick besorgt. "Mh,... wie.. ah ja. Ja, das werde ich tun." Es war einer der Momente an denen Vika merkte, dass er zu sehr an seiner Arbeit hing. "Nur zu. Tischt mir auf." Er lehnte sich in seinen massiven Stuhl und trank noch einen Schluck Wein, während sein Page nickte und tat wie ihm geheißen. "Was gibt es sonst noch?" Roderick überlegte mit dem nun vorbereiteten Tablett in der Hand. "Apropos Wisperviertel: Es geht das Gerücht um, dass heute Nacht von dort seltsame Laute kamen. Mir ist nicht bekannt woher das stammt. Vielleicht haben sich ein paar Trunkenbolde dort verirrt als sie im Flussviertel falsch abgebogen sind..." Vika legte seine Stirn mehr in Falten als sie es sonst war. "Klagende Laute? Komisch..." Als suchte er die Antwort im Kelch nahm einen großen Schluck des Weins während es Roderick wirklich schaffte das Tablett so auf dem Schreibtisch abzustellen, dass er keinen der Papierstapel umwarf und doch der Kanzler bequem an alle Speisen herankam. "Ich hoffe es ist alles da mein Herr." Vika stellte den Becher auf dem Tablett ab und musterte sein Frühstück. Gebratener Speck, Brot und Spiegelei, dazu eine kleine Rebe saftiger, dunkelblauer Trauben. "Ich bin gut versorgt wie immer." Der Page verneigte sich stolz wie es nur jemand in seiner Stellung empfinden konnte und verabschiedete sich. "Ich bin in der Nähe, falls ihr etwas braucht." Damit schloss er die große Tür hinter sich und überließ den Kanzler seinem Frühstück, der erst jetzt merkte wie hungrig er war.



Der Zul-Rabe betrachtete den Schankraum von seiner Position aus. Es war unklar ob er nach etwas suchte, aber für ein Tier, selbst für eines welchem eine gewisse Intelligenz nachgesagt wurde, schaute er sich sehr aufmerksam um. Schließlich blieb sein Blick an der Tür zum Gang mit den Privaträumen des Wirts hängen. Er starrte die Tür relativ lange fast regungslos an. Plötzlich, als hätte ihn etwas aufgeschreckt, streckte er sich so gut er konnte und breitete seine Flügel weit aus. In dieser Stellung verharrte er einige Augenblicke um dann den Schnabel zu öffnen und eine Reihe kehliger Laute von sich zu geben. Es klang ungewöhnlich, obwohl der Vergleich zum Krächzen nach wie vor da war. Die schnelle Abfolge der Laute ergab fast eine Art Lautsprache. Flatternde Geräusche waren durch das geöffnete Fenster zu hören. Der Zul-Rabe den Grombart vorhin gesehen hatte war wieder da und er war nicht allein gekommen. Nach und nach trafen immer mehr der Vögel ein und postierten sich um die Taverne auf Dächern, Felsen oder Bäumen. Sie alle streckten sich und breiteten ihre Flügel aus. Sie alle gaben die kehligen Laute von sich, bis von drinnen und draußen ein großer Chor aus Schnäbeln erschallte. "KRA KRE KRA KRE KRA KRU KRU KRU KRA KRU KRUN KRUIN KRUIN ZULIN KRUN KRE KRA KRA!" Inmitten dieses seltsamen Acapellakonzerts flatterte der große Rabe vom Tresen auf den Boden vor die Tür, die er so lange angestarrt hatte und lief die letzten Schritte. Wie schon beim Fenster hämmerte er nun mit seinem Schnabel gegen das Holz, machte eine kurze Pause um sich nach Grom umzusehen und zu Krächzen, dieses Mal wieder arttypisch, um dann erneut wieder gegen das Holz zu hämmern.
 
"Was bei den Göttern geht hier vor sich?!", stieß Grom vollkommen perplex mit einer gut hörbaren Spur von Angst hervor. Mit schnellen Schritten eilte er zum immer noch offenen Fenster und streckte seinen Kopf nach Draußen, von wo aus das dutzendfache Krakeelen vieler weiterer Vögel zu hören war. Der griesgrämige Wirt wollte seinen Augen einfach nicht trauen, als er auf so gut wie jedem Dach, jedem Zaun und jedem Laternenpfosten in Sichtweite die großen schwarzen Raben gewahrte, die ihre Flügel weit ausgebreitet hatten und ihren Stimmenchor in seine Richtung warfen. Das Krächzen ging Grombart durch Mark und Bein, wobei sein zunächst ungutes Gefühl im Magen in blanke Panik umschlug. Was hatten diese Viecher vor? Warum waren sie bei ihm? Auch wurde er nicht wirklich schlau aus den krächzenden Lauten die die Raben von sich gaben, denn das einzige Wort das er aus diesem Wirrwarr an Lauten heraushören konnte, war der Name des Endgültigen selbst; Zulin. Doch warum riefen die Biester diesen Namen? Sein ängstlicher Blick richtete sich auf den ersten Zul-Raben in seiner Taverne, der an der Tür zu seinen Privatgemächern stand und scheinbar auffordernd zu ihm herüber stierte. Zumindest nahm Grom das an, denn die stechend weißen Augen des Tieres hätten auch in jede andere Richtung blicken können.
"Du.", keuchte der Wirt, warf den Besen von sich und drückte seine Hände fest auf die Ohren. Das Krächzen der Vögel schwächte nicht ab, und langsam merkte er wie die geheilt geglaubten Kopfschmerzen sich mit hämmernden Schlägen erneut ankündigten.
"Du hast sie hier hergebracht." Taumelnd machte Grombart einige Schritte auf den Zul-Raben zu, der wieder einmal mit seinem krummen Schnabel gegen die hölzerne Tür pochte, gefolgt von einem weiteren Krächzen. Irgendetwas schien dieses Exemplar ihm sagen zu wollen, denn auffällig oft wiederholte der Vogel die selbe Abfolge an Bewegungen. Erst ein Starren, dann ein Klopfen und letztlich ein krakeelender Laut.
"Was willst du?!", schrie Grom den Raben nun an und setzte weiter taumelnd auf ihn zu. Als er gerade am Tresen angekommen war und sich nur noch wenige Schritte von dem Tier entfernt befand, da fiel ihm siedend heiß wieder ein was dieser Vogel meinen könnte: Dieses merkwürdige Buch Zulins, dass er nach dem Aufstehen gefunden hatte und dem er bis jetzt kaum eine wirkliche Beachtung geschenkt hatte. Es passte genauso wenig in diese Situation, wie das plötzliche Auftauchen von Dutzenden Zul-Raben die es scheinbar aus unerfindlichen Gründen auf ihn abgesehen hatten.
"Du willst das Buch oder? Ist es das warum du hier bist?" Hatte der Rabe zuvor nicht auf die Fragen des Wirtes reagiert, so schien er dieses mal darauf anzuspringen, denn im Gegensatz zu bisher ließ der Vogel einen Laut vernehmen der sich in den Ohren Grombarts zumindest einer Zustimmung ähnlich anhörte. Ohne auf weitere Reaktionen des Biestes zu warten, spurtete der Tavernenbesitzer los am Raben vorbei, der mit einem kleinen Satz zur Seite auswich und so den Weg symbolisch freigab. Mit weit ausholenden Schritten erreichte Grom sein Schlafgemach, stürmte zu seinem Bücherregal und riss mehrere Werke vom Brett herunter, da er in seine Eile nicht mehr wusste wohin er das Buch genau gestellt hatte. Dennoch war es schnell gefunden und sichtlich erleichtert eilte der Wirt zurück in den Gastraum, wo er dem Raben das Werk sogleich präsentierte und hinhielt.
"Hier, deswegen bist du doch zusammen mit deinen Freunden hergekommen!" Tatsächlich schien das Krakeelen von Draußen zumindest teilweise abzuschwächen, dennoch war weiterhin vereinzelt das Krächzen einiger Vögel zu hören die schlichtweg nicht aufhören wollten den Namen des Endgültigen zu rufen. Da der Rabe vor ihm nicht wirklich reagierte sondern Grombart nur mit seinen weißen Augen zu durchlöchern schien, warf dieser ihm das Buch kurzerhand vor die Klauen, woraufhin das Tier begleitet von einem überraschtem Aufschrei nach hinten sprang.
"Nimm es und verschwinde, du und die anderen! Ich habe nichts mit euch zu schaffen, lasst mich einfach in Ruhe!"
 
Tumult vor seiner Tür. Kanzler Vika hatte gerade das Frühstück mit den letzten Trauben beenden wollen, als sich vor seiner Tür jemand aufgeregt mit Roderick zu unterhalten schien. Das schwere Holz hatte die Eigenschaft viele Geräusche des alltäglichen Geplappers der Dienerschaft abzuschwächen sogar schon um der Ecke völlig verschwinden zu lassen und Vika war froh, so meist ungestört arbeiten zu können. Doch jetzt schien sich diese aufgebrachte Person direkt in unmittelbarer Nähe vor der Tür zu befinden. Der Kanzler verstand zwar nur dumpfe Gesprächsfetzen. Klare Worte schwächte die Tür sogar hier noch ab, aber es schien eindeutig um etwas zu gehen, was nicht alltäglich war. Kein einfaches Gesuch auf eine Vorstellung, kein Bote mit einer normalen Botschaft. Den Kanzler beschlich ein ungutes Gefühl. Er starrte zur Tür, als ob er dadurch besser verstehen würde und er bildete sich ein mehrmals die Worte "Priester", "Morgen" und "schrecklich" herausgehört zu haben. Obwohl ein Verwalter in seinem Alter und mit seiner Erfahrung Geduld und Bodenhaftung besaß, hielt es den Bärtigen nicht auf seinem Stuhl. Er ließ den Rebenstrunk auf das Tablett fallen und schob den Stuhl zurück, während er aufstand. Vika hörte wieder Rodericks Stimme die auf den Mann, soviel war erkennbar, einzureden schien. Der gute Junge wollte wohl mit allen ihm zu Verfügung stehenden Mittel vermeiden, dass sein Herr gestört wurde. Selbigen packte der Unmut über die Situation und er stampfte hinüber zu Tür. Je näher er kam desto mehr verstand er. "... soll das bedeuten? ... Vika hat nicht..." "Er muss sofort.... Priester sind alle .... bewegen sich...." "Das ist völlig.... seine Majestät..." "Das denkt Ihr euch doch...." "Ich versichere Euch, ich habe sie... und sie haben keine Bewegung mehr gemacht." Vika griff die Flügeltüren mit beiden Händen und zog sie auf.

"Ich werde Kanzler Vika von Eurem Anliegen berichten, wenn er Zeit für die Arbeit hat, aber nicht jetzt!", sprach Roderick mit erboster Miene zu einem alten Mann in weißer Robe, die schon einiges an Glanz an den Grauschleier des Straßendrecks verloren hat. Er trug ebenso wie der Kanzler einen Vollbart der an den Spitzen gekräuselt war, allerdings war er weder so gut gepflegt wie der von Vika, noch hatte er alle Haare auf dem Kopf, sondern nur einen Kranz aus kurzen glatt gekämmtem grauweißem Haupthaar. Vikas Haare waren etwas länger, voll und standen noch alle in Farbe, ein helles Braun, wie sein Bart. "Was ist denn das für ein Radau!?" Er musterte den Aufgebrachten, den irgendetwas furchtbar erschreckt haben muss. Seine Mimik zeigte noch Spuren davon. Roderick, der bisher wie eine Wache vor der Tür stand, drehte sich nun zum Kanzler herum. "Dieser Herr hier ist Verwalter... Peoas" "Peoras", korrigierte ihn der Graubärtige. Roderick schloss für einen minimalen Augenblick die Augen um seinen Nerven Erholung zu bringen. "Verwalter Peoras, der behauptet eine grauenvolle Entdeckung gemacht zu haben." Der Kanzler zog die buschigen Augenbrauen hoch und schaute Peoras an. "So? Was wäre das?" "Mein Herr ich empfand es als despektierlich Euch beim Morgenmahl zu stören und bat Meister Peoras zu warten bis Ihr bereit wärt, aber er bestand darauf Euch sofort sprechen zu müssen." Vika hatte eine Vorahnung die sich wohl einstellte, wenn man dieser Stadt sein Leben gewidmet hatte. Er schwieg für einen Moment und auch keiner der Anderen wagte etwas zu sagen. Dann atmete der Kanzler einmal tief durch und machte auf dem Absatz kehrt. "Du kannst das Tablett abräumen guter Roderick. Ich bin fertig und bitte Meister Peoras herein." Auch wenn er den Pagen nicht sehen konnte, wusste er das er gerade eine unzufriedene Miene aufsetzte. Er hätte es wohl lieber gesehen, wenn der Kanzler diesen Störenfried draußen warten ließ, bis sich die Gemüter beruhigt hätten und Kanzler Vika wirklich bereit für die Arbeit wäre. Doch der Junge sagte natürlich nichts außer einem "Sehr Wohl. Darf ich bitten mein Herr?"

Als sich die beiden älteren Männer im Arbeitszimmer des Kanzlers eingefunden hatten und der Junge mit dem Tablett wieder hinter der Tür verschwand ließ sich der Kanzler unter angedeuteter Mühe in seinen Stuhl fallen. "Nun... was duldet keinen Aufschub Meister Peoras?" Der Verwalter der etwas verloren im Raum stand und nicht wusste wohin mit seinen Gedanken und Emotionen rieb sich verlegen am Arm. "Nun ich... ich danke Euch für Eure Zeit mein Kanzler. Ich... störe auch nur ungern ...." Die alten wachen Augen von Vika begannen zwischen dem Gestammel im Gesicht des Verwalters zu lesen. Er ist völlig verstört. Was muss geschehen damit es einen Mann mit so viel Lebenserfahrung in Ferodans Tor derart aus der Fassung bringt? "Ganz ruhig. Einen Schluck Wein?" Der Kanzler zeigte auf die Karaffe am oberen Ende seines Schreibtisches neben dem wie immer drei saubere Kelche standen. Peoras schaute zum Krug, überlegte kurz und nickte, worauf Vika ihm einen halben Kelch des Rebensaftes einschenkte "Bitte." Er schob den Kelch etwas abseits. "Nehmt doch Platz." Der verstörte Mann griff sich den Kelch und ließ sich auf einem kleinen Hocker mit Armlehnen nieder, die in einer angedeuteten Welle aus beiden Seiten des Hockers herauskamen. Einen großen Schluck später, legte Peoras die Arme auf den Lehnen ab und setzte erneut mit seinem Anliegen an. Vika hatte mittlerweile die Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützt und die Hände ineinander verschränkt. "Ich mache jeden Morgen bei Sonnenaufgang einen Spaziergang im Wisperviertel. Es entspannt mich die ruhigen Altäre der Besinnung und des Glaubens zu besuchen und den aufgehenden Tag mit den ersten Sonnenstrahlen zu begrüßen. Doch heute sah ich Verstörendes. Es ist war immer sehr ruhig zu dieser Zeit, doch heute war es still... totenstill." Vikas Blick wurde ernst. Peoras schluckte. "Als ich das bemerkte und mich einem der Tempel nährte, da sah ich...", seine Augen fühlten sich mit Tränen, "... die Priester... regungslos.. auf dem kalten Stein." Der Kanzler starrte den Verwalter an. "Tot?" Er bekam ein verängstigtes Nicken. Seine Augen weiteten sich. "Beim Endgültigen... das ist ja schrecklich!" Er griff nun erneut zur Karaffe um auf den Schreck ebenfalls einen Kelch Wein zu trinken. Beide beruhigten mit großen Schlucken ihre Gemüter und befeuchteten sich die Kehle. "Welche Priester? Welcher Tempel?" Peoras Lippen zitterten, er war den Tränen nah. Sein Geist konnte die Antwort nicht begreifen die er aussprach. "Alle."

Der Kanzler verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall. Es dauerte eine Weile bis er sich beruhigte. "Alle Priester? Jeder Tempel? Das ganze Wisperviertel?" Schweigen. Der Verwalter schien im Geiste wieder dort zu sein und die Szene erneut zu durchleben. Dann kam er für einen Moment zurück ins Hier und jetzt. "Das ganze Wisperviertel. Überall wohin ich lief um Hilfe zu finden, irgendjemanden... sie waren alle tot, egal in welchen Tempel ich kam. Überall Blut... das viele Blut... wer würde den so etwas nur tun?" Er schaute Vika direkt in die Augen um die Hoffnung auf eine Antwort bestätigt zu bekommen. Doch der Kanzler hatte keine Antwort, sondern suchte sie selbst im Wein. "Doch das ist noch nicht alles", fuhr Peoras fort. Er atmete tief durch. Angesichts der verkündeten Botschaft eines Massenmords ahnte der Kanzler, dass die nächste Botschaft nicht besser wurde und er sollte Recht behalten. "Ich habe den Mörder gesehen..." Vika verschluckte sich erneut, diesmal war es schlimmer.



Der Zul-Rabe beäugte das Buch einen Moment. So als wolle er sichergehen, dass es wirklich das echte Buch ist. Dann ließ er einen markerschütternden Schrei aus seinem Schnabel ertönen, was selbst Tote aufgeweckte haben könnte. Das Krächzen und Rufen von draußen verstummte sofort. Für einen Moment war die Stille so allgegenwärtig wie in Zulins Thronsaal. Der große Rabe stocherte mit dem Schnabel an der Oberseite des Buchs herum und versuchte ihn zwischen die Seiten zu bekommen. Schließlich schaffte er es und nutzte den Schnabel wie einen Hebel um das Buch zu öffnen. Er schaute Grom an, verhielt sich ganz ruhig und Krächzte leise. Dann senkte er langsam seinen Schnabel und berührte das offene Buch auf dem Papier. Grombart verstand offenbar nicht. So tat der Vogel etwas Ungewöhnliches. Er hob einen seiner Füße und legte ihn langsam auf die Seite, so als wäre es eine menschliche Hand die das Buch berühre. Dann zog er sie wieder zurück und krächzte einmal leise als er wieder festen Stand hatte. Er betrachtete durch seine weißen Augen den Wirt und schob ihm etwas das offene Buch entgegen. Dann entfernte er sich vom aufgewühlten Wirt und wartete.



Es war kein guter Morgen für Rikka. Ihr Magen knurrte, ihre Kehle war ausgetrocknet und ihr tat alles von den harten Steinen weh, die sie für diese Nacht ihr Bett nannte. Zudem hatte sie unsägliche Kopfschmerzen. Hatte sie sich den Kopf angeschlagen? Sie konnte sich nicht erinnern. Überhaupt konnte sie sich an nichts erinnern. Was war letzte Nacht passiert? Wo war sie? Es dauerte einige Weile bis sie die bekannten Häuser der Nachbarschaft im Weißbergviertel ausmachen konnte. Doch wieso bei allen Heiligen lag sie im Dreck der abgebrannten Werkstatt ihres Meisters. Tiefe Trauer durchzog sie... ihres ehemaligen Meisters. Die Bilder von letzter Nacht und dem am Strick baumelnden Anel Poms brannten sich wieder in ihr Bewusstsein. Es kam ihr gerade alles zu viel vor und diese Kopfschmerzen waren unerträglich. Nicht nur das, auch ihr Rücken schmerzte, was angesichts ihres 'Schlafplatzes' kein Wunder sein sollte. Doch da war noch irgendwas... Sie setzte sich auf und tastete den Boden unter ihr ab. Schließlich zogen Rikkas Finger den Gegenstand aus dem Dreck auf dem sie gelegen haben musste. Es war ein Buch, das angesichts der verkohlten Umgebung ganz gut in Schuss war. Sie blätterte es durch und stellte fest, dass es völlig leer war. Auf dem angeschmorten Cover befand sich ein Strichmännchen in einem Kreis. Ob sie dieses Symbol schon mal gesehen hatte?
 
Immer skeptischer beäugte Grombart den Raben vor sich. Nicht nur hatte er mit einem einzigen lauten Krächzen alle anderen Artgenossen zum Verstummen gebracht, auch schien er dem Wirt nun wirklich etwas zeigen oder zumindest erklären zu wollen. Etwas das mit diesem Buch zu tun hatte.
"Was willst du? Soll ich es lesen?" Vorsichtig näherte er sich dem Tier, streckte seine Hand behutsam aus und griff nach den vergilbten Seiten die auf dem Boden vor ihm lagen. Da der Vogel gerade nichts tat und ihn nur durchdringend anstarrte, zog Grom das Buch schnell zu sich und machte wieder einige schnelle Schritte zurück, nur darauf bedacht sich nicht zu lange näher als nötig bei diesem Raben aufzuhalten.
"Die Seiten sind leer, da kann ich nichts lesen. Hier schau." Der Wirt schlug das Buch auf und blätterte gut sichtbar von einer Seite auf die andere, darauf achtend dass der Vogel genau sah was er tat. Doch dieser erwiderte Groms Feststellung keineswegs wieder mit einem Krächzer, sondern mit einer weiteren Geste. Er hob seine schwarze Klaue erneut leicht an und ließ sie auf den Boden sinken, danach wieder zum Menschen starrend. Als dieser nicht reagierte wiederholte das Tier die Bewegung, bis Grombart klar wurde was der Gefiederte von ihm wollte.
"Ich soll meine Hand drauf legen?" Ein bestätigendes Krächzen war die Antwort.
"Also schön. Hab keine Ahnung was das bringen soll, aber wenn's dich glücklich macht und du danach Leine ziehst..." Demonstrativ theatralisch schlug der Wirt willkürlich eine der Seiten auf, hob die Hand und ließ sie langsam auf das Buch sinken, bis seine gesamte Handfläche auf dem Papier ruhte.
 
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Unschlüssig klappte sie das leere Buch zu. Noch während sie auf den ledernen Einband starrte, dessen geprägter Einband im fahlen Morgenlicht schimmerte wie Echsenhaut begann das Gefühl, sich in ihrem Körper breitzumachen. Ein jämmerliches Schlottern überkam Rikka, das sich schlussendlich als anhaltender schmerzhafter Krampf in der Magengegend manifestierte und immer schlimmer wurde. Sie spürte, wie sich bitterer Speichel unter ihrer Zunge sammelte, sie krümmte sich bald auf die Seite gerollt zusammen und erbrach sich qualvoll auf die rußgeschwärzten Steinquader neben ihr, während ihre Kopfschmerzen sich ins Unermessliche zu steigern schienen, als würden ihr glühende Schürhaken an den Augenhöhlen zerren. Verbittert blickte sie nach einigen schmachvollen Augenblicken auf ihre Kotze hinab, eine kaum substanzreiche Pfütze, der Zeugnis eines Leeren Magens, der trotz allem gegen seinen Besitzer zu rebellieren sich nicht hatte abschlagen lassen.
Ächzend wischte sich Rikka den Mund an ihrem Handrücken sauber, während die hervorgequollenen Tränen noch immer ihren Blick trübten. Alles drehte sich.
Am vorherigen Abend noch hatte sie sich von ihren letzten Münzen eine Schlafstatt leisten können, die reinste Verschwendung, so schien es nun. Denn das schäbige schwarze gerippe verkohlter Balken war zweifellos die Ruine ihres alten Ateliers. Die Götter mochten ihr vielleicht beantworten, welcher schwarzer erinnerungsloser Irrsinn sie des Nachts hierhergetrieben hatte, doch Rikka selbst blieb es ein Rätsel. Die ganze leidige Erfahrung erinnerte sie an ihre erste Erfahrung mit gewürztem Bier in der fernen Altnord-Mark, doch hatte sie sich keinen Alkohol leisten können, obgleich sie sehr danach gelechzt hatte.
Der unscharfe Nebel aus salzigem Wasser, der sich an ihren Unterlidern gesammelt hatte als glitzerne Perlen hinabfiel, die auf dem grauen Ruß als pechschwarze Flecken auftrafen, lichtete sich gemächlich und ihr Blick fiel wieder auf das Buch, das sich beim Aufwachen so unbarmherzig in ihren Rücken gebohrt hatte. Es war eine speckige Schwarte, wie von vielen schmuddeligen Händen durchblättert, doch wie sich bereits gezeigt hatte, vollkommen bar jeglichen Inhalts. Ratlos ließ sie erneut mit zögerlichen Fingern die Seiten vor sich vobeiflattern. Nichts. Kein Bild, kein Zeichen, keine noch so primitive Kritzelei. Sie schlug es erneut zu und da war es wieder, ein Detail das ihr aufgrund der plötzlichen Übelkeit fast entfallen wäre. Ein simples Symbol, nichts weiter als ein runder Kreis, in dessen Mitte sich ein kinderhaft gestaltetes Strichmännchen nach den Rändern seines stilistischen Gefängnisses reckte.
Fieberhaft durchforstete Rikka ihren noch immer umnachteten Geist, wo sie es schon einmal gesehen hatte. Unzweifelhaft bekannt, doch von so einfältiger Banalität hätte sie es überall gesehen haben können. Überall... überall? Natürlich!
Ihr schmerzender Schädel machte es ihr noch immer nicht leicht, sich zu konzentrieren, doch schlagartig wurde es ihr bewusst - dieses Symbol war tatsächlich überall. Wie ein Emblem zweifelhafter Herkunft war befand es sich in den Gassen Ferodans Tors, an Straßenecken und Brückenpfeilern, in Baumrinde geritzt und mit Ruß an Wände geschmiert. Dieses kleine unscheinbare Männchen in einem kleinen unscheinbaren Kreis prägte auf diffuse, unerklärliche Weise das Bild der großen Stadt, ein allgegenwärtiges Wappen, das niemandem auffiel, der nicht bewusst danach suchte.
Über das röhrende Rauschen in ihren Ohren hinweg erkannte Rikka nun auch, womit sie es zu tun hatte. Natürlich hatte Meister Poms ihr viel über die verborgene Symbolik in Bildern gelehrt. Stilbilder und vereinfachte Darstellungen vieler verschiedener illustrer, okkulter und diffiziler Dinge, manche bekannt, freundlich, gutheißend, manche... anders.
Keuchend warf sie den verschmähten, leeren Band von sich, der mit einem dumpfen Klatschen im Staub landete und Ruß als dunkle, gewissermaßen beispielhafte Wolke um sich ersteigen ließ, während sie sich auf dem Hintern durch den Dreck rutschend und mit den Füßen scharrend, einige Schritte von dem unseligen Ding entfernte.
Nein, so tief war sie noch nicht gesunken, oder doch? War sie wirklich am Boden angekommen?
Stumm formulierten ihre Lippen das Wort, das kein repektabler Bürger öffentlich auszusprechen wagen würde.

Kreutz...!
 
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"Ihr habt ihn gesehen?" Vika klopfte sich auf die Brust um die letzten Reste des Weins aus seinen Lungen zu bekommen und hörte unter restlichen Hustenfetzen was Peoras zu sagen hatte. "Er war in eine lange schwarze Robe gehüllt.. obwohl, es könnte auch ein Braun, oder ein dunkles Blau gewesen sein. Das Licht war nicht stark genug um es zu sehen. Er hatte einen Dolch in der Hand, gewellt, langer Griff, mit dem er..." Der Verwalter musste ob der Erinnerung schlucken. "Mit dem er immer wieder auf einen Priester des Zulin einstach. Der arme Mann war schon tot, aber dieses... Monster stach weiter und weiter... das Blut tropfte aus der Robe des Totenehrer. Sein Kopf war nach hinten gefallen und seine toten Augen starrten mich voller Entsetzen an. Das viele Blut..." Ihm versagte wieder kurz die Stimme und er verdeckte mit seiner zittrigen Hand seine Lippen. Seine Augen konnte die Worte nicht fassen die er gesprochen hatte. "Mein Herr... bitte... tut etwas..." Der Kanzler schien seine Fassung wieder zu gewinnen. Er schaute Peoras ernst an und stellte den Kelch auf der massiven Tischplatte ab. "Was ist dann geschehen? Hat Euch der Mörder gesehen? Habt Ihr den Mörder ins Gesicht schauen können?" Der verstörte Verwalter rang um die Worte. "Ich... nun... ich wollte weglaufen... Doch meine Beine bewegten sich nicht, versagten mir den Dienst. Ich weiß nicht wie und warum. Doch plötzlich hörte der Mörder auf mit seiner grausamen Tat und... und ... er drehte sich direkt zu mir. Als wüsste er genau, dass ich die ganze Zeit dort stand. Ich sah..." "Ja!? Was?" Vika lehnte sich vor um eindringlicher zu wirken "Was habt Ihr gesehen?" "Die pure Finsternis..." Er starrte ins Leere, als wäre er für einen Moment nur körperlich anwesend. "Schwarz... kein Gesicht... Eine Kapuze die keinen Inhalt hatte.. und ein ... ein ... Schmatzen.." "Ein Schmatzen? Drückt Euch klarer aus Mann!?" Peoras Geist war total verkrampft. Er fand keine Worte. Das war alles zu viel für ihn. "Ein Schmatzen... als würde er laut kauen.." Der Kanzler ließ sich in seinen Stuhl fallen. Es hatte keinen Sinn mehr noch mehr aus dem armen Mann herausquetschen zu wollen. "RODERICK!"



Es klirrte. Irgendwo in dieser Brandruine zerbarst gerade eine Vase, oder Ähnliches. Rikka schreckte hoch. War da etwas, oder jemand? Ihre Ohren lauschten in die dunklen Gänge, die sie nur spärlich durch die halb geöffnete, kaputte Tür des Zimmers sehen konnte. Durch verkohlte und abgebrannte Dachbalken schien die Sonne des herrlichen Morgens hinein und doch verdunkelte sich alles um ihr geistiges Auge. Da! Ein Knarzen, welches immer zu hören war, wenn jemand über glatte Böden lief, die mit Sand, Asche, oder anderweitigen Körnern bedeckt waren und zu allem Überdruss wurde es immer lauter. Dabei schien der oder die Unbekannte sehr vorsichtig zu gehen, denn er waren immer wieder Pausen von mehren Wimpernschlägen zu hören, oder besser nicht zu hören. Was geschah hier? Das Zimmer in dem Rikka geschlafen hatte war unter dem Dach und es führte nur eine Treppe nach unten in die Freiheit. Sollte sie eine Konfrontation riskieren? Vielleicht wäre es besser aus dem Fenster zu klettern und allem Ärger aus dem Weg zu gehen. War das überhaupt ein ungebetener Gast? Obwohl wer sonst würde in einer ausgebrannten Malerei herumwandern. Ihr Herz machte einen Sprung, denn das Knarzen wich einem dumpfen Schrittgeräusch. Die andere Person hatte eben begonnen die Treppe hinaufzugehen. Die alten Holzbalken schienen es der Person eindeutig nicht zu danken und unter den Schritten zu ächzen. Es gab kein Zweifel. Der oder die Unbekannte war ein Mensch. Kein Tier würde diese Geräusche machen... und er hielt nicht an. Als wüsste dieser Mensch dass hier oben noch jemand war und er oder sie war zielstrebig auf dem Weg zu Rikka. Was sollte sie jetzt nur tun? Ein Windzug kam auf und wehte durch die Löcher in Wänden und Dach, welche die Feuersbrunst geschlagen hatte. Das Lüftchen erwischte das Buch und pustete Staub und Asche frei, welche die Außenseite bedeckt hatte, nachdem es so schnöde in die Hinterlassenschaften des Feuers geworden wurde. So bildete sich ein schöner sauberer Kreis um das Buch mit dem Strichmännchen im Kreis. Der aufgewirbelte Staub waberte der jungen Frau entgegen.



Genau in dem Moment als Grombart die offene Seite berührte durchfuhr ihn eine Energie die aus einer anderen Spähre zu kommen schien. Sein ganzer Körper wurde von einer Art Strom durchflossen. Das Buch in seiner Hand begann heftig zu vibrieren. Alle Muskeln des Wirts verkrampften sich und er konnte sich nicht rühren. An seiner Handfläche, die noch immer auf der Buchseite lag begann etwas Feuchtes zu entstehen. Der Wirt konnte nicht sehen was es war, aber es wurde deutlich mehr und arbeitete sich von innen nach außen. Er fühlte dabei nur einen brennenden Schmerz. Seine Kopfschmerzen hämmerten in diesem Augenblick wie ein erfahrener Schmied auf einen Amboss. Sein Puls, eben noch ganz ruhig, begann zu rasen als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Die Flüssigkeit hatte die Handränder erreicht und floss darüber hinweg. Grom konnte nun sehen, dass es Tinte zu sein schien, die da zwischen seinen Fingern und an den Seiten unter seiner Hand hervorquoll.

Von jetzt auf gleich hörte das Buch auf zu vibrieren und auch seine Muskeln entkrampften sich abrupt. Sofort zog der Wirt seine Hand zurück. Der Schmerz hallte zwar noch etwas nach, aber ebbte quasi sofort ab. Als er die Innenseite seiner Hand betrachtete war kein Tropfen dieser eigenartigen Tinte daran haften geblieben. Auch sonst gab es keine Veränderungen an ihr. Anders jedoch war das bei dem Buch mit den drei Ringen auf dem Cover. Der riesige Tintenfleck schien in das Buch einzusinken und die Seite erschien wieder einen Moment so leer wie sie vorher war. Doch dann geschah es...
Wie mit einer unsichtbaren Feder begann jemand, oder etwas auf dieser Seite zu schreiben:
Diefuglas xyfahger kernber jver adqfwdfhe gfjjwer nmasdo. Grom konnte es nicht lesen. Die Buchstaben waren für ihn wahllos aneinander gereiht. Sein Kopfschmerz wurde größer und statt einem Hämmern, brannten seine Schläfen nun dauerhaft. Er konnte den Blick nicht abwenden. Eine Kraft zwang ihn regelrecht hinzusehen. werfb wef ßwefu bdwernwü ßefwne brz. Etwas ganz tief in seinem Kopf brannte durch, kappte sämtliches Schmerzempfinden und bäumte sich ein letztes Mal auf. Dann... als hätte jemand einen Schalter umgelegt, verschwand alles Leid der Welt für einen Augenblick. Grom wurde sich auf seltsame Art bewusst dass alle endlich war, auch der Schmerz und ab einem gewissen Punkt war es auch... endgültig, wie Zulin. Warum hatte er jetzt diesen Vergleich gezogen? Der Kopfschmerz verschwand und mit ihm auch die seltsamen Worte die gebildet wurden. Wieder schien die Tinte in das Buch einzusinken bis die Seite wieder leer war und die unsichtbare Geisterfeder begann erneut zu schreiben:

Sei gegrüßt Jünger. Du hast ein Verada's des Zulin geöffnet. Die Seiten wurden dir offenbart von der Weisheit des Endgipfel. Das Dunkelmoor braucht dich. Deiner sind wenig geworden und du hast viel vor dir. Deine Mentori werden dir deine nächsten Schritte vorgeben. Folge ihnen und ihrer Weisheit... und denke immer daran:

Der Tod ist neben der Geburt die einzige Tatsache des Lebens, weshalb dieser unter jeden Umständen geachtet und auch gefürchtet werden muss. Respekt vor einem jeden Verstorbenen ist generell und vor allem während der Beerdigungen stets Pflicht, denn wer sich dem Tod gegenüber respektlos verhält oder gar über ihn spottet, zieht den Zorn Zulins auf sich. Nach dem Leben steht die Endgültigkeit, eine Welt nach dem Tod gibt es nicht.


Damit hielt das Buch inne und nichts geschah mehr. Ein flatterndes Geräusch von draußen war zu hören. Der ganze Schwarm der Zul-Raben erhob sich und flatterte in alle Richtungen aus denen sie gekommen waren. Nur der große Rabe im Gastraum blieb still sitzen und betrachtete Grom. Er wusste nicht warum, aber auf gewisse Weise wusste Grombart, dass dieser Zul-Rabe bei ihm bleiben würde solange er es wollte, ja sogar, dass er auf Anweisungen wartete.
 
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"Was... bei allen Göttlichen... war das?!", stöhnte Grombart völlig außer Atem und betrachtete die Seiten des Buches ganz genau. Die konfusen Wörter, die so schnell erschienen und binnen weniger Augenblicke wieder verschwunden waren, waren einigen Sätzen gewichen die für ihn in diesem Augenblick überhaupt keinen Sinn machten. Warum sprach ihn das Buch direkt an und nannte ihn einen Jünger? Was war ein Vereda und was hatte Zulin damit zu schaffen? Fragen über Fragen auf die ihm niemand eine Antwort geben konnte. Völlig entgeistert und fassungslos legte Grom das Buch auf den nahen Tresen, krempelte den Ärmel seines Hemdes nach oben und zwickte sich einmal kräftig in den Unterarm. Nichts geschah.
"Das ist ein Traum. Ich muss träumen." Die dahingestammelte Behauptung klang selbst für ihn nur wenig glaubwürdig, auch wenn er nicht wahr haben wollte was gerade geschah. Wie so oft an diesem noch jungen Tag glitt sein Blick auf den Zul-Raben der weiterhin geduldig vor ihm auf dem Boden saß und zu warten schien.
"Warum? Warum passiert das? Du weißt doch mehr, sprich!", polterte der Wirt den Vogel an der nur einmal leise krächzte und danach begann sein Gefieder zu putzen.
"Was hat es mit diesem Buch auf sich? Warum steht da irgendwas von Zulin und Endgipfel, und wem soll ich wohin folgen?! Du bist doch so ein vermaledeites Vieh des Endgültigen, du weißt doch bestimmt ganz genau warum das hier gerade passiert!" Diesmal sah der Vogel zu ihm auf und legte den Kopf ein wenig schief, doch wieder schien er eine Antwort schuldig zu bleiben.
"Raus mit der Sprache du Mistvieh!" Die Situation machte ihn immer zorniger, denn nicht nur war er plötzlich in etwas hineingeraten womit er ganz und gar nichts zu tun haben wollte, auch machte dieser sture Vogel das ganze nicht besser. Wütend machte Grombart einen Satz nach vorn und versuchte den Raben zu packen zu bekommen, das Tier wich allerdings ungemein flink aus, krakeelte einmal kernig und flog einfach zum nächstbesten Tisch wo er sich wieder hinsetzte und den zornigen Tavernenbesitzer mit kalten Augen musterte. Grom stieß einen lauten Seufzer aus, zog sich einen der Hocker von der Theke heran und ließ sich ermattet darauf nieder.
"Jetzt schreie ich schon irgendwelche Vögel an.", murmelte er resigniert und wischte sich mit einer Hand durch's Gesicht, auf dem trotz keiner körperlichen Ertüchtigung bereits die Schweißperlen standen. Was hatte sich das Schicksal dabei gedacht ihm dieses Buch und den Vogel aufzuladen, der irgendwie nicht mehr von seiner Seite weichen wollte. Und nicht nur das, auch schien er jetzt eine nicht gewollte Verantwortung zu haben, denn dieses magische Buch hatte ihn mit "Jünger" angesprochen. Er kannte sich wirklich nicht mit der gesamten Geschichte des Götterpantheons aus, dennoch konnte er sich daran erinnern dass er dieses Wort schon mindestens ein paar mal gehört hatte, stets in Verbindung mit dem Namen eines Göttlichen. Waren es nicht höhere Priester? Auf jeden Fall jemand der in Verbindung mit einem Gott stand, doch genaueres fiel ihm selbst nach angestrengtem Nachdenken nicht mehr ein. Das Buch lag noch immer neben ihm auf dem Tresen, und da er weiterhin nicht glauben konnte und wollte was so eben geschehen war, nahm er das Schriftstück in die Hand und schlug die Seite auf auf der die Tinte so merkwürdig erschienen war. Noch immer stand dort der Text der ihn dazu aufforderte seinen Mentori zu folgen, sowie eine Textpassage die wahrscheinlich aus einer der Schriften der Totenehrer stammte. Alles schien derzeit zu viel und wirr, und selbst als er die wenigen Sätze wieder und wieder gelesen hatte, konnte sich Grombart keinen Reim auf die Geschehnisse machen. Und selbst wenn, so war ihm dennoch nicht klar -
"Natürlich!", stieß der Wirt so plötzlich und laut aus, dass der Rabe auf dem Tisch aufschreckte und abwehrend seine Flügel ausbreitete. Natürlich konnte Grom selbst nicht auf eine Antwort kommen, Zul-Moranus, der Totenehrer hier in Kahlfurt, allerdings schon. Immerhin kannte der sich mit den Riten und Lehren des Endgültigen aus und konnte ihm bestimmt auch erklären was hier gerade passiert war. Eiligst stürmte der Wirt zurück in sein Gemach, warf sich seinen Mantel über und war wenige Lidschläge später schon wieder im Gastraum, wo er das Buch des Totengottes zur Hand nahm und zügig gen Ausgang schritt. Der Rabe schaute ihm nach und hopste vom Tisch, dem Wirt dann watschelnd auf den Dielen folgend. Draußen angekommen schaute sich Grombart sogleich um ob er die restlichen Zul-Raben noch irgendwo ausmachen konnte, doch auf keinem der Häuser und nahen Dächer war noch ein Schwarzgefiederter zu sehen. Nun galt es schnell die Kapelle im Ort aufzusuchen und Zul-Moranus im Rat zu fragen, bevor am Ende noch mehr dieser merkwürdigen Vögel erschienen und den Tag nur noch weiter verschlimmerten.
Während sich Grom seinen Weg zum Totenehrer bahnte, erwachte auch so langsam der Rest des Dorfes, wahrscheinlich geweckt vom lauten Krakeelen der vielen Vögel. Und im Eingang der Taverne erschien der einsame Rabe, dem Wirt mit seinen Blicken folgend und danach krächzend in die Lüfte abhebend, dem Ahnungslosen direkt hinterher.
 
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Wie ein unfreiwlliger Wächter verfolgte der Zul-Rabe Grombart Stück für Stück, landete hier auf einem Dach, oder dort auf einem Ast, je nachdem was in der Nähe war. Kahlfurt erwachte nach und nach. Fida die Frau des Bäckers fegte den Boden vor ihrer Backstube. Ihr Mann stand schon seit 4 Stunden am Ofen. Währendessen lief Odi die kleine Tochter der beiden durch die Nachbarschaft und suchte offenbar etwas. Sie hatte ihre dunkelblonden Haare zu zwei Zöpfen gebunden und auch sonst war sie dem Dorf entsprechend mit einem einfachen Kleid bekleidet. Überall schaute sie, kroch in Büsche, schaute über Zäune. Ihr Mutter sah auf und wischte sich eine Strähne ihr roten Haare aus dem Gesicht, die praktischerweise zu einem Dut unter einer Haube geflochten waren. "Was machst du da Odi? Steck deine Nase nicht immer in anderer Leute Angelegenheiten und pass auf, dass du dein Kleid heute wenigstens bis zum Mittag sauber hältst. Ich komme ja mit dem Waschen kaum noch nach." Das Mädchen schaute nicht auf, sondern ging ihrer Suche weiter nach. "Ja Mutter. Ich komme auch gleich rein." Irgendwie bezweifelte die Frau diese Worte, aber die Arbeit zwang sie die Worte so hinzunehmen.

Währenddessen hob Bauer Lemke seine alten Knochen aus dem Bett. Es gab viel zu tun. Kühe mussten gemolken werden, die Ställe gereinigt und die Felder gepflügt werden. Er hoffte nur, dass seine Knechte ihn nicht im Stich lassen würden. Wie er Erik und Tam kannte, hatten sie jedoch alles andere Kopf nur keine Arbeit. Erik hatte bestimmt wieder zu tief ins Glas geschaut und sich bei Grombart besoffen und Tam.. nun Tam war eben Tam. Nicht ganz richtig im Kopf meinten viele im Dorf, aber Bauer Lemke beschrieb ihn lieber als einfaches Gemüt. Wer wusste schon was in so einem vorging.

Zul-Moranus betete wie jeden Morgenbeginn in der Kapelle. Es war sonst niemand da. Kerzen brannten still vor sich hin und gaben dem Ort eine Atmosphäre der Stille und Einkehr. Die Kapelle war weder voller Pracht, noch besonders befestigt. Viel mehr wurde ihre der wahre Glaube an Zulin dem Endgültigen gepredigt und sich um die Totenruhe gekümmert. Das Dunkelmoor hatte keinen Platz für Wichtigtuer und Prunk. Meistens ging es ums Überleben, oder mit dem Wenigen zufrieden zu sein was es gab und genau dieses Denken wurde von Zul-Moranus vorgelebt. Also plötzlich die großen Flügeltüren der Kapelle aufgestoßen wurden und das Gebet des Priesters jäh unterbrachen. Moranus drehte sich erstaunt um. "Grombart, was führt dich her? Bei Zulin du bist ja ganz außer Atem." Er erhob sich ruhig und ging auf die erste Reihe der Gebetsbänke zu. "Hier, setzt dich und ruhe aus. Dann berichte was schon so früh am Tag vorgefallen ist."
 
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Selbst das unnachgiebig lauter werdende Klopfen ihres wehen Herzens konnte die gequälten Schreie der Holzdielen nicht übertönen. Die Furcht vor dem nahenden unbekannten Fremden legte sich wie die Hand eines Meuchelmörders um ihre Kehle und ließ sie nur noch keuchend atmen. Während der tanzende Ruß sich langsam sachte träumend wieder dem Boden entgegensinken ließ gelang es Rikka, sich aufzurappeln und auf die Füße zu kommen. Mit zittrigen Knien wäre sie fast wieder im Staub gelandet, doch nachdem die Realität vor ihren Augen zunächst einige rapide Sprünge hin- und hergemacht hatte und der Boden zu schwanken schien wie das Deck eines Schiffes in der unruhigen See, schaffte sie es standhaft zu bleiben und in Gedanken ihre Optionen durchzugehen. Ihr schien nicht viel Zeit zu bleiben. Was immer der Fremde in dieser Brandruinen zu erhaschen erhoffte, er würde nur ein Mädchen finden und selbst das war manchem Plünderer eine erwünschte Beute.
Es gab zwei Fenster; eines Befand sich an der steinernen Rückwand des Zimmers und führte zu einer Böschung, die an der der Straße abgekehrten Seite des Hauses zu einem kleinen Rinnsal abfiel, zum großen Fluss führte und mit Unrat bedeckt war. Der Gedanke an diese schmutzstarrende Rinne verseuchten Wassers und der tiefe Sturz hinab drohte erneute Wellen der Übelkeit in ihr aufwallen zu lassen und wieder wure ihr fast Schwarz vor Augen. Da sich das Fenster zudem in unmittelbarer Nähe zum obersten Treppenabsatz befand erschien ihr dieser Weg als wenig lukrative Lösung.
Mit zusammengekniffenen Augen taumelte sie durch den tastenden Finger eines Sonnenstrahles, ließ das unselige Buch im Dreck zurück, wo es vermutlich hingehörte und wandte sich der gegenüberliegenden Seite des Raumes zu, wo sich in der sachte abfallenden Dachschräge ein größeres Gaubenfenster befand. Das Dach, formulierte ihr träger, verängstigter Geist, von dort würde sie sich auf das Dach flüchten können, sofern es ihrem Gewicht standhielt. Wenn sie sich nahe der Fassade hielt könnte es klappen. Ein leiser Fluch entfuhr ihr, als sie die beinahe höhnisch hellen Streifen und Flecken im Ruß entdeckte, die sie mit ihren eigenen Händen und Füßen hinterlassen hatte. Rikka selbst musste mittlerweile mit dem schwarzen Zeugnis des Brandes geradezu vollgeschmiert sein und ein kurzer Blick auf ihre Hände bestätigte diese Vermutung und dann sah ihr Gesicht sicher auch nicht besser aus. Egal, wenn sie es erst einmal aus dieser Falle herausgeschafft hatte, wäre es egal, wie man sie auf der Straße anstarrte, falls man sich einer abgerissenen Gestalt wie ihr überhaupt Beachtung zu schenken herabzulassen im Stande sah. Keuchend erreichte sie mit ihrer Hand den Rand der Gaube und bereits beim nächsten Schritt hatte sie das Fensterbrett erreicht.
Die Morgensonne blendete und verstärkte den Schwindel, der ihr durch die Tiefe angedieh. Während Rikka noch zögernd am zerstörten Rahmen herumtastete, hatte der fremde Eindringling das Ende der Treppe erreicht und hielt inne.
 
Die Gestalt offenbarte sich nun Rikka zum ersten Mal. Ein Äußeres zu den unheilvollen Geräuschen, die in der ausgebrannten Werkstatt ihres Meisters zu hören waren. Schwarz in der Schwärze. Die Gestalt war in schwarze Tücher gehüllt. Vielleicht war es auch Braun oder Grau. In dem dunklen, lichtlosen Gang hinter ihr war die echte Farbe der Stoffe schwer auszumachen. Auch die wahre Größe war für Rikka schwer abzuschätzen. Es sah fast so aus, als ginge diese Gestalt gebückt, wie ein geprügelter Hund. Unter den Tüchern hatte wohl früher mal ein einwandfreier Kapuzenmantel seinen Sitz. Doch diese Zeiten schienen seit Langem vorbei zu sein. Es gab weder Anhaltspunkte auf das Geschlecht, noch das Alter. All diese Erkenntnisse wurden unter Tuch und Dunkelheit verborgen... und einem Gestank der nur aus der Gosse kommen konnte. Es roch nach Unrat, Schweiß und Urin. Ist dieser Menschen, sofern es sich überhaupt um einen handelte, gerader der Kloake entstiegen? Diese Frage zu stellen, wurde der jungen Künstlerin überlassen. Die Gestalt stand einfach da im Türrahmen und schien aus der verbergenden Kapuze die junge Frau anzustarren. Sie tat ... nichts. Minuten schienen zu vergehen und keiner traute dem Anderen weiter als bis hierher. Dann senkte das Wesen seinen Kopf und fixierte das Buch, welches dort im Dreck lag. Rikka konnte seltsame Pieps- und Zwitscherlaute aus der Kapuze ausmachen, die mehr von einem Tier als von einem Menschen zu kommen schienen. Dann machte das Geschöpf den ersten Schritt hinein in den Raum. Die platinblonde Frau konnte genau sehen, dass unter den Lumpen ein zerfetzter Stoffschuh hervorkam und in dem dämmrigen Licht schien dort etwas wie Fell statt Haut durchzuschimmern. Um was für ein Ungetüm musste es sich handeln? Vielleicht spielte ihre Panik ihr auch nur einen Streich. Das Piepsen wurde greller. Als würde sich eine Maus über etwas tierisch aufregen. Als der Unbekannte an dem Buch mit der seltsamen Zeichnung ankam streckte er seine Hände danach aus. Da dieses ungewöhnliche Werk der Schreibkunst mitten im einzigen Lichtstrahl lag der durch das kaputte Dach herunterfiel konnte Rikka es diesmal deutlich erkennen. Die Hand hatte ganz dürre Finger, fast als gäbe es kein Fleisch an den Fingern und lange Krallen ragten daran hervor. Ein kurzhaariges graues Fell überdeckte die Stellen, wo keine Nägel saßen.

Was auch immer ihr Gegenüber war, ein normaler Mensch war es nicht, soweit legte sich ihr Verstand fest. Das Geschöpf schien tiefen Respekt vor dem Buch zu haben. Es wagte nicht es aufzuheben. Viel mehr schob es das Werk behutsam in Rikkas Richtung. Dabei versuchte es sich so wenig zu nähern wie es notwendig war und hielt sich stets bereit in der gebückten Körperhaltung stets den rettenden Schritt zurück zu machen, als rechnete das Wesen damit, dass die junge Frau ihm Gewalt antun wollte. Schließlich ließ es vom Buch ab und sah zu der Frau, die in der Morgensonne von Ferodans Tor stand, auf. Wieder piepsende Laute und durch die Kopfhaltung rutschte die Kapuze ein kleines Stück zurück. Was Rikka im Schummerlicht erblickte verschlug ihr für einen Moment den Atem. Ein ausgemergeltes Gesicht einer großen Ratte mit menschlichen Proportionen blickte sie aus kleinen roten Augen an. Die spitze Schnauze zuckte unruhig hin und her, als wollte das Wesen Rikka erschnüffeln. Die dünnen Barthaare waren angespannt und bewegten sich mit der Rattennase mit. Etwas ganz tief in der jungen Frau begann sich zu regen und so absurd es war, überkam sie ein leichter Anflug von Sicherheit und Bekanntheit, bei diesem Anblick. Doch schon im nächsten Augenblick nahm wieder die Panik allen Raum in Rikkas Bewusstsein ein. Der Rattenmann bemerkte die freie Sicht auf sein verzehrtes Antlitz und zog rasch wieder die Kapuze nach vorn um es wieder in Schatten zu tauschen. Noch immer kniete er gebückt vor dem seltsamen Buch und Rikka. Er drehte es der Künstlerin zu und schlug es mit seiner Rattenpfote auf. Die Seite schien absolut wahllos zu sein. Ihm war wohl nur wichtig, dass es aufgeschlagen war. Dann versicherte er sich, dass Rikka ihn genau beobachtete und legte seine flache Hand darauf. Die Bewegung wurde langsam und ein paar Mal ausgeführt, damit möglichst alles genau zu sehen war, so als wollte er Rikka anhalten es ihm nach zu machen. Dann gab es dem offenen Buch noch einen kleinen Schub und lies es durch Asche und Staub auf die ängstliche Frau zurutschen und entfernte sich rückwärts in gebeugter Haltung langsam Schritt um Schritt. Im Eingang wieder angekommen wartete er auf ihre Reaktion und machte keine Anstalten ihr einen einfachen Fluchtweg freizugeben.
 
Rikka sah sich erneut mit ungestüm aufwallender Übelkeit konfrontiert, obwohl dieses Ding sich nun wieder ans andere Ende des Raumes verzogen hatte. Die Kapuzengestalt, die sie zunächst für einen obdachlosen Gossenlieger gehalten hatte verströmte einen derartigen Geruch nach Pisse, dass der ganze Raum davon ausgefüllt zu sein schien und sich wie ein nasses Tuch auf ihr Gesicht legte. Erwartungsvoll zwinkerten die kleinen Rattenaugen unter schweren Lidern hervor, den Blick stets zwischen ihr und dem Buch wechselnd, während Rikka mit einer Gänsehaut kämpfend versuchte, wieder zu Atem zu kommen und ihr zu zerspringen drohendes Herz zu beruhigen. Es bestand kein Zweifel daran, was dieser Mäusemann von ihr erwartete, seine Geste war eindeutig gewesen. Doch widerstrebte es ihr, sich dem Willen der Kreatur zu beugen, die sie hier festhielt und ganz sicher nicht ohne weiteres gehen lassen würde. So einfach würde sie sich nicht zwingen lassen, was auch immer sie sich davon erhoffte. Fieberhaft ließ Rikka den Blick schweifen, in der Hoffnung in der Ruine irgendetwas zu finden, dass ihr als behelfsmäßige Waffe gereichen würde. Ein Brett vielleicht, ein Stein, irgendetwas...
Doch nein, sie war umgeben von nutzlosen Trümmern, verzogenem Gebälk, rußschwarze Planken, die schon bei einem zu intensiven Blick auseinanderzufallen und zu Staub und Asche zu zerfallen drohten.
"Was willst du? Lass mich gehen!"
Sie hatte ihre Stimme wiedergefunden und machte einen hoffnungsarmen Versuch, dem Rattenmann mit ein wenig zittrigem Temperament so etwas wie Respekt oder gar Furcht einzuflößen. Doch er antwortete nicht. War es überhaupt ein Mann? Es dürfte kaum eine Rolle spielen, Rikka konnte in keinem Fall damit rechnen, ihn, sie oder es zu überwältigen. Nein, dieser Weg war und blieb versperrt und ein leises eindringliches Fiepsen entfloh der finsteren Kapuze, gefolgt von einem Nicken, eindeutig auf das unsägliche Buch Kreutz' weisend.
Ganz sicher nicht!
Das Dach fiel ihr wieder ein. Sie würde mit diesem einzig verbliebenen Fluchtweg vorlieb nehmen müssen, auch wenn es bedeutete, der Kreatur den Rücken zu kehren. Wer wusste schon, ob das Vieh seinen tierischen Artgenossen an Flinkheit gleichkäme. Wenn da bloß dieses Gefühl der Vertrautheit nicht wäre. Erst gerade eben, als sich ihre Blicke wieder gekreuzt hatten war ihr das warme Empfinden erneut in die Brust geglitten, als würde sie einen alten Freund erblicken. Doch Schluss davon, solche Freunde hatte sie nie besessen, ohne jeden Zweifel! Mit einem Anflug von Zorn stieß sie diese Gedanken von sich und die Wärme erlosch, hinweggefegt wie von einer kalten Windbö, als sie sich entschlossen umdrehte und sich anschickte, aus dem verkohlten Fenster zu steigen.
Doch das kleine Rechteck Freiheit war nicht mehr da. Denn dort hockte auf dem Fenstersims, die Sicht und jede Hoffnung auf Flucht vollkommen blockierend, eine weitere Gestalt, dreckig, schäbig, zerlumpt. Der Schrecken des plötzlichen Anblickes ließ Rikka spitz aufschreien und zurückweichen. Sie spürte, wie sie mit der Ferse an einer unebenheut der verbogenen Dielen anstieß, ein kurzer Moment der Schwerelosigkeit folgte. Dann landete sie unsanft auf dem Rücken im schwarzen Staub. Und sie ergab sich. Es hatte keinen Sinn.
Keuchend gelang es ihr, sich aufzusetzen und fixierte böse abwechselnd die beiden Unheilsboten, von denen sie heimgesucht wurde. Die Gestalt im Fenster ließ ein kurzes Gurren vernehmen und hopste erschrocken ein wenig herum. Die Künstlerin registrierte, dass aus den Ärmeln nackte vierfingrige Pfoten herausragten, runzlig und von fleckigem rosa, geschmückt von kurzen Klauen.
Bei den Göttern, was geschieht nur mit dir, schoss es ihr durch den Kopf. Dann legte sie die Hand auf die aufgeschlagene Seite des Buches.
Das bekannte Gefühl schien für einen Moment zurückzukehren.
War das wirklich Papier, was sie dort berührte?
 
Licht und Schatten durchströmten Rikkas Kopf. Es war fast so, als gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht, hell und dunkel. Farben verblassten und alles wurde verschwommen. Sogar ihre ausgestreckte Hand auf dem Papier schien zu verschwimmen. Tatsächlich war es kein billiger Taschenspielertrick. Die junge Frau traute ihren Augen nicht. Es war als würde ihr Arm langsam in das Buch einsinken. Dunkle fadenartige Strukturen blieben da zurück wo mal ihre Hand war. Wurde sie jetzt komplett verrückt? Es gab keinen Zweifel. Ihre Hand war anfangs nur verschwommen. Doch jetzt war es ganz deutlich, dass sie nicht nur verschwommen, sondern sogar verschwunden war. Zusätzlich fühlte sich ihr ganzer Körper unglaublich leicht an. Was passierte hier nur? Die beiden Kapuzengestalten piepsten und quakten in seltsamen Lauten. Etwas schien sie furchtbar aufzuregen. Rikka nahm das nur so am Rande wahr. Ihre Aufmerksamkeit zu den pochenden Kopfschmerzen galt vielmehr wie sie ihre Hand wieder bekam. Tief in ihrem Kopf regten sich ihr unbekannte Gedanken. Wirre Fetzen von Bildern und Tönen: undefinierbar, unverständlich, unwichtig...oder?
Im nächsten Moment war der Spuk auch wieder vorbei und ihre Hand war wieder da wo sie sie abgelegt hatte. Das Buch schien seltsam zu schimmern, doch nur für einen Augenblick. Dann zeichnete sich wie von Geisterhand ein kleines Strichmännchen in einem Kreis in die untere Ecke der Seite auf der sie ihre Hand hatte. Die beiden vermummten Wesen schien das aber nicht zur beruhigen. Ob ihre Aufregung überhaupt mit dem was hier geschah zu tun gehabt hatte? Sie piepsten ganz aufregt und unmissverständlich zwischen quaken und zwitschernden Lauten. Irgendetwas schien sie zu beunruhigen. Rikka zog ihre Hand rasch zurück bevor sich das Buch seine Entscheidung anders überlegte und sie doch noch verschlang. Erst jetzt wurde ihr die Aufregung um sie herum bewusst. Das Wesen auf dem Sims kam inzwischen herein eilte an Rikka und seinem Kameraden vorbei, um sofort in der Dunkelheit des Ganges vor dem Zimmer zu verschwinden. Der verbliebene Rattenmann schlug das Buch zu und drückte es dem Mädchen in die Arme. Dann zerrte er so sehr er konnte an ihr um sie zum Aufstehen zu bewegen. Rikka wusste gar nicht wie ihr geschah. Ein greller Fiepender Schrei durchfuhr die Ruine. Er kam eindeutig von draußen und fuhr beiden durch Mark und Bein. Der Rattenmann wurde regelrecht hektisch. Mit aller ihm zu Verfügung stehen Kraft drückte er sie Richtung Fenster und würde sie wohl noch weiter hinausdrücken. Er piepste sie heftig an. Seine Barthaare waren steif nach außen aufgestellt. Dann knarrten die Dielen auf dem Gang wieder. Doch ganz anders wie zuvor beschlich Rikka nun ein regelrechtes Gefühl von Panik. Das was da kam war definitiv schlecht, wenn es hier war. Auch der Rattenmann fühlte wohl diese Panik. Denn er drückte so sehr er konnte Rikka nach draußen auf den Sims.
Plötzlich sägte sich ein kreischendes Geräusch durch den Raum Es war als würde man mit dem Klang von zwei übereinander reibenden Sägeblättern versuchen Trommelfelle zum Platzen zu bringen. Alles in Mädchen und Rattenmann an Muskeln verkrampfte sich. Sie hielten sich ihre Köpfe um das Geräusch irgendwie aus ihrem Schädel zu bekommen. Hörten sie es überhaupt mit ihren Ohren? Dann schließlich tauchte eine weitere vermummte Gestalt in der Tür auf. Sie war ganz anders als die beiden ersten Kapuzenwesen. Sie hatte keine sichtbaren Gliedmaßen. Es war mehr als würde ein ständig wehender leichter Wind diese finstere Robe von innen in Form halten. Auch ein Gesicht war nicht auszumachen und doch war der schwarze Ort wo das Gesicht sein musste zweifelsfrei der Ursprung dieses Kreischens. Erst jetzt war der zerlumpte Kadaver an seiner Hand, bzw. der Ort wo die Hand sein müsste, zu erkennen. Er blutete wie ein abgestochenes Schwein. Gehalten von schwarzem... Rauch? Der Rattenmann stieß Rikka mit letzter Kraft über den Sims, konnte sie aber nur ins Straucheln bringen. So konnte sie noch kurz verfolgen wie sich der seltsame Helfer todesmutig der kreischenden Robe entgegenwarf, gepackt wurde und strampelnd an der anderen "Schattenhand" baumelte. Mit aller Kraft wurde sein Leib gegen die Zimmerwand geschleudert, dann wieder und wieder und während sein piepsender Körper immer weniger zappelte, merkte Rikka wie sie nun schlussendlich doch das Gleichgewicht verlor und fiel. Sie stürzte in die Tiefe, sah den Boden auf sie zurasen und fasste unerklärlicher wiese einen seltsamen einen Entschluss. Ihr war nicht mal klar warum sie ihn fasste: Sie wollte dort hin. Genau dort. Auf sicherem, festem Boden. Entfernt von diesem Horror. Wie durch ein Wunder fühlte sie sich wieder leicht wie eine Feder. Im nächsten Moment war sie unten angekommen, ohne Kratzer, ohne aufgeplatzten Eingeweiden, aber mit höllischen Kopfschmerzen und gelähmten Muskeln, als hätte sie weder Nervensystem noch Skelett. Doch für den Moment saß sie am Fuße des Hauses und sogar das Buch war noch da. Nun musste sie sich erst mal klar werden, was hier passierte. Doch der Augenblick schien ihr nicht vergönnt... denn wieder hörte sie dieses Kreischen und wie es schien war es nur eine Mauer entfernt.



Elana zwinkerte mit ihren schön geschwungenen Wimpern. Ihr Bild, erst verschwommen, wurde nun immer klarer. Sie spürte ihren Atem. Langsam wurde ihr bewusst, dass sie lag. Ihr Blick ging an eine schöne Vertäflung, die verzierte Farnblätter zeigte, welche je Fließe ineinander übergingen, aus strahlendem Braun. Ihr wurde klar, dass es eine Zimmerdecke sein musste. Eine Zimmerdecke die sie nicht kannte. gleich unterhalb der Vertäflung fingen große schwere Bücherregale an, dunkles Holz, mit geschnitzten Tatzen als Füße. Überall reihen sie sich aneinander und jedes war bis zum Dach mit Büchern voll gestellt, ja schon fast gestopft. Ein flackerndes Licht aus einer bisher unbekannten Quelle spendete ihr etwas Licht, irgendwo neben ihr. Sie versuchte den Kopf zu drehen, was Selbiger sofort mit heftigen Schmerzen quittierte. Sie fühlte sich wie die ganzen feinen Herrschaften nach den prunkvollen Festen. Doch wie konnte das sein? Vorsichtig prüfte sie ihre anderen Gliedmaßen. Alle gehorchten ihren Gefühlen. Ein zweiter Anlauf sich umzusehen. Es schmerzte wieder, aber Elana zwang sich den Schmerz ignorieren zu müssen, wenigstens ein kleines bisschen. Ihr Blick wurde immer klarer und so konnte sie sehen, dass der Raum nicht besonders weitläufig war. Vielleicht 10 Quadratmeter. und alle Wände mit den schweren Regalen voll gestellt waren. Ein Fenster gab es nicht. Sie entdeckte auch die Lichtquelle. Eine kleine Petroleumlampe neben ihr stand auf dem hölzernen Fußboden und flackerte vor sich hin. Entweder musste sie Zugluft abbekommen, oder ihr ging das Petroleum aus. Was war nur passiert? Wo war sie? Diesen Raum kannte sie definitiv nicht, oder doch? Ihr Kopfschmerz verhinderte lange Konzentrationsphasen. Langsam setzte sie sich auf. Sie hatte ihre normale Kleidung an. Wie war sie hierher gekommen? Die dunkelhäutige Schönheit schaute sich weiter um. Hinter ihr stand noch ein Tisch an der Wand mit einem Stuhl davor. Irgendetwas lag auf dem Tisch. Vorsichtig prüfte sie ihre Stabilität und rappelte sich hoch. Stehen ging, gehen nur mäßig. Sie fühlte sich schwach. Jetzt erkannte sie deutlich die Umrisse eines aufgeschlagenen Buchs auf dem Tisch. Sie konnte nicht sehen was für eins. Dazu war es dunkel auf dem Tisch. So hob sie die Petroleumlampe am quietschenden Griff auf und stellte sie über das Buch auf die Tischplatte. Es war vollkommen leer. Die Seiten waren unbeschrieben. Es war aber auch keine Tinte, oder anders vorhanden, um hier hineinschreiben zu können. Plötzlich hörte sie Schritte. Wer war das? Was passiert hier?
Ein weiterer Lichtschimmer fiel aufeinamal durch das Schlüsselloch und den Spalt unter der Tür. Elana betrachtete die Tür jetzt zum ersten Mal. Ein massiven Stück Holz mit schwer Eisenklinke, geformt wie eine Welle. Dann verschwand der im Schlüsselloch und dem Geräusch nach wurde ein Schlüssel hineingeschoben und mehrfach gedreht. Dann drückte jemand die Klinke herunter. Elana merkte wie ihr seltsamer Weise das Herz höher schlug als die Tür aufschwang. Zum Vorschein kam im Licht einer zweiten Petroleumlampe eine kleine alte Frau mit Magdkleidung und weißem Häubchen. Ihr Gesicht war runzelig, ihre Augen gütig und ihre graublonden Haare stippten einzeln unter der Haube hervor. "Hallo Mädchen.", begrüßte sie die junge Frau mit Grinsen über beide Ohren. "Hab keine Angst. Ich tue dir nichts. Ich will dir helfen." Stille. Keiner sagte ein Wort. Sie zeigte mit einer faltigen Hand auf sich. "Ich bin Marie, 'die alte Marie' nennen sie mich. Naja so falsch ist das auch nicht." Sie lachte, musste aber schließlich ob der Reizung ihrer Kehle kurz husten." Als sie sich wieder eingekriegt hatte, winkte sie ab. "Keine Sorge. Es geht schon. Sag, hast du einen Namen? Ich habe nicht viel Zeit, bevor mich die Herrschaften entdecken, oder gar suchen lassen, aber wenn du Fragen hast dann werde ich sie dir beantworten. So wie sie dich gestern hier angeschleppt haben, musst du eine Menge Fragen haben. Wie einen Kartoffelsack hat dich Rupert hier hineingeworfen." Sie schüttelte mitleidig den Kopf. So etwas kaltherzigen, so mit einem jungen Ding umzugehen. "Hast du vielleicht Hunger? Ich kann versuchen dir etwas zu essen zu bringen. Isst du denn... Brot oder Äpfel? Ich kann versuchen ein Glas Milch zu besorgen, wenn du magst..." Dann schaute sie die fremde Schönheit erwartungsvoll an und lächelte wieder.
 
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Schnaufend und sich auf der Straße immer wieder skeptisch nach allen Seiten umdrehend, erreichte Grombart letztlich die Kapelle des Endgültigen im Dorf. Es war das höchste Gebäude Kahlfurts, komplett aus schwarzen Holz erbaut das selbst noch im Licht der Morgensonne die Helligkeit zu absorbieren schien. Das Baumaterial stammte aus dem Kaltmoor, wo viele der krummen Bäume eben auch schwarz und ohne merklich viele Blätter waren, fast so als seien sie schon längst tot. Dennoch lebten diese merkwürdigen Gewächse, wahrscheinlich nur von den Macht Endgipfels oder des Endgültigen selbst am Leben gehalten. Das Hochmoor bot da etwas mehr Leben und Vielfalt, auch wenn viele der Bäume und Sträucher nicht eben minder schaurig wirkten.
An der Kapelle angekommen stieß Grombart ohne weitere Umwege die großen Portalflügel auf und fand sich im schmucklosen Inneren der kleinen Kapelle wieder, wo schwacher Kerzenschein ihn mit schummrigen Licht empfing. Fenster gab es keine, zu sehr lobten sich die Totenehrer die Dunkelheit und zu fremd wirkte die Helligkeit und der Frohsinn der Sonne im Glauben des Endügltigen. Anscheinend hatte Zul-Moranus bis gerade vor dem ebenfalls aus schwarzem Holz geschnitztem Altar in tiefer Trance gebetet, bis der Tavernenwirt ihn eben dabei unliebsam gestört hatte. Doch schon als er den ersten Fuß in das sakrale Bauwerk setzte, zog schlagartig ein stechender Schmerz von seiner Brust hoch in den Kopf, vergleichbar mit dem Ziehen dass er bereits nach dem Aufstehen verspürt hatte. Kurz hielt Grom inne und stützte sich am der nahen Wand ab, ehe er sich einmal wie ein nasser Hund schüttelte und seinen Weg mit schwachen Beinen fortsetzte.
"Ich will mich nicht setzen.", erwiderte Grombart polternd auf die Begrüßung des Totenehrers und schritt die Reihen der Gebetsbänke ab bis er am hinteren Ende der Basilika angekommen war. Vor Zul-Moranus stehend verbeugte sich der Wirt knapp vor selbigem und zeichnete dann in Richtung des Altares mit Daumen und Zeigefinger einen unvollständigen Kreis auf der Brust, als Zeichen seines Respekts vor dem Endgültigen. Aus unerfindlichen Gründen breitete sich etwa zeitgleich ein warmes Gefühl in den Innereien des Wirtes aus, angenehm und keineswegs so wie das zuvor empfundene Stechen. Es hatte fast den Anschein als wolle ihm jemand mitteilen, dass er das richtige tat.
"Verzeiht wenn ich Euch störe, Zul-Moranus. Aber es ist wirklich dringend.", schnaufte Grombart und hob fast schon zögernd das Buch hoch so an dass der Totenehrer es sehen konnte.
"Ich bin heute Morgen aufgewacht und da war dieses Ding bei mir. Ich habe mir nichts dabei gedacht, aber dabei blieb es nicht. Viel mehr hat es damit erst angefangen." Immer noch so atmend als wäre er durch das gesamte Hochmoor gerannt, zog der Wirt ein versifftes Taschentuch aus seinem Mantel und wischte sich damit den Schweiß aus dem Gesicht, bevor er mit krächzender Stimme fortfuhr:" Mich hat ein Zul-Rabe besucht und wollte mir irgendwas sagen, bis dann noch mehr von den Vögeln vor meiner Taverne auftauchten und einen Lärm machten wie ich ihn selten gehört habe." Schnell warf Grom einen argwöhnischen Blick über die Schulter um sicherzugehen dass ihm auch keiner der Raben gefolgt war, doch zu seiner Erleichterung sah er kein schwarzes Federvieh.
"Und als ich das Buch aufschlug hat es angefangen von wie von Geisterhand etwas zu schreiben, seht selbst! Die Zeilen stehen immer noch dort! Es ist...magisch oder so was."
 
Elanas Blick ging nochmal flüchtig durch den Raum, wobei sie unverändert stehenblieb wo sie war. Ihr Kopf funktionierte nicht richtig und schien sich nur ganz langsam und schleppend zu ordnen, und das auch nur in Begleitung eines fiesen Hämmerns irgendwo hinter den Augen. Da musste sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen, das glücklicherweise noch einigermaßen intakt zu sein schien. Und das Bauchgefühl sagte ihr, dass ihr dieser Ort unbekannt war. Das war schlecht. Sie kannte jeden Winkel des Tritan-Anwesens in dem sie wohnte und arbeitete. Dieser Raum gehörte nicht dazu.
Dass hier auch noch ein leeres Buch herumlag fand sie nicht ungewöhnlicher als alles andere in diesem Raum, deswegen schenkte sie diesem Detail keine weitere Aufmerksamkeit. Alles hier stimmte nicht. Die Bibliothek war so eine Art Heiligtum des Anwesens. Zwar war nicht besonders groß, aber dafür umso sorgsamer gepflegt. Herr Adrius mochte Bücher. Vor allem Bücher über fremde Länder, was bei ihm irgendwie in der Familie lag. Es wäre völlig undenkbar irgendwelche Bücher in einer versteckten, dunklen Kammer wegzuschließen, so wie es hier der Fall war. Mehr und mehr ergriff die kalte Klaue der Angst von Elana Besitz. Die Gewissheit wurde immer stärker: Sie war nicht da wo sie hingehörte. Es war nicht „ihr“ Haus.
Nur wo war sie dann? War sie entführt worden? Nein auf keine Fall... oder? Oder? In ihrem Kopf hämmerte es wie verrückt. Es war schwer klar zu denken und sie fühlte sich so elend wie schon lange nicht mehr. Mehr als alles andere wollte sie hier weg und zurück in vertraute Umgebung. Zurück in Sicherheit.

Die alte Frau kam ihr auch nicht bekannt vor. Elana konnte zwar nicht behaupten jeden der Angestellten im Haus zu kennen, aber gesehen hatte sie sie alle schon. Wenn auch nur flüchtig im Vorbeigehen. An die hier erinnerte sie sich nicht. Und ihr Bauchgefühl verschaffte ihr einen seltsame Flut von Unruhe, wenn sie sie ansah.
Das alles ließ die fremde Dienstmagd in ganz anderem Licht erscheinen. War sie nur hergeschickt worden um nach der Gefangenen zu sehen?

Elana kämpfte die aufsteigende Panik nieder. Locker bleiben – sie hatte hier eine Rolle zu spielen! Den Göttern sei Dank funktionierte das bei ihr ganz automatisch, ebenso wie das schüchterne, vorsichtige Lächeln das sie nun in ihr Gesicht zwang. Immer schön freundlich schauen... vielleicht half das hier. Vielleicht hielt es die Frau davon ab, die Tür gleich wieder zuzuschlagen und abzusperren.
„Hallo“, gab sie mit zarter Stimme zurück. „Ich heiße Elana.“
Sogar das Sprechen viel ihr schwer. Was war nur passiert? In ihrer Erinnerung klaffte ein großes schwarzes Loch. Sie wusste noch dass sie am Nachmittag im weitläufigen Garten des Anwesens gewesen war, nachdem sie ihre normale Hausarbeit abgeschlossen hatte. Aber dann? Dann nichts mehr. Keine Ahnung was noch passiert war.
Elana wagte einen kleinen, vorsichtigen Schritt Richtung Tür, wobei sie ein bisschen schwankte. Das war nicht einmal gespielt, sie hatte echte Probleme sich auf den Beinen zu halten.
Fragen? Meine Güte, Ja! Wo soll ich überhaupt anfangen?
Elana suchte nach Worten. Ihr war zumute als steckte ihr Kopf in einer Wolke. Einer großen, bösen, hämmernden Wolke.
„Ja... wo genau ist 'hier'? Wessen Haus ist das? Und warum bin ich hier?" Hat mich jemand entführen lassen? "Hab ich irgendetwas angestellt?“
 
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