Morrowind:2920, Eisherbst

Herzfeuer 2920 Sonnenuntergang
Auflagen des Buches

Diese Seite enthält den Text von 2920, Eisherbst aus The Elder Scrolls III: Morrowind.

Inhalt

Eisherbst
Buch Zehn aus dem Jahr
2920, dem letzten Jahr der ersten Ära
von
Carlovac Taunwei

10. Eisherbst, 2920

Phrygias, Hochfels


Die Kreatur vor ihnen blinzelte, dumm, seine Augen glasig. Sein Mund öffnete und schloss sich, als ob er seine Funktion neu erlernen müsse. Ein dünner Speichelfaden klebte zwischen seinen Hauern und hing herunter. Turala hatte nie zuvor seinesgleichen gesehen, reptilartig und wuchtig, auf den Hinterbeinen sitzend wie ein Mann. Mynistera applaudierte begeistert.


„Mein Kindchen“, krähte sie. „Ihr seid in solch kurzer Zeit so weit gekommen. Was dachtet Ihr, als Ihr diesen Daedroth beschworen habt?“


Turala brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, ob sie überhaupt gedacht hatte. Sie war lediglich überwältigt, dass sie über das Gefüge der Realität in das Reich des Vergessens hinübergelangt und dieses abscheuliche Geschöpf hinausgepflückt hatte, es in die Welt beschworen hatte mit der Macht ihres Verstandes.


„Ich dachte an die Farbe rot“, sagte Turala konzentriert. „Ihre Einfachheit und Klarheit. Und dann - Ich verlangte und sprach den Zauber. Und dies ist, was ich heraufbeschwor.“


„Verlangen ist eine mächtige Kraft für eine junge Hexe“, sagte Mynistera. „Und das passte bei dieser Gelegenheit gut zusammen. Denn dieser Daedroth ist nichts als ein einfacher Handlanger der Geister. Könnt Ihr Euer Verlangen auch genauso einfach wieder freisetzen?“


Turala schloss ihre Augen und sprach die Verbannungsbeschwörung. Das Monster, immer noch verwirrt blinzelnd, verblasste wie ein Bild im Sonnenlicht Mynistera umarmte ihre Dunkelelf-Schülerin und lachte vor Freude.


„Ich hätte es nie geglaubt. Einen Monat und einen Tag lebt Ihr nun beim Hexenzirkel und seid bereits fortgeschrittener als die meisten Frauen hier. Es fließt mächtiges Blut in Euch, Turala. Ihr berührt Geister wie Ihr einen Geliebten berühren würdet. Eines Tages werdet Ihr diesen Hexenzirkel anführen - Ich habe es gesehen!“


Turala lächelte. Es tat gut, Komplimente zu erhalten. Der Herzog von Gramfeste hatte ihr hübsches Gesicht gepriesen, und ihre Familie, bevor sie sie entehrt hatte, pries ihre Manieren. Cassyr war nie mehr als ein Begleiter gewesen: Seine Komplimente bedeuteten nichts. Aber bei Mynistera fühlte sie sich zu Hause.


„Ihr werdet den Zirkel noch viele Jahre lang anführen, große Schwester“, sagte Turala.


„Sicherlich habe ich das vor. Aber die Geister, obwohl wunderbare Gefährten und ausgezeichnete Wahrsager, sind doch häufig vage bezüglich des Wann und Wie. Ihr könnt ihnen keine Vorwürfe machen. Wann und Wie bedeuten ihnen so wenig“, Mynistera öffnete die Tür des Schuppens und erlaubte so der frischen Herbstbrise, die scharfen und stinkenden Gerüche des Daedroth zu vertreiben. „Nun brauche ich Euch für einen Botengang nach Wegesruh. Es ist nur ein Wochenritt dorthin, und ein Wochenritt zurück. Nehmt Doryatha und Celephyna mit Euch. So sehr wir auch versuchen, selbstständig zu sein, gibt es doch Kräuter, die wir hier nicht anpflanzen können. Außerdem scheinen wir in kürzester Zeit eine gewaltige Menge Edelsteine zu verbrauchen. Es ist wichtig, dass die Leute in der Stadt lernen, Euch als eine der weisen Frauen des Skeffington-Zirkels zu erkennen. Ihr werdet feststellen, dass die Vorzüge des Berüchtigtseins die Unannehmlichkeiten bei weitem überwiegen“.


Turala tat, worum sie gebeten wurde. Als sie und ihre Schwestern die Pferde bestiegen, brachte Mynistera ihr Kind, den fünf Monate alten Bosriel, damit er seiner Mutter einen Abschiedskuss gab. Die Hexen waren verrückt nach dem kleinen dunmerischen Kind, gezeugt von einem niederträchtigen Herzog und auf die Welt gebracht von wilden Ayleids im bewaldeten Herzen des Kaiserreichs. Turala wusste, dass ihre Kindermädchen ihr Kind mit ihren Leben beschützen würden. Nach vielen Küssen und einem Abschiedswink ritten die drei jungen Hexen los in die leuchtenden Wälder, unter einem Himmel der rot, gelb und orange war.


12. Eisherbst, 2920

Dwynnen, Hochfels


Für einen Middasabend war die Taverne Zum ungeliebten Stachelschwein maßlos überfüllt. Ein bullerndes Feuer in einer Grube in der Mitte des Raumes warf einen fast Unheil verkündenden Schein auf die Stammgäste und ließ die Fülle an Körpern aussehen wie einen von arcturischen Ketzereien inspirierten Bestrafungsgobelin. Cassyr nahm mit seinem Cousin seinen üblichen Platz ein und bestellte einen Krug Ale.


„Wart Ihr beim Baron?“ fragte Palyth.


„Ja, möglicherweise hat er im Palast von Urvaius Arbeit für mich“, sagte Cassyr stolz. „Aber ich kann nicht mehr dazu sagen. Ihr versteht schon, Staatsgeheimnisse und all so was. Warum sind so verflucht viele Leute heute Abend hier?“


„Eine Schiffsladung Dunkelelfen kam gerade an, um Unterschlupf zu suchen. Sie sind aus dem Krieg gekommen. Ich habe auf Euch gewartet, um Euch als einen weiteren Veteranen vorzustellen.“


Cassyr errötete, aber fasste sich schnell genug wieder, um zu fragen: „Was tun sie hier? Gab es einen Waffenstillstand?“


„Ich kenne nicht die ganze Geschichte“, sagte Palyth. „Aber offensichtlich stecken der Kaiser und Vivec in erneuten Verhandlungen. Diese Kameraden hier mussten dringend nach ihren Geldanlagen sehen, und sie meinten, dass es in der Bucht ruhig genug ist. Aber die einzige Möglichkeit, die ganze Geschichte zu erfahren, ist, mit den Burschen zu reden.“


Mit diesen Worten ergriff Palyth den Arm seines Cousins und zog ihn so plötzlich an das andere Ende der Bar, dass Cassyr gewalttätig hätte werden müssen, um sich zu widersetzen. Die dunmerischen Reisenden waren an vier Tischen verteilt und lachten mit den Einheimischen. Sie waren weitgehend freundliche junge Männer, gut gekleidet, anständige Kaufleute, mit lebendigen Gesten, die durch den Schnaps immer ausschweifender wurden.


„Entschuldigt bitte“, sagte Palyth, als er ihre Unterhaltung störte. „Mein scheuer Cousin Cassyr war auch im Krieg und kämpfte für den lebenden Gott Vivec.“


„Der einzige Cassyr, von dem ich je gehört habe“, sagte einer der Dunmer betrunken mit einem breiten, freundlichen Lächeln und schüttelte Cassyrs freie Hand. „War ein Cassyr Funkler, der, wie Vivec sagte, einer der schlechtesten Spione in der Geschichte war. Wir verloren Ald Marak aufgrund seiner stümperhaften Geheimdienstarbeit. Euretwegen, Freund, hoffe ich, dass Ihr beide niemals miteinander verwechselt werdet.“


Cassyr lächelte und hörte zu, wie der Rüpel die Geschichte seines Versagens erzählte und auch noch reichlich Übertreibungen einfügte, die den Tisch veranlassten, vor Lachen zu brüllen. Mehrere Augen waren auf ihn gerichtet, aber keiner der Einheimischen riß sich darum, zu erklären, dass der Narr selbst der Geschichte aufmerksam zuhörte. Die Augen, die ihn am glühendsten anstarrten, waren die seines Cousins, des junge Manns, der geglaubt hatte, er sei als großer Held nach Dwynnen zurückgekehrt. Irgendwann würde der Baron sicherlich davon hören und seine Blödheit würde bei jeder Weitererzählung um ein Vielfaches gesteigert werden.


Mit der ganzen Kraft seiner Seele verfluchte Cassyr den lebenden Gott Vivec.


21. Eisherbst, 2920

Die Kaiserstadt, Cyrodiil


Corda, gekleidet in eine strahlend weiße Robe, die Uniform der Priesterinnen des Hegathe-Morwha-Konservatoriums, kam in der Stadt an, als der erste Wintersturm gerade vorüberzog. Das Sonnenlicht brach durch die Wolken und die wunderschöne Rothwardonin erschien mit Geleit in der breiten Allee und ritt auf den Palast zu. Während ihre Schwester groß, dünn, knochig und hochmütig war, war Corda eine schmale, rundwangige Maid mit großen, braunen Augen. Die Einheimischen zogen schnell Vergleiche.


„Nicht einmal einen Monat nach Gräfin Rijjas Hinrichtung“, murmelte eine Dienstmagd, die aus dem Fenster spähte und ihrer Nachbarin zuzwinkerte.


„Und auch nicht einmal einen Monat aus dem Kloster heraus.“, stimmte die andere Frau zu, den Skandal genießend. „Dieser hier blüht ein Ritt. Ihre Schwester war kein Unschuldslamm und schaut, wo sie geendet ist.“


24. Eisherbst, 2920

Dwynnen, Hochfels


Cassyr stand am Hafen und sah zu, wie der frühe Schneeregen auf das Wasser fiel. Es war eine Schande, dachte er, dass er anfällig für Seekrankheit war. Es gab für ihn in Tamriel, ob West oder Ost, nun nichts mehr zu tun. Vivecs Geschichte seiner Stümperhaftigkeit in der Kunst des Spionagehandwerks hatte sich überall in den Tavernen herumgesprochen. Der Baron von Dwynnen hatte ihn von seinem Vertrag entbunden. Zweifelsohne lachten sie deswegen auch in Daggerfall, und Dämmerstern, Kleinmottien, Krempen, Grünherz und wahrscheinlich auch in Akavir und Yokuda über ihn. Vielleicht wäre es am Besten, sich in die Wellen fallen zu lassen und dann zu versinken. Der Gedanke blieb jedoch nicht für lange in seinem Verstand: Er wurde nicht von Verzweiflung geplagt, sondern von Wut. Hilflose Wut, die er nicht besänftigen konnte.


„Verzeiht, Herr“, sagte eine Stimme hinter ihm, die ihn zusammenzucken ließ. „Es tut mir Leid, Euch zu stören, aber ich fragte mich, ob Ihr mir ein preisgünstiges Gasthaus empfehlen würdet, in dem ich die Nacht verbringen kann.“


Es war ein junger Mann, ein Nord, mit einem Sack über der Schulter. Offensichtlich war er gerade von einem Schiff von Bord gegangen. Das erste Mal seit Wochen sah jemand Cassyr nicht als gewaltigen und berühmten Idioten an. Trotzdem seine Laune mehr als düster war, konnte er nicht anders, als freundlich sein.


„Seid Ihr gerade aus Himmelsrand gekommen?“ fragte Cassyr.


„Nein, Herr, dorthin werde ich gehen“, sagte der Bursche. „Ich bin auf dem Heimweg. Ich kam herauf aus Sentinel, und davor aus Stros M'kai, und davor aus Waldschlot in Valenwald, und davor aus Artaeum auf Summerset. Gutbein ist mein Name.“


Cassyr stellte sich vor und schüttelte Gutbein die Hand. „Sagtet Ihr, dass Ihr aus Artaeum kommt? Seid Ihr ein Psijic?“


„Nein, Herr, nicht mehr“, sagte der Bursche resignierend. „Ich wurde verwiesen.“


„Wisst Ihr etwas über die Daedrische Beschwörung? Ich möchte nämlich einen Fluch über eine besonders mächtige Person, man könnte sagen einen lebenden Gott, aussprechen und hatte bisher nicht viel Glück dabei. Dem Baron darf ich nicht unter die Augen treten, aber die Baronin hegt Sympathien für mich und erlaubte mir, Ihre Beschwörungskammern zu nutzen.“ spuckte Cassyr aus. „Ich vollzog alle Rituale, brachte Opfer, aber nichts passierte.“


„Das dürfte wegen Sotha Sil sein, meinem alten Meister“, antwortete Gutbein mit einiger Bitterkeit. „Die Daedraprinzen sind übereingekommen, nicht von Amateuren heraufbeschworen zu werden, zumindest nicht bis zum Ende des Krieges. Nur die Psijics, und einige wenige nomadische Hexenmeister und Hexen, dürfen sich mit den Daedra beraten.“


„Hexen, sagtet Ihr?“


29. Eisherbst, 2920

Phrygias, Hochfels


Fahles Sonnenlicht flimmerte hinter dem Dunst im Wald, als Turala, Doryatha und Celephyna ihre Pferde antrieben. Der Boden war feucht aufgrund einer dünnen Schicht von Frost und, beladen mit Waren, war es ein schlüpfriger Weg über die ungepflasterten Berge. Turala konnte ihre Erregung über ihre Heimkehr zum Zirkel kaum unterdrücken. Wegesruh war ein Abenteuer gewesen, und sie liebte die ängstlichen und respektvollen Blicke, die die Stadtbewohner ihr zuwarfen. Aber während der letzten Tage konnte sie nur an die Rückkehr zu ihren Schwestern und ihrem Kind denken.


Ein scharfer Wind blies ihr das Haar ins Gesicht, so dass sie nur den Pfad vor sich sehen konnte. Sie hörte nicht, dass ein Reiter sich näherte, bis er fast auf ihrer Höhe war. Als sie sich herumdrehte und Cassyr erblickte, schrie sie auf vor Überraschung und auch vor Vergnügen darüber, einen alten Freund wiederzutreffen. Sein Gesicht war bleich und abgespannt, aber sie schob dies auf die Beschwerlichkeiten einer Reise.


„Was bringt Euch zurück nach Phrygias?“ lächelte sie. „Wurdet Ihr in Dwynnen nicht gut behandelt?“


„Gut genug“, sagte Cassyr. „Ich brauche die Hilfe des Skeffington-Zirkels.“


„Reitet mit uns“, sagte Turala. „Ich werde Euch zu Mynistera bringen.“


Die vier setzten ihre Reise fort, und die Hexen erfreuten Cassyr mit Geschichten aus Wegesruh. Es war deutlich, dass es auch für Doryatha und Celephyna ein rares Vergnügen war, das Gut des alten Barbyns zu verlassen. Sie waren dort geboren worden, als Töchter und Enkelinnen von Skeffington-Hexen. Das gewöhnliche Stadtleben in Hochfels erschien ihnen, genauso wie Turala, fremdartig. Cassyr sagte wenig, lächelte aber und nickte, was Ermutigung genug war. Glücklicherweise handelte keine der Geschichten, die sie gehört hatten, von seiner eigenen Dummheit. Oder zumindest sagten sie ihm nichts davon.


Doryatha war inmitten einer Geschichte, die sie in einer Taverne gehört hatte, und die von einem Dieb handelte, der über Nacht in einem Pfandhaus eingeschlossen war, als sie einen vertrauten Berg überquerten. Plötzlich hielt sie in ihrer Geschichte inne. Die Scheune hätte sichtbar sein sollen, war es aber nicht. Die drei anderen folgten ihrem Blick in den Nebel und ritten einen Moment später so schnell sie konnten in Richtung dessen, was einst der Sitz des Skeffington-Zirkels gewesen war.


Das Feuer war schon lange erloschen. Nichts war übrig geblieben, außer Asche, Skelette und Waffen. Cassyr erkannte sofort die Anzeichen für einen Überfall der Orks.


Die Hexen fielen von ihren Pferden und liefen jammernd durch die Überreste. Celephyna fand ein zerrissenes und blutiges Stück Tuch, das sie von Mynisteras Umhang wiedererkannte. Sie presste es schluchzend an ihr aschfahles Gesicht. Turala schrie nach Bosriel, aber die einzige Antwort, die sie bekam, war das hohe Pfeifen des Windes durch die Asche.


„Wer tat das?“ rief sie und die Tränen rannen ihr über das Gesicht. „Ich lege einen Eid ab, dass ich die mächtigsten Flammen des Reichs des Vergessens beschwören werde! Was haben sie mit meinem Kind gemacht?“


„Ich weiß, wer es war“, sagte Cassyr ruhig, als er von seinem Pferd stieg und auf sie zuging. „Ich habe diese Waffen zuvor schon einmal gesehen. Ich fürchte, ich traf die verantwortlichen Unmenschen in Dwynnen. Aber ich habe niemals erwartet, dass sie Euch finden werden. Dies ist das Werk von Attentätern, die im Auftrag des Herzogs von Gramfeste handelten.“


Er machte eine Pause. Die Lüge kam ihm ganz einfach über die Lippen. Plötzlich und aus dem Stegreif. Mehr noch, er konnte sofort sehen, dass sie ihm glaubte. Ihr Groll über die Unbarmherzigkeit, die der Herzog ihr gegenüber gezeigt hatte, hatte sich beruhigt, war aber niemals verschwunden. Ein Blick in ihre glühenden Augen sagte ihm, dass sie die Daedra heraufbeschwören würde, um ihre - und seine - Rache an Morrowind zu nehmen. Und mehr noch, er wusste, dass sie zuhören würden.


Und sie hörten zu. Denn die Kraft, die noch größer ist als Verlangen, ist die Rache. Selbst unangebrachte Rache.


Das Jahr setzt sich im Sonnenuntergang fort.


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