Oblivion:2920, Abendstern (v12)

Version vom 8. September 2016, 08:54 Uhr von Scharebot (Diskussion | Beiträge) ((Bot 2.0 (alpha 8)))
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version ansehen (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Auflagen des Buches

Diese Seite enthält den Text von 2920, Abendstern (v12) aus The Elder Scrolls IV: Oblivion.

Inhalt

2920, Abendstern (v12)

Abendstern Zwölftes Buch von 2920, im letzten Jahr des Ersten Zeitalters von Carlovac Townway

1. Sonnenuntergang, 2920 Balmora, Morrowind

Die winterliche Morgensonne schimmerte durch die Eisblumen am Fenster, und Almalexia öffnete die Augen. Ein alter Heiler wischte ihr mit einem feuchten Tuch über die Stirn und lächelte erleichtert. Im Stuhl neben ihrem Bett schlief Vivec. Der Heiler eilte zu einem Schränkchen und kehrte mit einem Wasserkrug zurück.

„Wie fühlt Ihr Euch, Göttin?“ fragte der Heiler.

„Als hätte ich sehr, sehr lange geschlafen“, sagte Almalexia.

„Das habt Ihr auch. Fünfzehn Tage lang“, sagte der Heiler. Er berührte Vivec am Arm. „Meister, wacht auf. Sie spricht.“

Vivec schlug die Augen erschrocken auf, aber beim Anblick der lebenden, wachen Almalexia breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er küsste ihre Stirn und nahm ihre Hand. Endlich strahlte ihr Körper wieder Wärme aus.

Almalexia erwachte plötzlich aus ihrer friedlichen Ruhe: „Sotha Sil-“

„...ist am Leben und wohlauf“, antwortete Vivec. „Er arbeitet wieder irgendwo an einer seiner Maschinen. Er wollte auch hierbleiben, aber ich habe ihn überzeugen können, dass er dir mit seiner eigenartigen Zauberei mehr nutzen würde.“

Der Kastellan erschien in der Tür. „Meister, verzeiht die Störung, ich wollte Euch nur mitteilen, dass Euer schnellster Bote in den frühen Morgenstunden zur Kaiserstadt aufgebrochen ist.“

„Bote?“ fragte Almalexia. „Vivec, was ist geschehen?“

„Ich sollte am Sechsten beim Kaiser einen Waffenstillstand unterzeichnen, deshalb habe ich ihm Nachricht geschickt, dass es verschoben werden muss.“

„Hier kannst du doch nichts für mich tun“, sagte Almalexia, während sie sich mühsam aufsetzte. „Aber wenn du diesen Waffenstillstand nicht unterzeichnest, wird Morrowind wieder in einen Krieg gestürzt, der vielleicht weitere achtzig Jahre dauert. Wenn du heute mit einer Eskorte aufbrichst und dich beeilst, erreichst du die Kaiserstadt vielleicht mit nur ein oder zwei Tagen Verspätung.“

„Bist du sicher, dass du mich hier nicht brauchst?“ fragte Vivec.

„Ich weiß, dass Morrowind dich mehr braucht.“

6. Sonnenuntergang, 2920 Die Kaiserstadt, Cyrodiil

Kaiser Reman III saß auf seinem Thron und betrachtete den Audienzsaal. Es war ein prächtiger Anblick: von den Balken hingen silberne Bänder, in jeder Ecke standen Kessel, in denen süße Kräuter siedeten, pyandonische Schwalbenschwänze flogen umher und erfüllten den Raum mit ihrem Gesang. Sobald die Fackeln angezündet würden und die Diener mit ihren Fächern bereit standen, würde sich das Zimmer in ein schimmerndes Land der Phantasie verwandeln. Er konnte die Gewürz- und Bratendüfte aus der Küche bereits riechen.

Der Potentat Versidue-Shaie und sein Sohn Savirien-Chorak glitten in den Raum; beide trugen Kopfputz und Schmuck der Tsaesci. Auf ihren goldenen Gesichtern war wie meistens kein Lächeln zu sehen. Der Kaiser begrüßte seinen vertrauten Berater dennoch mit Begeisterung.

„Das wird diese wilden Dunkelelfen gewiss beeindrucken“, lachte er. „Wann sollen sie eintreffen?“

„Soeben ist ein Bote von Vivec gekommen“, sagte der Potentat ernst. „Ich glaube, es wäre das Beste, wenn Eure Kaiserliche Erhabenheit ihn allein träfe.“

Dem Kaiser verging sein Lachen, aber er wies seine Diener an, sich zurückzuziehen. Dann öffnete sich die Tür, und die Kurtisane Corda betrat den Raum mit einem Pergament in der Hand. Sie schloß die Tür hinter sich, hielt aber den Blick gesenkt, als sie auf den Kaiser zuging.

Reman erhob sich, um den Brief entgegenzunehmen. „Der Bote hat seinen Brief meiner Geliebten gegeben?“, sagte er ungläubig. „Das ist eine höchst unorthodoxe Weise, eine Nachricht zu überbringen.“

„Aber die Nachricht selbst ist sehr orthodox“, sagte Corda. Sie hob den Kopf und sah ihm in das gute Auge. Mit einer blitzschnellen Bewegung hob sie den Brief unter das Kinn des Kaisers. Seine Augen weiteten sich, und Blut quoll über das leere Pergament. Leer bis auf ein kleines schwarzes Zeichen: das Symbol der Morag Tong. Als es zu Boden fiel, kam der kleine, dahinter verborgene Dolch zum Vorschein, den sie jetzt drehte, um ihm die Kehle weiter durchzuschneiden. Der Kaiser brach zusammen und sank lautlos keuchend zum Boden.

„Wie lange braucht Ihr?“ fragte Savirien-Chorak.

„Fünf Minuten“, sagte Corda, während sie das Blut von ihren Händen wischte. „Wenn Ihr mir zehn schenken könnt, wäre ich allerdings doppelt dankbar.“

„Sehr gut“, sagte der Potentat, während Corda bereits aus dem Audienzsaal lief. „Das Mädchen hätte auch eine Akaviri sein können. Die Kunstfertigkeit, mit der sie eine Klinge verwendet, ist wirklich bemerkenswert.“

„Ich muss gehen und für unser Alibi sorgen“, sagte Savirien-Chorak, und verschwand in einem Geheimgang, von dem nur die engsten Vertrauten des Kaisers wussten.

„Eure Kaiserliche Majestät erinnern sich vielleicht an eine Begebenheit vor etwa einem Jahr.“ Der Potentat lächelte den sterbenden Mann auf dem Boden an. „Ihr habt gesagt: Merkt Euch eines - ihr Akaviri stellt gern euer Können zur Schau, aber wenn uns auch nur ein Angriff gelingt, ist es mit Euch aus und vorbei. Das habe ich mir gemerkt, wie Ihr seht.“

Der Kaiser spuckte Blut und brachte noch ein Wort heraus: „Schlange!“

„Ich bin eine Schlange, Eure Kaiserliche Majestät, durch und durch. Aber ich habe nicht gelogen; Vivec hat tatsächlich einen Boten entsandt. Offenbar wird sich sein Eintreffen etwas hinauszögern.“ Der Potentat zuckte mit den Achseln, während er auf den Geheimgang zuging. „Aber macht Euch keine Sorgen. Ich bin sicher, dass das Essen nicht verderben wird.“

Der Kaiser von Tamriel starb in seinem Blut liegend im leeren, für den großen Ball geschmückten Audienzsaal. Fünfzehn Minuten später fand ihn sein Leibwächter. Corda war spurlos verschwunden.

8. Sonnenuntergang, 2920 Caer Suvio, Cyrodiil

Fürst Glavius war der erste Abgesandte, der Vivec und seine Eskorte bei ihrem Eintreffen empfing. Er entschuldigte sich überschwänglich für die schlechte Straße durch den Wald. Die kahlen Bäume um die Villa waren mit Ketten aus leuchtenden Kugeln geschmückt, die in der kalten Nachtbrise sanft hin- und herschaukelten. Von innen konnte Vivec ein einfaches Festmahl riechen und vernahm eine hohe, traurige Melodie. Es war ein traditionelles Winterlied der Akaviri.

Versidue-Shaie begrüßte Vivec am Vordereingang.

„Ich bin froh, dass Ihr die Nachricht noch erhalten habt, bevor Ihr die Stadt erreichtet.“ Der Potentat führte seinen Gast in den großen, warmen Salon. „Dies ist eine schwierige Übergangszeit, und im Augenblick ist es am besten, wenn wir diese Angelegenheit nicht in der Hauptstadt besprechen.“

„Es gibt keinen Erben?“ fragte Vivec.

„Keinen offiziellen, nein, obwohl einige entfernte Vettern um den Thron wetteifern. Der Adel hat beschlossen, dass ich vorübergehend die Ämter und Pflichten meines verstorbenen Herrn übernehme, bis die Verhältnisse geklärt sind.“ Versidue-Shaie wies die Diener an, zwei bequeme Sessel vor den Kamin zu ziehen. „Wäre es euch recht, wenn wir das Abkommen sofort unterzeichnen, oder möchtet Ihr lieber vorher etwas essen?“

„Ihr wollt das Abkommen des Kaisers erfüllen?“

„Ich will alles im Sinne des Kaisers tun“, sagte der Potentat.

Sonnenuntergang 14 Sonne, 2920 Tel Aruhn, Morrowind

Noch staubig von der Reise warf sich Corda in die Arme der Mutter der Nacht. Einen Moment lang standen sie eng umschlungen. Die Mutter der Nacht strich ihrer Tochter über das Haar und küsste ihre Stirn. Schließlich griff sie in ihren Ärmel und reichte Corda einen Brief.

„Was ist das?“ fragte Corda.

„Ein Brief vom Potentaten, in dem er sein Entzücken über dein Können ausdrückt“, antwortete die Mutter der Nacht. „Er verspricht uns einen Lohn, aber ich habe ihm bereits eine Antwort geschickt. Die verstorbene Kaiserin hat uns schon genug für den Tod ihres Mannes entlohnt. Mephala würde nicht wollen, dass wir übermässig gierig sind. Du sollst nicht zweimal für denselben Mord bezahlt werden, so steht es geschrieben.“

„Er hat meine Schwester Rijja umgebracht“, sagte Corda leise.

„Deshalb solltest ja auch du den Schlag ausführen.“

„Wohin soll ich jetzt gehen?“

„Wird ein Mitglied unserer Gemeinschaft zu bekannt, um den heiligen Feldzug fortzusetzen, schicken wir es auf eine Insel, genannt Vounoura. Sie ist etwa eine Monatsreise von hier mit dem Schiff entfernt, und ich habe für ein wunderschönes Anwesen gesorgt, das dir dort als Zuflucht dient“. Die Mutter der Nacht küsste die Tränen des Mädchens fort. „Du wirst dort viele Freunde treffen, mein Kind, und ich weiß, dass du endlich Frieden und Glück finden wirst.“

19. Sonnenuntergang, 2920 Gramfeste, Morrowind

Almalexia inspizierte den Wiederaufbau der Stadt. Der ungebrochene Geist der Bürger war wahrlich beeindruckend, dachte sie, als sie an den Gerüsten der neuen Bauten entlangging, die zwischen den geschwärzten Ruinen der alten Stadt standen. Sogar das Pflanzenleben zeigte eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit. In den Combeer- und Roobuschsträuchern, die einst die Hauptallee gesäumt hatten, war noch Lebenskraft. Sie spürte, wie sie pulsierte. Im nächsten Frühling würde Grün aus dem schwarzen Geäst sprießen.

Der Erbe des Herzogs, ein Jüngling von beträchtlicher Intelligenz und mit dem unerschütterlichen Mut der Dunmer, war unterwegs vom Norden hierher, um den Platz seines Vaters einzunehmen. Die Nation würde sich nicht nur erholen; sie würde stärker werden und expandieren. Die Zukunft, das spürte sie, barg mehr als die Gegenwart.

Und eines wusste sie ganz sicher: Gramfeste würde für immer die Heimat wenigstens einer Göttin sein.

Sonnenuntergang 22 Sonne, 2920 Die Kaiserstadt, Cyrodiil

„Die Linie von Cyrodiil ist ausgestorben“, verkündete der Potentat auf dem Balkon des Kaiserpalasts der versammelten Menge darunter. „Aber das Kaiserreich lebt weiter. Die entfernten Verwandten unseres geliebten Kaisers sind von den Edelleuten, die seine Kaiserliche Majestät während seiner langen und ruhmreichen Regentschaft treu beraten haben, als für die Thronfolge unwürdig befunden worden. Es ist daher beschlossen worden, dass ich als unparteiischer und treuer Freund Remans des Dritten die Verpflichtung übernehmen soll, in seinem Namen weiterzumachen.“

Der Akaviri hielt inne, damit seine Worte gebührend auf die Bevölkerung wirken konnten. Diese starrte ihn jedoch nur schweigend an. In den Straßen hatte es unablässig geregnet, aber die Sonne war kurz hinter den Wolken hervorgetreten, als würde ihnen von den Winterstürmen eine Atempause gegönnt.

„Ich möchte nachdrücklich betonen, dass ich den Titel des Kaisers nicht beanspruche“ setzte er fort. „Ich bin und bleibe weiterhin Potentat Versidue-Shaie, ein Fremder, der in diesem Land freundlich aufgenommen wurde. Es wird meine Aufgabe sein, meine Wahlheimat zu schützen, und ich gelobe feierlich, unermüdlich an dieser Aufgabe zu arbeiten, bis jemand, der ihrer würdiger ist, mir diese Last abnimmt. Als erste Amtshandlung erkläre ich hiermit, dass zum Gedenken an diesen historischen Moment vom Ersten des Morgensterns an das Jahr Eins des Zweiten Zeitalters nach unserer Zeitrechnung beginnen wird. Somit betrauern wir den Verlust unserer kaiserlichen Familie und blicken mit Zuversicht in die Zukunft.“

Diesen Worten applaudierte nur ein Mann. König Dro'Zel von Senchal glaubte aufrichtig, dass dies das Beste sei, was Tamriel in seiner langen Geschichte je geschehen war. Er war natürlich vollkommen verrückt.

31. Sonnenuntergang, 2920 Ebenherz, Morrowind

In den verqualmten Katakomben unter der Stadt, wo Sotha Sil mit seinem geheimnisvollen Uhrwerk-Apparat die Zukunft schmiedete, geschah etwas Unvorhergesehenes. Aus einem Getriebe, das seine Dienste bisher problemlos verrichtet hatte, sickerte eine ölige Luftblase und zerplatzte. Sofort richtete der Zauberer seine Aufmerksamkeit darauf und auf die Kette, die diesen kleinen Vorgang ausgelöst hatte. Ein Rohr verschob sich um einen halben Zoll nach links. Ein Zahnriemen verrutschte. Eine Spule wickelte sich neu auf und begann, in Gegenrichtung zu rotieren. Ein Kolben, der seit Jahrtausenden links-rechts, links-rechts gestoßen hatte, begann plötzlich, rechts-links zu stoßen. Nichts zerbrach, aber alles änderte sich.

„Da kann man jetzt nichts mehr machen“, sagte der Zauberer leise.

Er sah durch einen Riss in der Decke in den Nachthimmel hinauf. Es war Mitternacht. Die zweite Ära, das Zeitalter des Chaos, hatte begonnen.