Kapitel 8:
Die Landschaft brauste an ihnen vorbei. Aus dem Mund von Caedrics braun-schwarzem Hengsten tropfte der Schaum, und die Gruppe verlangsamte das Tempo nicht. Als sich die Straße gerade auf einen Hügel wand, trafen sie auf einige andere Reisende, die sich in dicke Umhänge mit Kapuzen hüllten.
„Bitte, helft uns! Die Soldaten da hinten wollen uns töten!“ rief Caed ihnen zu. Doch die anderen stoppten nicht und schrieen nur verächtlich: „Hier herrschst Krieg! Wer nicht selbst zusieht wie er weg kommt, ist so gut wie tot!“ Dann brüllte einer einen scharfen Befehl und die Pferde setzten sich in Bewegung. Mittlerweile rückten jedoch die Verfolger gefährlich nahe auf, einige spannten bereits ihre Bögen von den Rücken ihrer Pferde. Kaum galoppierten Caeds Freunde wieder, sausten die ersten Pfeile herüber. Einer blieb im Sattel von Caed stecken und er konnte ihn begutachten.
Der Pfeil war sauber gearbeitet und etwa 35cm lang. Die Befiederung ließ es zu, dass er auch bei starkem Wind nicht so leicht vom Kurs abkam. Die Spitze war mit einem hässlichen Widerhaken versehen. Nachdem Caed seinen Finger daran rieb, steckte er sich ihn in den Mund und schmeckte den säuerlichen Geschmack von Dimwurzelgift. Hätte diese Spitze seine Haut nur oberflächlich ritzt, könnte er bereits aufgeben.
Die zweite Salve flog auf sie zu. Von den Männern in den Kapuzen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Plötzlich ein gellender Schrei. Jonson, dessen Pferd etwas lahmte war zurückgefallen und ein Schaft ragte aus der Schulter. „Jonson, Nein!“, riefen die beiden anderen wie aus einem Munde. Ein neuerliches Sirren schreckte sie auf und noch ein Pfeil bohrte sich in den Waffenschmied. Ganz langsam drehte er sich um und röchelte: „Flieht, solange ihr noch könnt!“. Nachdem er das sprach, riss er ein Schwert aus der Satteltasche und zog das andere aus der Scheide an seiner Hüfte. Ein scharfer Befehl folgte, Jonsons Pferd wendete sich und ehe Caed oder Will wussten, was geschah preschte er den Gegnern entgegen. Seine Schwerter hielt er dass die Schneiden nach vorne gerichtet waren und er somit so viele wie möglich töten konnte.
Caedric und William gaben ihren Pferden die Sporen. Sie dankten Jonson, dass er sich für sie opferte und ritten weiter die Straße entlang. Hinter ihnen vernahmen sie einen Fluch und im nächsten Moment den schrillen Schrei der nur von einem verletzten Pferd kommen konnte. Keiner der beiden wagte es, sein Haupt zu wenden.
Am späten Nachmittag fanden sie eine kleine Herberge mit neuem Strohdach und verrammelten Fenstern. An den Wänden türmten sich Holzscheite auf. Erst jetzt fiel ihnen wieder ein, dass der Winter vor der Tür stand und es jeden Moment zu schneien beginnen könnte. Als er einen Blick auf den Himmel warf, welcher von einer dicken, weißen Wolkendecke bedeckt war, entschied Caed, dass die besser in der Herberge übernachten sollten.
Nachdem sie sich erkundigt hatten, ob noch Zimmer frei wären, versorgten sie ihre Pferde. Zum Glück gab es eine Verbindungstür zwischen dem Stall und dem Schankraum, da es draußen fürchterlich zu schütten begonnen hatte.
Nach dem Abendessen, welches aus ihrer eigenen Verpflegung bestand, betrank sich Caed, weil er glaubte, die Trauer um Jonson wegspülen zu können. Doch als er nach dem vierten Glas mit dem besten Schnaps noch immer nicht betrunken war, ging er in seine gemütliche kleine Kammer.
Das Zimmer bestand aus einem ungemütlichen Bett, einem großen, etwas schiefen Kasten, einem wackeligen Tisch mit einem kleinen Sessel dazu und, was Caed wunderte, an der Wand war ein Kamin. Als er ins Williams Zimmer schaute, fand er es genauso vor wie seines, auf mit einem Kamin an der Wand.
Nachdem er sein Lederwams, bei welchem die eigentlich braune Farbe fast nicht mehr zu erkennen war, weil es sehr viele Drecks- und Blutspritzer „zierten“, und seinen extrem zerrissenen Umhang, auf dem das Zeichen der Gilde bereits verblichen war, abgelegte, setzte er sich an den Tisch und zog aus einer Tasche ein Blatt Pergament und ein in Ölpapier gewickeltes Tintenfass mitsamt Feder heraus. Folgend schrieb er alles, was auf der Reise bisher geschehen war, auf. Bald schon merkte er wie es sehr kühl in dem Raum wurde, und er entzündete den Kamin. Nach einer Stunde löschte er die Kerze am Tisch und legte sich schlafen.
Am nächsten Morgen spürte er sogleich die Kälte im Zimmer, als er erwachte. Caed spähte durch einen Schlitz in dem zugenagelten Fenster und erblickte nur weiß. Weit und breit war alles weiß, einzig am Horizont stieg eine schwarze Rauchsäule auf. Im Kamin befand sich noch genug Glut, um das nachgelegte Holz leicht zu entzünden. Nachdem er sich in einer Waschschüssel, welche am Gang vor den Zimmern stand, gründlich gewaschen hatte, streifte Caed sich ein grünes Hemd und einen neuen, braunen Umhang über.
Als er den Schankraum betrat, herrschte dort ein großes Chaos. Einige Männer hatten versucht, die Tür zu öffnen und eine große Menge Schnee war in den Raum gerutscht. „Caedric, guten Morgen! Wie du siehst, wir wurden eingeschneit! Ich schätze dass da draußen mindestens ein Meter Schnee liegt, wenn nicht mehr!“, empfing ihn Williams, der nicht sehr über Jonsons Tod betrübt schien.
In den nächsten Wochen schafften es einige Reisende, eine Tür freizubekommen. Doch Caed und Will blieben, sie planten, erst nächsten Frühling aufzubrechen. Nun erreichten die Schenke, welche übrigens den Namen „Zuflucht“ trug, Nachrichten, zwar nur spärlich, aber immerhin. Man erzählte sich, dass der König Lenizia schleifen ließ und es sehr viele Tote gäbe. Auf die Frage, wie es der König schaffe, eine ganze Armee durch das weiße Land zu bringen bekam man die Antwort: „Die haben einfach ein paar hundert Leute schaufeln lassen!“
Caed ging es in dieser Zeit prächtig. Die zahlreichen kleinen Wunden und Prellungen waren verheilt und jeden Tag übte er mit dem Schwert oder jagte im nahen Wäldchen. Solange er jagte, dachte er nach. Über Jonson, über sein altes Zuhause, über seine verschollenen Eltern und über seinen, wahrscheinlich unter den Opfern von Kodam befindenden Onkel. Als ich William eines Tages fragte, ob er überhaupt jagen dürfe, meinte Caedric nur: „Ich bin diese Woche fünf Mal da draußen gewesen und nie irgendjemanden begegnet!“. Die Jagtgesetze waren hart, und wer sich nicht eine Urkunde bei dem nahesten Grafen besorgte, welche dem Besitzer die Erlaubnis zur Jagt gab, konnte leicht zum Tode verurteilt werden. Fischen bildete eine Ausnahme.
Eines Tages, Caed schätze Anfang April, brachen sie von der „Zuflucht“ auf. Die Pferde waren gesättigt und die beiden Reiter waren in den vergangenen Monaten stärker geworden. Caed trug einen neuen Lederwams mit den Insignien seiner Gilde, da ein Söldner, der während des Überfalls auf Kodam einen reichen Kaufmann beschützte, eben in dieser Herberge übernachtete und Caed seinen Lederwams großzügig überließ. Des Weiteren schnitze er sich ein Bündel neuer Pfeile die er mit Taubenfedern so präzise machte, dass sie selbst in einem Schneesturm auf zwei Meter genau waren, geschossen aus achtzig Metern Entfernung!
Das Land dass sie vorfanden erkannten sie nicht wieder. Viele der kleinen Wäldchen auf den Hügelkuppen waren abgeholzt worden und auf dem höchsten Hügel trohnte eine riesige Festung aus Holz. Am Fuße des Hügels bildete sich eine kleine Stadt mit kleinen, viereckigen Häusern, ebenfalls aus Holz. Auf der Straße, die eigentlich eher ein überdimensionaler Trampelpfad war, fanden sie alle paar Kilometer ein Haus welches zwei Soldaten beherbergte.
Caed und William wateten gerade durch eine Furt eines kleinen Flusses, als sie eine kleine Gruppe von Kriegern auf Pferden bemerkten, die sich ihnen schnell näherte. In Windeseile machten sie sich kampfbereit. Die Reiter hielten etwa fünf Meter vor der Furt und eine altbekannte Stimme gluckste: „Warum wollt ihr uns gleich umbringen?“ Die Stimme gehörte niemand anders als Jonson!