Online:Ein barbarisches und brutales Leben

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Inhalt

Ein barbarisches und brutales Leben
Von Arthenice Belloq

Kapitel eins: Entführt von den Reikmannen

Ich wurde geboren in Murciens Weiler, gleich nördlich von Immerfort, auf der anderen Seite des Bjoulsae. Meine Mutter war eine Weberin, und mein Vater ein Bootsbauer, der kleine Fischkutter und Boote für den Flusshandel baute. Ich habe meine Kindheit als eine glückliche in Erinnerung; ich spielte am Hafen, wo mein Vater arbeitete, oder ich suchte im nahegelegenen Wald nach Glöcklingskappen und Walnüssen.

Als ich mich eines Tages letzterer Beschäftigung hingab, entfernte ich mich etwas weiter als sonst vom Weiler; ich schob mich gerade durch eine Dornenhecke, als ich plötzlich zwei menschlichen Schädeln in die Augenhöhlen blickte. Erschreckt schrie ich auf und ließ meinen Korb Nüsse fallen. Bis ich bemerkte, dass ich einen Schädel auf einem Stab neben einem Frauengesicht gesehen hatte, das bemalt war wie ein Schädel, war ich schon zu Boden geschlagen, gefesselt und über ihre Schulter geworfen worden.

Ich wurde in Richtung Norden verschleppt, weg von meinem Zuhause und ins Gebirge. Ich trat um mich und schrie, woraufhin die Frau mich zu Boden schleuderte und mich noch enger fesselte und obendrein knebelte. Dann trug sie mich weiter in die Wildnis davon. Irgendwann verlor ich dann aus schierer Erschöpfung das Bewusstsein.

Als ich wieder zu mir kam, war es dunkel, aber ich konnte im Tanz des Feuerscheins Gestalten erkennen, Umrisse mit Hörnern, Knochen, Stacheln, Federn. Reikmannen. Ich schloss meine Augen und versuchte aufzuwachen, aber das war kein Albtraum: Als ich meine Augen öffnete, waren sie noch immer da.

Mein Knebel war verschwunden, also rief ich nach Wasser. Die Frau mit dem Schädelgesicht, deren Name, wie ich später erfuhr, Voanche war, brachte mir einen Becher. Sie überprüfte meine Fesseln, und wenn ich vor Schmerzen zusammenzuckte, löste sie sie sogar ein wenig. Das überraschte mich, denn man hatte mir immer erzählt, dass die Klans von Reik Barbaren waren, bösartige Daedraanbeter, die sich an Grausamkeit ergötzten. Vielleicht würden sie mich ja sogar freilassen und mich nach Hause schicken, wenn sie merkten, wie verängstigt ich war.

Aber diese Hoffnung war vergeblich: Ich sollte die nächsten acht Jahre eine Gefangene des Klans Krähenfrau sein. Die Reikmannen waren deutlich komplexer, als man mir in meiner bretonischen Heimat vermittelt hatte, aber eines stimmte tatsächlich: Barbarisches Verhalten und Grausamkeit gehörten in Reik zum Alltag. Voanche war eine Pferdezüchterin, die mich entführt hatte, weil sie eine Sklavin für ihr Vieh brauchte; ihr früherer Knecht war durch einen Tritt an den Kopf ums Leben gekommen. Sie hatte mir nur deswegen Wasser gegeben und meine Fesseln gelockert, weil sie sich um den Zustand ihres neuen Besitzes Sorgen machte.

Voanches Klan wurde von einer Rabenvettel namens Kloavdra beherrscht, einem krallenfingrigen Weib, das eine Hexenschamanin erheblicher Macht war. Sie war eine Priesterin von Namira, der Geisterdaedra, der Fürstin der uralten Dunkelheit, die über abstoßendes Ungeziefer wie Spinnen, Insekten, Schnecken und Schlangen gebietet. Da Namira die Herrin der kleinen Plagegeister ist, nennen die Reikmannen sie die „Kindergöttin“ (sie haben durchaus Sinn für Humor, wenngleich ihre Scherze immer bösartiger Natur sind). Bei jeder Finsternis der beiden Monde zog Kloavdra Lose aus allen Kindern des Klans, sowohl Reik als auch Sklave, und wählte so ein Opfer an die Göttin der Dunkelheit aus. Das auserwählte Kind landete dann auf dem Immersickernden Altar, wo Kloavdra ihm das Herz als Opfergabe an Namira herausschnitt. Jedes Mal war ich mir sicher, dass es mich treffen würde, aber die gezogene Namensfeder gehörte immer zu jemand anderem.

Kloavdras Vettelgemahl war ein grausamer und boshafter Mann namens Cointthac. Er war ein Grabessänger, ein Hexenschamane, der die Toten befehligen konnte; in unserem Land würden wir ihn einen Nekromanten nennen. Er sah Voanche immer aus den Augenwinkeln an und leckte sich die Lippen, als begutachte er ein leckeres Brathähnchen. Obgleich er ein mächtiges Mitglied des Klans und von allen gefürchtet war, begegnete Voanche ihm mit Abscheu, weshalb er manchmal des Nächtens klagende Gespenster in ihr Zelt schickte oder das Futter der Pferde mit Windewurm verhexte. Voanche ließ sich dadurch nie entmutigen, sondern drohte einfach, sich bei Cointthacs Vettelfrau Kloavdra über ihn zu beschweren, was ein ums andere Mal wirkte.

Das Leben in Reik war hart. Krähenfrau war ein Jagdklan, also verbrachten wir unsere Zeit damit, den Herden durch das Ödland zu folgen. Es war ein raues und gefährliches Leben, das im Nu durch das Geweih eines Elchhirschs oder die Reißzähne einer Säbelzahnkatze ausgelöscht werden konnte. Aber was ich am meisten gefürchtet hatte, war das halbjährliche Durchqueren des Flusses Karth auf den Spuren der Tundraherden. Es war meine Aufgabe, Voanche und ihrer nutzlosen Tochter dabei zu helfen, die schwimmenden Pferde durch das eiskalte, tosende Wasser zu führen, und jedes Mal war ich mir sicher, dass es mein Ende sein würde. Wie ich mir doch jedes Mal, wenn mich der Karth in seinem Griff hatte, wünschte, dass ich wie meine Brüder im Bjoulsae schwimmen gelernt hätte!

Ab und an geriet eines der Pferde beim Durchqueren in Panik und riss sich los, was in der Regel seinen Tod durch Ertrinken bedeutete. Dann suchten Voanche und ich immer weit flussabwärts, bis wir den Ort gefunden hatten, an dem das tote Tier angespült worden war, damit wir es häuten und das wertvolle Fett sowie sein Fleisch und seine Knochen ablösen konnten. Bei den Reikmannen wurde nichts vergeudet.

Während meines sechsten Sommers als Sklavin der Krähenfrauen (ich hatte den verhassten Karth bereits elf Mal überquert!) zog ich nach und nach die ungewollte Aufmerksamkeit von Kloavdras und Cointthacs lümmelhaften Sohn Aiocnuall auf mich. Er brachte seine Zuneigung zum Ausdruck, indem er mich in Schlammpfützen schubste oder tote Maulwürfe in meinen Eintopf warf. Er war ein Jahr jünger als ich, aber schon bald war mir klar, dass er für mich mehr als nur Streiche im Sinn hatte. Als Sohn der Rabenvettel konnte er so ziemlich alles ungestraft tun, was ihm in den Sinn kam, und Voanche konnte mich nicht beschützen, indem sie sich bei Kloavdra beschwerte; das alte Mannweib würde nur keckernd lachen und sie wegschicken.

Also fing ich an, mir des Nächtens, wenn ich in meinem Fellhaufen hätte schlafen sollen, einen Speer zu schnitzen.