Hinter unserem heutigen Türchen befindet sich eine von Wolfslady extra für euch geschriebene Geschichte. Viel Spaß damit!
Der weiße Hirsch
“Ich habe ihn gesehen. Ich habe den weißen Hirsch gesehen!” Den Worten folgte Schweigen, nur unterbrochen von dem Flackern der Kerzen, die der kalte Wind von draußen umstrich.
Es war eine kalte Nacht, voll Schnee und Wind, nicht unüblich in diesem Teil der Welt und so war es auch nicht verwunderlich, dass fast alle Reisenden hier Unterschlupf gesucht hatten. Schließlich wäre es Wahnsinn, der Straße nach Windhelm zu folgen, wenn man die Hand kaum vor Augen sah. Einem Wahnsinn. dem sich die meisten vorsorglich entzogen hatten, als die ersten grauen Wolken am Himmel aufgetaucht waren. In diesen Ländern lernte man das Wetter zu lesen, oder man starb in den Klauen der Kälte.
Um die zwanzig Gäste drängten sich in den schmalen Raum, in dessen Mitte ein großes Feuer prasselte. Nicht wenige von ihnen würden auf den Bänken schlafen müssen, Betten für alle gab es wahrlich nicht. Bis vor kurzem noch war der Schankraum von Gelächter erfüllt gewesen, von den sanften Klängen einer Harfe, als ein halb betrunkener Barde doch noch versuchte, sich irgendwie an seinen Text zu erinnern.
Nun regte sich langsam ein Murmeln, ein Ausrufen, als der Dazugestoßene ausgefragt wurde. Wo er ihn denn gesehen hätte? Wie lange wäre es her gewesen? Wie er ausgesehen hatte?
“Pah. Diese Narren.” er trank einen Schluck Met und spuckte aus, womit er sich einen bösen Blick der Schankmagd einfing.
“Benehmen, Alom.” scholt sie ihn, während sie ihm neuen Met eingoss.
“Es sind allesamt Idioten, Silla. Jeder weiß doch dass der weiße Hirsch nur Unglück bringt.”
“Dort wo ich herkomme heißt es er sei ein gutes Omen. Das dem Jäger der ihn schießt ein Wunsch erfüllt wird.” mischte sich ein weiterer Mann, vom Aussehen her eindeutig kein Nord, eher Bretonisch, wobei er dafür eine recht dunkle Haut hatte. Alom war er schon vorher aufgefallen, dieser Mann, der unter seinem Mantel eindeutig eine Rüstung verbarg und so offensichtlich unauffällig tat, dass er einem misstrauischen alten Mann sofort ins Auge sprang. Dieser Mann brachte die Narbe an seinem Hals zum Jucken und das taten nur die Gefährlichen.
“Natürlich, dass ist die eine Seite der Geschichte. Die, die sich die Idioten dahinten am Tisch vermutlich gerade erzählen. Doch der weiße Hirsch ist nichts für Sterbliche.” bekräftigte er und nahm einen weiteren Schluck Met.
“Und woher wollt ihr das wissen? Meines Wissens nach hat ihn noch nie jemand gefangen.” Der Mann winkte ebenfalls nach einem Krug, als er näher an Alom heranrückte.
“Gefangen nicht, nein. Aber viele von uns waren so töricht es zu versuchen. Mein Bruder, Talos möge seiner Seele gnädig sein, war auch so ein Narr.” der Blick Aloms wurde versunkener, als ob er auf eine langst vergange Zeit zurückblickte “zwanzig, nah, dreißig Jahre ist das nun her. Damals hörten wir auch von dem weißen Hirsch und beschlossen nach ihm zu jagen. Ich wollte das Herz einer Dame gewinnen und mein Bruder, tja, der wollte einfach beweisen das er der beste Jäger war. Es war ein Schneesturm, wie heute…”
Man sah die Hand vor Augen kaum. Das Schneegestöber wurde immer dichter und langsam war sich Alom nicht mehr sicher wo sie waren. Es war unheimlich still, nur das Geräusch des fallenden Schnees, der alles andere erstickte. In dieser Einöde konnte er überall sein, dabei war er sich sicher, dass ihr Dorf nicht weit hinter ihnen lag. Er konnte seinen Bruder kaum sehen, dabei war dieser nur wenige Schritte vor ihm, aufgeregt mit dem Bogen fuchtelnd. In diese Richtung war der Hirsch verschwunden. Der Hirsch, den sie von ihrem Fenster aus auf dem Hügel gesehen hatten.
Der Hirsch.
Alom hatte noch nie ein Wesen von solcher Schönheit gesehen, strahlendes weißes Fell, dass fast silbern gewesen war. Ein Geweih, dass von innen heraus zu strahlen schien und Augen so blau wie Eis. Ein majestätisches Geschöpf, eines, dass keine Legende zu beschreiben vermochte. So schön, dass es nicht von dieser Welt schien. Und wie es gesprungen war! Wie die leibgewordene Eleganz.
Was man nicht alles für die Frauen tat! dachte er sich düster, als er seinem Bruder hinterherstapfte. Er wollte umdrehen, hatte langsam das Gefühl dass sie in diesem Sturm sterben würden wenn sie nicht aufpassten. Sie waren Nord und gerade deswegen war ihm dieses Wetter unheimlich, dieser Schneesturm, der aus dem Nichts gekommen war und immer schlimmer wurde.
“Da vorne. Da vorne ist er!” kam der verschluckte Ruf seines Bruders und Alom erstarrte, als der Hirsch nur wenige Meter vor ihnen stand. Er sah sie an, aus unergründlichen Augen und legte den Kopf schief, als würde er eine Frage stellen.
“Endlich, endlich ist es soweit.” sein Bruder ließ den Bogen von seinen Schultern gleiten und legte einen Pfeil auf, zielte direkt aufs Herz.
Auf einmal wurde Alom Angst und Bange. Kälte kroch in sein Herz, die nichts mit dem Sturm zu tun hatte. Etwas war hier falsch. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Dieses Tier, dieses Tier starrte ihn mit einer Intelligenz ein, die es nicht haben sollte, nicht haben durfte. Dieses Wesen...dieses Wesen….
“Bruder, warte…” doch es war zu spät, der Pfeil schoss von der Sehne, direkt auf das Tier zu. Er hoffte der Pfeil würde verfehlen, betete gerade dafür, doch sein Bruder traf immer. Sekunden dehnten sich, wurden länger und länger als der Pfeil die Luft durchschnitt, immer auf sein Ziel zu.
Im nächsten Moment wurde alles schwarz.
“Als ich erwachte war mein Bruder fort. Spurlos verschwunden.” schloss Alom düster und nahm einen weiteren kräftigen Zug, kratzte die breite Narbe an seinem Hals.
“Und er kam nie zurück?” fragte der Mann.
“Nein, niemals. Dieses Biest ist kein Wunderding. Es ist teuflisch, nicht von dieser Welt. Wer es jagt, der verliert seine Seele.” Alom verstummte kurz, dann seufzte er “aber das ist nur die närrische Geschichte eines alten Mannes. Sucht ihn, wenn ihr wollt, doch erwartet nicht, dass er das ist was ihr glaubt.” er seufzte, dann erhob er sich. “Es wird Zeit für mich nach Hause zu gehen. Schönen Abend noch.” damit ging er in Richtung Tür. Der Mann erhob sich ebenfalls, dann setzte er sich wieder.
“Alter Mann. Wie konntet ihr in einem Schneesturm draußen überleben?” Alom stoppte, dann drehte er sich kurz um und lächelte fast schon nachsichtig als er seinen eigenen Mantel ein wenig zur Seite schob.
Der Mann erschrak und erbleichte ob des Jagdhornes das an seinem Gürtel hing. Er hatte ein solches schon einmal gesehen, in den Wäldern von Bankorai, als Jäger zu Gejagten wurden. Das Symbol eines Mannes der seine Seele verloren hatte.
Kurz nach Alom erhob sich eine Gruppe von Männern, betrunkene Lächeln auf den Lippen, Bogen und Speere fest umspannt. Sie lachten und scherzten, versuchten sich gegenseitig ihren sehnlichsten Wunsch zu entlocken. Den, den sie sich erfüllen würden, wenn sie den Hirsch töteten.
Der Mann nippte an seinem Met, in Schweigen versunken.
Tief in der Nacht vermeinte er Hörner schallen zu hören.
Doch vielleicht war es nur der Wind.