Nun, Kinder, wenn ihr alle zusammen kommt und still sitzen bleibt, werde ich euch die Geschichte von Maras Träne und Shandars Kummer erzählen ...
Vor langer, langer Zeit, lange bevor eure Großmutter und ich geboren wurden, wuchsen zwei junge Kinder in einem Dorf weit, weit entfernt von hier auf. Sie spielten zusammen, liefen zusammen durch die Wälder, erforschten ihre kleine Welt und lernten, Dinge auch mit den Augen des anderen zu sehen. Das unterschied sie sehr von ihren Eltern, denn Shandar war der Sohn Maldors, der im Krieg gefangen genommen und gezwungen worden war, als Sklave für den Dorfbaron zu arbeiten. Sein Dorf und ein anderes brauchten beide das Land zwischen ihnen, um ihre Einwohner zu ernähren, so dass sie gekämpft und gekämpft hatten, bis viele Dorfbewohner gestorben waren. Maldor war im Kampf verwundet und sterbend von seinen Kameraden zurückgelassen worden. Er wurde aufgegriffen und gezwungen, zur Strafe auf den Feldern zu arbeiten. Shandar wurde nicht erlaubt, mit Mara zu spielen, aber sie war sehr klein und die anderen Kinder wollten nicht mit ihr spielen, daher spielte sie entgegen den Anweisungen ihres Vaters mit Shandar. Sie lernten bald, dass sie gar nicht so verschieden waren und verstanden nicht, warum ihre Eltern einander so sehr hassten.
Nun, Shandar und Mara spielten viele Jahre zusammen und als sie größer wurden, lernten sie einander lieben. Ihre Eltern durften nichts davon erfahren. Sie kamen ja aus verschiedenen Dörfern, die sich immer noch bekämpften und würden niemals heiraten dürfen. Sie suchten und suchten nach einem Weg, wie sie miteinander glücklich werden konnten. Schließlich entschlossen sie sich, das Dorf zu verlassen und zusammen weit entfernt von dem Ort, an dem sie aufgewachsen waren, ein neues Leben zu beginnen.
Als sie eines Nachts ihre Flucht planten, wurden sie von der Stadtwache entdeckt. Shandar versuchte, sich zu wehren, aber sie fesselten ihn und schleppten ihn ins Dorfgefängnis. Mara wurde nach Hause gebracht, wo ihr Vater sehr wütend auf sie war und ihr sagte, dass sie das Haus nicht wieder verlassen dürfe. Damit sie Shandar nicht mehr wiedersehen würde ging er zum Hof eines anderen Bauern und fragte dort, ob sein Sohn Mara heiraten würde. Die Hochzeit wurde für die folgende Woche geplant.
Unterdessen sollte Shandar für seinen Wagemut, sich mit Mara zu treffen, getötet werden. Er wurde geschlagen, eingesperrt und sollte am nächsten Tag gehängt werden. Als Mara herausfand, dass Shandar getötet werden sollte, wusste sie, dass sie nicht ohne ihn leben konnte. Sie kletterte aus ihrem Fenster und lief in den Wald, wobei sie weinte und weinte. Sie lief und lief und verirrte sich bald, denn es war sehr dunkel und es gab damals noch keine Monde am Himmel, um es für kleine Jungen und Mädchen sicherer zu machen. Bald erreichte sie einen Teil des Waldes, den sie noch nie zuvor betreten hatte. Weil sie sehr müde war ließ sie sich auf einem Felsen nieder.
Aber der Felsen war nun der geheime Eingang zu einer Höhle, in der ein äußerst garstiger Ork lebte. Als er von der Jagd zurückkehrte, sah er Mara schlafend eingerollt auf dem Felsen liegen und dachte bei sich: „Hmm, ein leckeres kleines Mädchen, ich sollte sie mir für’s Frühstück aufheben!“
Er packte sie, trug sie in seine Höhle und rollte den Felsen wieder vor den Eingang, so dass sie nicht entkommen konnte. Sie war sicher, dass sie sterben müsste und versuchte zu fliehen, aber der teuflische Ork lachte und lachte nur über sie, bis sie schließlich aufgab.
Als die Dorfbewohner bemerkten, dass Mara verschwunden war, waren sie alle ziemlich beunruhigt. Keiner von ihnen kannte den Wald sehr gut und alle fürchteten den bösen Ork, der dort hauste. Nur Shandar fürchtete sich nicht. Er flehte und flehte den Baron an, ihn freizulassen, damit er Mara suchen konnte. Schließlich entschied sich der Baron, Shandar gehen zu lassen, weil sonst niemand mutig genug war, sich zu Maras Rettung aufzumachen. Shandar wurde also auf freien Fuß gesetzt und machte sich gleich auf in die Wälder, um sie zu retten.
Shandar suchte und suchte, aber er konnte die arme Mara einfach nicht finden. Schließlich setzte er sich auf einen Felsen, um sich einen Moment auszuruhen. Als er sich setzte bemerkte er plötzlich einen Fetzen Stoff unter dem Stein. Es war ein Stück von Maras Umhang! Er erkannte, dass sie irgendwo unter dem Felsen sein musste und wusste, dass der Ork sie gefangen hatte. Er drückte und drückte gegen den Felsen, bis es ihm endlich gelang, ihn zur Seite zu rollen. Er stieg in die Höhle des Orks hinab, konnte aber nichts erkennen, weil es dort sehr dunkel war. Als der böse Ork hörte, wie sich der Eingangsfelsen bewegte, versteckte er sich in den Schatten, um zu sehen, wer da in sein Heim käme. Als er erkannte, dass es nur ein kleiner Menschenjunge war, grinste er in sich hinein und dachte: „Nun habe ich NOCH DAZU ein Mittagsmahl!“
Als Shandar näher gekommen war, packte ihn der Ork und begann, das Leben aus ihm herauszuquetschen.
Im Dorf aber erkannten die Bewohner bald, dass sie töricht gewesen waren, einen jungen Mann allein in den Wald gehen zu lassen. Sie holten alle Waffen und machten sich auf, die beiden verlorenen Kinder zu finden. Als sie schließlich auf eine Lichtung in der Nähe der Orkhöhle kamen, bot sich ihnen ein seltsamer und wundersamer Anblick: ein erschlagener Ork beim Höhleneingang und Mara, die den Kopf des armen Shandar in ihrem Schoß hielt. Shandar hatte den Ork getötet, aber der hatte ihm selbst noch eine tödliche Wunde beigebracht.
Maras heiße Tränen strömten aus ihren Augen und tropften auf Shandars Gesicht, wobei sie das Licht von den Fackeln der Dorfbewohner spiegelten. Bei dem Gedanken, dass er Mara zwar gerettet hatte, sie aber wegen seines eigenen bevorstehenden Todes nach dem Kampf mit dem Ork wieder verlieren würde, war Shandar von Kummer erfüllt. So rief er die Göttin der Liebe an, die Maras Namensgeberin war, um ihm zu helfen.
Die Göttin Mara erkannte ihre wahre Liebe zueinander und weinte um ihren Verlust. Da sie keine Macht über den Tod hatte, konnte sie nichts tun, um Shandar zu retten, aber sie wusste, dass sie ihre Liebe nicht sterben lassen durfte. Sie griff aus dem Himmel herab, nahm Mara und Shandar in ihre Arme und setzte sie hoch oben ans Himmelzelt. So waren sie immer vereint und verbreiteten Licht in der dunklen Nacht, damit andere vor dem Bösen in der Welt sicher wären. Die Dörfler waren von diesem Anblick beeindruckt und schworen, die Liebe Shandars und Maras zu ehren, indem sie mehr über sich selbst und ihre Nachbarn lernten, auf dass der Krieg, der nun schon länger währte als sich noch irgendjemand erinnern konnte, sein Ende finden würde. Shandars Opfer für die eine, die er liebte, zeigte ihnen, dass er ihrer Hochachtung würdig war und die Menschen aus seinem Heimatdorf genauso stolz und würdig waren wie sie selbst.
Und daher, liebe Kinder, können wir nun jede Nacht Maras Träne und Shandars Kummer ihr Leben zusammen hoch oben am Himmel führen sehen, wie sie den Weg für alle kleinen Jungen und Mädchen wie euch erleuchten.