Eigenes Werk Der Anfang

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Der Anfang

Doch der entscheidende Knall blieb aus, nur ein Klicken hallte durch den Raum als ich den Abzug betätigte. Dann … Stille. Nichts geschah, ich hielt meine Augen geschlossen und lächelte vor mich her. Die meisten Menschen hätten das Ende erwartet, doch das was jetzt geschah, erwartete nicht einmal ich. Das Einzige was mich hätte umbringen können, wäre die Patrone gewesen die vor mir lag. In der Waffe steckte kein Magazin. Nur diese eine Patrone war im Lauf, doch war dies bewusst von mir gewählt. Was allerdings nicht von mir beabsichtigt war, war die Wärme die ich hinter mir spürte. Die Wärme die ich an meiner rechten Hand spürte, jene die die Waffe hielt. In einem sanften Ton erklang eine weibliche Stimme leise hinter mir: „Endlich habe ich dich gefunden. Was hast du nur so lang gemacht, hm?“ Sie klang wohltuend, leise, so nahe und so schön warm. Diese Stimme, ich hatte sie schon lang nicht mehr gehört. Meine Hand legte sich in Ruhe auf den Tisch, ließ den Griff der Waffe los, doch ihre Hand ruhte noch immer auf meiner. Ich schwieg, lächelte stumm vor mich her. „Wie kommst du überhaupt darauf? Was gedenkst du hier gerade zu tun?“ Weiterhin schwieg ich, die Wärme aber wartete auf eine Antwort. Dieses wohlige Gefühl das hinter mir darauf wartete, dass ich meine Stimme erhob und mein Leben erklärte. Mein Leben erklären … dachte ich mal wieder zu negativ? Vermutlich. Doch geduldig stand sie da, wartete und dachte erst gar nicht daran zu gehen. Ich spürte es, sie hatte mich wohl nie verlassen, egal wie sehr ich das wahr haben wollte. Sie sollte doch glücklich sein, ganz allein! Wie hat sie herausgefunden wo ich bin und vor allem wie ich aufzufinden bin? Aus diesem Grund verließ bei meinem traurigen Lächeln nur ein einziges Wort meine Lippen, eine einzige Frage die mich in diesem Moment am meisten beschäftigte: „Wie?“
Sie schien schnell zu verstehen, drückte meine Hand aber rückte nicht in mein Sichtfeld. Darauf hin erklärte sie mit dieser wohltuenden Stimme mir nur, wie sie es getan hatte. „Naja, ganz einfach. Ich hörte was unten bei der Bar passierte. Klang ganz nach dir und da ich weiß, als ein Mensch der dich gut kennt, bist du nie weit vom 'Tatort' entfernt. Wie zu sehen ist, hatte ich recht.“ Und wie recht sie doch hatte. Sie wusste ganz genau was ich tat, wenn ich es tat. Niemand wusste es besser, wieso sonst hätte sie ihre Hand auf meine Waffe gelegt, aber mich nicht entwaffnete. Sie wusste wie ich ticke, wusste was ich dachte. Ein trockenes Lachen entwich schließlich meiner Kehle und ich dachte nur daran, wie lächerlich doch einst der Gedanke für mich war, jemand würde mich kennen oder sich um mich scheren. Natürlich hatte ich mir das gedacht, mir eben das gewünscht, damit sie endlich in Ruhe leben können. Doch diese Wärme die da ist … sie ist einzigartig. Einst habe ich sie verlassen, oder hatte sie mich verlassen? Ich wusste es nicht mehr. Doch spielte das überhaupt noch eine Rolle? Um Gottes Willen – nicht das ich an ihn glauben würde – doch war es nie die Frage wer wen verließ, sondern das verlassen wird. Ein Mensch kann schnell in das persönliche Reich der Gleichgültigkeit abrutschen, alles wofür dieser Mensch einst stand, war weg und man vergaß die Rolle die er einst im eigenen Leben spielte.
Doch diese junge Frau, dieses besondere Wesen, zum Trotze dessen was ich einst getan hatte, ihr angetan hatte, so kehrte sie zu mir zurück ohne das ich es wollte – oder mir gewünscht hatte. Am liebsten hätte ich sie angeschrien, sie angebrüllt und gefragt, was sie von mir erwarte, doch das Einzige was ich hinaus bringen konnte war folgende Frage: „Sag mir, warum bist du zu mir zurück gekehrt?“ Ihre Antwort darauf tat mir genau so weh, ließ mich meine Fehler bereuen wie eh und je, und doch war sie etwas so besonderes das mich bis heute beeindruckte. „Mir fehlt das Yang zu meinem Ying...“ Ihr Gesicht hatte ich nicht einmal vor mir gesehen, doch ihr trauriges Lächeln bei diesen Worte konnte ich mir vorstellen. Genau so wie die heißen Tränen die aus ihren Augen flossen, die ich einst so gern gesehen habe und heute mehr als alles Andere vermisse. Meine Hand drehte sich in ihrer um, ergriff ihre und drückte sie sanft, nicht zu fest, doch man merkte das was hinter dieser Geste stand.
Dieses Gefühl das ich empfand war mehr als befremdlich, doch das was ich fühlte war sehr beeindruckend, so hatte es mich lange, sehr lange Jahre kalt gelassen. Ich hatte gehofft es vergessen zu können, Jahre über Jahre waren es. Was ich mir nicht eingestehen wollte: es waren Monate. Nicht einmal ein halbes Jahr. Über diese Monate hinweg hatte ich genau das getan, das ich schon immer tat und was ich niemals aufgeben würde. Sie beobachtet, sie beschützt und nur eingegriffen, wenn sie in Gefahr war. Doch sie war nie in Gefahr. Niemals. Doch jetzt war ich in Gefahr, schlecht konnte sie davon wissen, so stand sie doch hier. Das Schicksal ist manchmal mehr als seltsam, doch vielleicht ist es manchmal das Schicksal, das uns mit Menschen verbindet, vielleicht sogar ein ganzes Leben lang.
Doch war es bloßer Zufall das sie hier auftauchte, das was sie tat und machte, jene Tat die sie gerade begehen wollte? Noch immer war ich der festen Meinung, dass sie einen Fehler beging, mich zu zurückzunehmen, mich zu vermissen. Etwas was nur Wahnsinnige tun würden. Doch es war kein Zufall, kein bloßes Schicksal. Sondern Bestimmung. Ich habe noch immer die Bestimmung den Menschen zu helfen, sie zu retten wenn nötig. Dennoch ist es nie falsch zu akzeptieren das selbst ein einsamer Wolf ein Rudeltier ist und seine Wölfe um sich braucht. Auch wenn es nur ein einziger Wolf ein, ein einziges Lebewesen welches das gesamte Leben zu definieren wusste. Doch wie kann ich in diesem Moment so naiv sein? Einfach glauben das ein einzelnes Lebewesen ein ganzes Leben verändern konnte?
Doch warum sollte ich hinterfragen wo ich doch eben jenes Wesen hinter mir spüre, jene Wärme die mich trotz des Bildes welches sich ihm geboten hatte noch da immer stand? Fest stand, sie stand da. Sie ging nicht. Das Einzige was ich darauf tat war sich zu erheben, mich umzudrehen und ihr in das Gesicht zu blicken, ein Lächeln zu erhalten das schöner nicht sein konnte. Niemals hätte ich in diesem Moment die Kraft gefunden es abzulehnen und mich dem zu widersetzen, welchen Grund sollte ein Mensch auch haben? Etwas von sich wegstoßen was einem gut tat, etwas was weder dem Geist noch dem Körper schadete, sondern einfach nur gut tat? Nein, ich konnte es in diesem Moment nicht. Es wäre auch der größte Fehler in meinem Leben gewesen, den ich je hätte machen können. Meine Arme umschlossen sanft ihren Körper, während ich ihre zittrigen Gliedmaßen um meinen spürte.
Zwar hatte ich mir unter einer Wiedervereinigung etwas anderes vorgestellt, doch was hatte ich schon zu kritisieren? Diese Umarmung die ich spürte, sie rückte vieles in mir wieder gerade. Hielt alles zusammen was von mir abzubrechen drohte. Der Moment an dem ich eine warme Nässe an meiner Schulter spürte, merkte ich wie mich das gleiche Schicksal ereilte. Es scheint stumpfsinnig so darüber zu denken, doch Tränen sind für mich etwas Besonderes, etwas das sehr viel ausdrückte.
Der Frieden lag nicht im Tode selbst, nicht im Tode des eigenen selbst. Es waren Momente wie dieser, die uns dazu bewegen aufzustehen und niemals aufzugeben. Wir versuchen immer ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Um jeden Preis. Grundsätzlich leitet unserer Instinkt uns darin an weiter zu machen, nicht zu sterben, einfach zu funktionieren.
Es ist wahr, mein Leben endetet vor wenigen Minuten. Die Waffe, das Betätigen des Abzuges hatte viel mit sich gebracht. Doch nicht das eine Kugel meine Erinnerungen zerstörte, das war kein Tod, das war eine grausamer Akt den man niemals in Erwägung ziehen sollte. Nein. Das worum es wirklich geht, das große Ziel, tja, ich vermag es nicht zu definieren. Doch zuletzt zählte dieser Moment, der Moment in dem man vor einem Menschen stehen kann, sich in seine Arme fallen lässt und sehen kann, das ein einzelner Akt, eine einzige Erkenntnis vieles verändert. In nur einem Bruchteil einer Sekunde konnte ich beobachten, wie ich starb. Und direkt danach wieder geboren wurde. Ich habe mich getötet, doch nicht physisch. Ich habe das getötet was mich aufgehalten hat, das Ich das glaubte allein zu sein, das ich das mich allein ließ.
Nun kämpfe ich noch immer, doch nicht mehr allein. Nein, ganz im Gegenteil. Dieses Nervenbündel das in meinen Armen liegt, dem Nervenbündel dem ich mich gerade so hingebe. Ich liebe sie, doch nicht auf eine Art die die Menschen verstehen, eine Art die ich nicht einmal verstehe. Es ist eine Art, die wohl nie jemand verstehen wird.


Noch immer danke ich dir vom ganzen Herzen, jener Mensch, der mich aufsuchte, jener Mensch der trotz allem zu mir stand, egal was jemals war oder ich getan hatte.


Noch immer ist genau dieses Bild in meinem Kopf, auch wenn es nie so ganz genau statt fand. Doch wir Menschen neigen dazu, unsere eigene Schönheit in Moment zu finden, die vielleicht gar nicht wirklich da ist. Doch sie ist da. Noch hier und heute. In unseren Köpfen. Und noch immer umarme ich sie, habe sie nicht losgelassen, obwohl wir uns so fern sind. Doch sind wir uns nah, denn Räumlichkeit zählt in der Seele nicht. Nur die Verbindung und diese konnte nie getrennt werden.

 
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