Online:Die Schlächterin von Bravil

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Inhalt

Die Schlächterin von Bravil

Das Tagebuch von Kapitän Jena Apinia

Im Laufe meiner Karriere hat man mir viele Attribute angetragen. Ich erhielt Auszeichnungen von meinen Freunden und Verbündeten, wurde von meinen Feinden mit Flüchen und vielfältigen Schlagworten belegt, doch kein Titel war verletzender und unverdienter als der, den ich nun mit mir herumtrage – der, den ich höchstwahrscheinlich mit ins Grab nehmen werde. Sie nennen mich „die Schlächterin von Bravil“.

Der Krieg in Cyrodiil war in vollem Gange, als plötzlich eine neue Gefahr die Kaiserstadt zu bedrohen schien. Meine Soldaten genossen eine wohlverdiente Pause von der Schlacht, als Ketten vom Himmel fielen. Manche behaupteten, eine der Allianzen habe eine seltsame und tödliche Magie angerufen, um die Kaiserstadt zu unterjochen, während sich andere sicher waren, dass ein Daedrafürst oder jemand anderes hinter dieser neuesten Bürde steckte. Mir für meinen Teil war es gleichgültig, ob es Königin Ayrenn oder Molag Bal gewesen war. Ich wusste nur, dass ich die Soldaten, die meinem Befehl unterstanden, so schnell wie möglich von dort wegbringen musste.

Das Ziel, das vor mir lag, lautete schlicht: Überleben. Nicht bei dem Versuch zu sterben, die Kaiserstadt gegen einen Feind zu verteidigen, den wir nicht verstanden. Es lautete zu leben, an einem anderen Tag zu kämpfen, wenn mehr Aussicht auf den Sieg bestand. Einige schimpften mich einen Feigling, weil ich weglief, doch dadurch habe ich einer ganzen Legion Soldaten das Leben gerettet. Zugegeben, so schnell wie wir aus der Stadt flüchteten, waren wir schlecht darauf vorbereitet, in der Wildnis jenseits der Stadtmauern zu überleben. Wir mussten uns neu formieren, uns mit Vorräten eindecken und einen besonnenen Plan ausarbeiten. Mit diesen Aufgaben im Hinterkopf befahl ich meiner Legion, sich Richtung Süden und weg von der Stadt zurückzuziehen.

Bei Bravil handelt es sich um eine verwahrloste kleine Stadt südlich der Kaiserstadt, die am Ufer der Nibenbucht liegt. Bravil als arm zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. Die Leute dort wären froh, wenn sie auf diese Stufe der Wirtschaftskraft angehoben würden. Sie lebten in hölzernen Verschlägen, die einer über dem anderen zusammengezimmert waren, wie Skeever in einem Erdloch. Sie hatten nicht viel, doch was sie hatten, brauchten ich und meine Legion dringend. Es war ihre Pflicht, uns zu helfen, zum Wohle und Ruhm des Kaiserreichs. Das habe ich dem Bürgermeister von Bravil recht prägnant erklärt.

Und der Bürgermeister lehnte meine Anfrage auf liebenswürdige Weise ab. „Die Essensvorräte, die wir haben, so kläglich sie auch sein mögen, sind für das Überleben von Bravil und seinen Bewohnern unverzichtbar“, erklärte er. „Sicherlich versteht Ihr, weshalb ich Nein sagen und Euch ergebenst bitten muss, mit Euren Soldaten weiterzuziehen, Hauptmann.“

Zu sagen, dass mich der Mann fuchsteufelswild machte, wäre, als bezeichnete ich den Skaldenkönig als einen leicht angetrunkenen Dummkopf. Doch ich verstand sein Dilemma. Würde ich mich der Essensvorräte der Stadt bedienen, müsste er zusehen, wie die Hälfte seiner Einwohner langsam verhungerte, während die Winterkälte sich über die Stadt und deren Umgebung ausbreitete. Die Lösung war einfach, auch wenn es mir wehtat, den Befehl zu erteilen. Meine Soldaten würden die Hälfte der Bewohner der Stadt umbringen müssen. Dadurch erhielten die übrigen Bürger die Chance, sich genügend Nahrung zu erbetteln, um über den Winter zu kommen.

Ich dachte, ich würde diesen bedauernswerten Kreaturen helfen, doch dankten sie es mir? Nein, der Rest der Stadt lehnte sich gegen uns auf. Am Ende waren wir gezwungen, eine ganze Ecke mehr als die Hälfte der Leute abzuschlachten – einschließlich des Bürgermeisters, den ich für diese ganze Situation verantwortlich mache. Wir trugen die Vorräte – ebenso wie eine Reihe wertvoller Gegenstände zur Finanzierung unserer Anstrengungen – zusammen und verließen Bravil.

Einige Tage später, als wir auf eine weitere kleine Siedlung zuhielten, wurde mir klar, dass sich die Kunde von dem, was in Bravil vorgefallen war, schon zu verbreiten begonnen hatte und unverhältnismäßig aufgebauscht worden war. Sie nannten mich „die Schlächterin von Bravil“, denn sie hielten mich für eine Art Verbrecherin, die vollkommen übergeschnappt war und unschuldige Zivilpersonen getötet hatte. Sie wissen nichts vom Krieg und den schwierigen Entscheidungen, die ein Kommandant im Feld treffen muss. Hätten meine Soldaten verhungern sollen? Wie hätten wir sie beschützen und Cyrodiil verteidigen sollen? Zudem bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass Königin Ayrenn eines ihrer verdammten Augen ausgeschickt hatte, um mich ausfindig zu machen, die Gegenstände, die wir an uns genommen hatten, zurückzuholen und mich für mein sogenanntes Kriegsverbrechen zahlen zu lassen.

Ich habe den Großteil meiner Legion zurückgeschickt, um sich mit dem Rest der Armee außerhalb der Kaiserstadt zu treffen. In der Zwischenzeit zog ich mit einer kleinen Truppe zur Goldküste. Ich würde mich dem Auge der Königin an einem Ort meiner Wahl stellen. Dann werden wir sehen, wessen Gerechtigkeit obsiegen wird.