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Diese Seite enthält den Text von Der Same aus The Elder Scrolls IV: Oblivion.
Inhalt
Das Samenkorn Alte Sagen der Dwemer, Teil II von Marobar Sul
Der Weiler Lorikh war eine ruhige, friedliche Dwemer-Gemeinde und schmiegte sich in die einfarbig grauen und lohfarbenen Dünen und Felsen der Dejasyte. Es wuchs keinerlei Vegetation in Lorikh, obwohl die geschwärzten Überreste lang abgestorbener Bäume in der ganzen Stadt verstreut waren. Kamdida, die mit der Karawane eintraf, betrachtete ihre neue Heimat verzweifelt. Sie war an die Waldländer des Nordens gewöhnt, aus denen die Familie ihres Vaters stammte. Hier gab es keinen Schatten, nur wenig Wasser und einen unendlichen freien Himmel. Es sah aus wie ein totes Land.
Die Familie ihrer Mutter nahm Kamdida und ihren jüngeren Bruder Nevith auf und war überaus freundlich zu den Waisenkindern, doch sie fühlte sich einsam in dem fremden Dorf. Erst als sie eine alte argonische Frau traf, die in der Wasserfabrik arbeitete, fand Kamdida eine Freundin. Sie hieß Sigerthe und sagte, ihre Familie habe in Lorikh gelebt, als es noch ein großer und wunderschöner Wald war, Jahrhunderte, bevor die Dwemer eingetroffen waren.
„Warum sind die Bäume gestorben?“ fragte Kamdida.
„Als nur Argonier in diesem Land lebten, fällten wir niemals Bäume, denn wir benötigten keinen Brennstoff oder Holzgebäude, wie ihr sie benutzt. Als die Dwemer kamen, erlaubten wir ihnen, die Pflanzen so benutzen, wie sie sie brauchten, unter der Voraussetzung, dass sie niemals die Hist-Bäume berührten, die uns und unserem Land heilig sind. Viele Jahre lebten wir in Frieden. Niemand litt irgendeinen Mangel.“
„Und was geschah dann?“
„Einige unserer Wissenschaftler entdeckten, dass sie, indem sie den Saft eines bestimmten Baums destillierten, formten und trockneten, eine elastische Panzerung namens Harz erschaffen konnten“, sagte Sigerthe. „Die meisten Bäume, die hier wuchsen, hatten nur sehr dünnen Saft in ihren Zweigen, doch nicht so die Hist-Bäume. Viele von ihnen glitzerten richtig vor lauter Saft, was die Dwemer-Kaufleute gierig machte. Sie stellten einen Waldarbeiter ein, der beginnen sollte, die heiligen Haine für Profit zu roden.“
Die alte Argonierin blickte auf den staubigen Boden und seufzte: „Natürlich protestierten wir Argonier lautstark dagegen. Es war unsere Heimat, und die Hist würden, wenn sie einmal verschwunden waren, niemals zurückkehren. Die Kaufleute änderten ihre Meinung, doch Juhnin machte es sich zu seiner persönlichen Aufgabe, unseren Willen zu brechen. Eines schrecklichen, blutigen Tages bewies er, dass seine sagenhafte Geschicklichkeit mit der Axt ebenso gegen Leute wie gegen Bäume angewendet werden konnte. Alle Argonier, die sich ihm entgegenstellten, wurden in Stücke gehauen, auch die Kinder. Die Dwemer in Lorikh verschlossen ihre Türen und ihre Ohren vor den Schreien der Ermordeten.“
„Wie schrecklich“, keuchte Kamdida.
„Es ist schwer zu erklären“, sagte Sigerthe. „Doch der Tod unserer Angehörigen war bei weitem nicht so schrecklich wie der Tod unserer Bäume. Du musst verstehen, dass für mein Volk die Hist-Bäume das sind, wo wir herkommen und wo wir hingehen. Unseren Körper zu zerstören bedeutet nichts - unsere Bäume zu zerstören bedeutet, uns völlig zu vernichten. Als Juhnin anschließend seine Axt den Hist-Bäumen zuwendete, tötete er das Land. Das Wasser verschwand, die Tiere starben, und alles andere Leben, das von den Bäumen genährt wurde, zerfiel und vertrocknete zu Staub.“
„Doch ihr seid immer noch hier?“ fragte Kamdida. „Warum seid ihr nicht gegangen?“
„Was uns angeht, so sitzen wir in der Falle. Ich bin eine der Letzten eines sterbenden Volks. Nur wenige von uns sind stark genug, fern von unseren angestammten Hainen zu leben, und manchmal, selbst heute noch, liegt ein Duft in der Luft von Lorikh, der uns Leben verleiht. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir alle verschwunden sind.“
Kamdida fühlte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. „Dann werde ich allein an diesem furchtbaren Ort ohne Bäume und ohne Freunde sein.“
„Wir Argonier haben ein Sprichwort“, sagte Sigerthe mit einem traurigen Lächeln und ergriff Kamdidas Hand. „Nämlich, dass die beste Erde für einen Samen sich in deinem Herzen befindet.“
Kamdida blickte auf ihre Handfläche und sah, dass Sigerthe ihr ein kleines schwarzes Korn gegeben hatte. En Samenkorn. „Das sieht tot aus.“
„Er kann nur an einem einzigen Ort in ganz Lorikh wachsen“, sagte die alte Argonierin. „Vor einem alten Häuschen in den Hügeln außerhalb der Stadt. Ich selbst kann nicht dorthin gehen, denn der Besitzer würde mich auf der Stelle töten, und wie all meine Landsleute bin ich nun zu schwach, um mich zu verteidigen. Doch du kannst hingehen und den Samen pflanzen.“
„Und was wird geschehen?“ fragte Kamdida. „Werden die Hist zurückkommen?“
„Nein. Doch ein Teil ihrer Macht wird zurückkehren.“
In jener Nacht stahl sich Kamdida aus dem Haus und wanderte in die Hügel. Sie kannte das Häuschen, von dem Sigerthe gesprochen hatte. Ihre Tante und ihr Onkel hatten sie gewarnt, niemals dorthin zu gehen. Als sie sich dem Haus näherte, öffnete sich die Tür, und ein alter, doch kräftig gebauter Mann erschien mit einer mächtigen Axt über seiner Schulter.
„Was machst du denn hier, Kind?“ verlangte er zu erfahren. „Im Dunkeln hätte ich dich beinahe für eineb dieser Echsenmenschen gehalten.“
„Ich habe mich im Dunkeln verlaufen“, sagte sie rasch. „Ich suche den Heimweg nach Lorikh.“
„Na, dann geh schon.“
„Habt Ihr vielleicht eine Kerze für mich?“ fragte sie Mitleid heischend. „Ich bin im Kreis herumgewandert und fürchte, ohne ein Licht werde ich doch nur hierher zurückkommen.“
Vor sich hin brummend ging der alte Mann ins Haus. Rasch grub Kamdida ein Loch in den trockenen Staub und vergrub den Samen so tief sie nur konnte. Er kehrte mit einer brennenden Kerze zurück.
„Sieh zu, dass du nicht noch einmal herkommst“, grollte er. „Sonst hacke ich dich in Stücke.“
Er kehrte zurück ins Haus und an sein Feuer. Als er am nächsten Morgen aufwachte und die Tür öffnete, fand er, dass sein Häuschen völlig in einem enormen Baum eingeschlossen war. Er nahm seine Axt und landete Schlag um Schlag auf dem Holz, doch er konnte keinen Durchbruch schaffen. Er versuchte es mit seitlichen Hieben, doch das Holz heilte auf der Stelle. Er versuchte einen Aufwärtsschlag, gefolgt von einem Abwärtsschlag, um einen Keil zu erzielen, doch das Holz versiegelte sich erneut.
Es verging eine lange Zeit, bevor jemand den ausgemergelten Leichnam des alten Juhnin entdeckte, der vor seiner offenen Haustür lag, die stumpfe, zersplitterte Axt noch in den Händen. Es war allen ein Rätsel, auf was er damit wohl eingehackt hatte, doch in Lorikh verbreitete sich die Legende, dass sich auf der Klinge Hist-Saft befand.
Kurz darauf begannen kleine Wüstenblumen, sich ihren Weg durch den trockenen Boden der Stadt zu bahnen. Neu gepflanzte Bäume und Pflanzen wuchsen von nun an recht gut an, teilweise sogar recht üppig. Die Hist-Bäume kehrten nicht zurück, aber Kamdida und die Menschen von Lorikh bemerkten, dass zu bestimmten Zeiten in der Dämmerung die langen, breiten Schatten riesiger, längst vergangener Bäume die Straßen und Hügel bedeckten.
Anmerkung des Herausgebers:
„Das Samenkorn“ ist eine von Marobar Suls Erzählungen, deren Ursprung wohl bekannt ist. Diese Erzählung stammte von den argonischen Sklaven von Süd-Morrowind. „Marobar Sul“ ersetzte nur die Dunmer durch Dwemer und behauptete, die Erzählung in einer Dwemer-Ruine gefunden zu haben. Weiterhin behauptete er, dass die argonische Version der Erzählung nur eine Nacherzählung seines „Originals“ sei!
Lorikh ist nicht nur ganz klar kein Dwemer-Name - das Dorf gibt es überhaupt nicht, und tatsächlich war „Lorikh“ ein Name, der allgemein und fälschlicherweise in Gor Felims Dramen für Dunmer-Leute verwendet wurde. Die argonischen Versionen der Geschichte spielen gewöhnlich in Vvardenfell, meist in der Telvanni-Stadt Sadrith Mora. Natürlich werden die so genannten „Gelehrten“ des Tempels Zero behaupten, dass die Geschichte etwas mit „Lorkhan“ zu tun hat, weil die Stadt ja auch mit dem Buchstaben „L“ beginnt.