Oblivion:Nacht über Sentinel

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Auflagen des Buches

Diese Seite enthält den Text von Nacht über Sentinel aus The Elder Scrolls III: Morrowind.

Inhalt

Nacht über Sentinel
von Boali

In der Namenlosen Taverne in Sentinel wurde keine Musik gespielt, und tatsächlich gab es wenig Geräusche, bis auf das dezente, vorsichtige Gemurmel von Unterhaltungen, das leise Tappen der Füße der Bardame auf dem Boden, und das behutsame Schlürfen der Stammgäste, mit ihren Zungen an den Krügen schleckend, ihre Augen auf gar nichts gerichtet. Wenn nicht jeder anderweitig beschäftigt gewesen wäre, hätte der Anblick der Rothwardonin in ihrem edlen Umhang aus schwarzem Samt wahrscheinlich für Aufsehen gesorgt. Oder sogar für Misstrauen. Gewissermaßen vermischte sich die seltsame Gestalt, so fehl am Platz in diesem Keller, der so einfach war, dass er außen nicht einmal ein Namenschild hatte, mit den Schatten im Raum.


„Seid Ihr Jomic?”


Der beleibte Mann in mittleren Jahren, dessen Gesicht älter als sein wahres Alter erschien, schaute auf und nickte. Er wandte sich wieder seinem Getränk zu. Die junge Frau setzte sich auf den Platz neben ihm.


„Mein Name ist Haballa”, sagte sie, zeigte ihm ein kleines Säckchen Geld und legte es neben seinen Krug.


„Das ist er wohl”, knurrte er und schaute ihr erneut in die Augen. „Wen wollt Ihr tot sehen?”


Sie wandte sich nicht ab, sondern fragte bloß, „Ist es hier sicher genug für eine Unterredung?”


„Niemand kümmert sich hier um die Probleme der anderen, nur um seine eigenen. Ihr könntet Euren Brustharnisch ablegen und barbusig auf dem Tisch tanzen, und niemand würde auch nur hinsehen”, lächelte der Mann. „Also, wen wollt Ihr tot sehen?”


„Eigentlich niemanden”, sagte Haballa. „In Wahrheit möchte ich nur, dass jemand für eine Weile ... entfernt wird. Nicht verletzt, versteht Ihr, und deshalb brauche ich einen Fachmann. Ihr wurdet mir sehr empfohlen.”


„Mit wem habt Ihr geredet?” fragte Jomic lustlos und wandte sich wieder seinem Getränk zu.


„Mit dem Freund eines Freundes eines Freundes eines Freundes.”


„Einer dieser Freunde wusste nicht, was er redet”, brummte der Mann. „Ich mache sowas nicht mehr.”


Haballa nahm ruhig ein weiteres Säckchen heraus, und dann noch eins, und legte sie neben den Ellbogen des Mannes. Er sah sie einen Moment lang an, schüttete dann das Geld aus und begann, es zu zählen. Als er das tat, fragte er: „Wen wollt Ihr entfernt haben?”


„Einen Augenblick”, lächelte Haballa und schüttelte den Kopf. „Bevor wir die Details besprechen, möchte ich sichergehen, dass Ihr ein Fachmann seid, und dass Ihr diese Person nicht zu sehr verletzt. Und dass Ihr diskret handeln werdet.”


„Ihr wollt es diskret?” fragte der Mann und hielt beim Zählen inne. „In Ordnung, ich werde Euch von einem meiner vergangenen Aufträge erzählen. Es ist jetzt - bei Arkay, ich kann es kaum glauben - mehr als zwanzig Jahre her, und niemand außer mir ist noch am Leben, der mit dem Auftrag zu tun hatte. Das geht in die Zeit vor dem Betonienkrieg zurück, erinnert Ihr Euch daran?”


„Ich war noch ein Säugling.”


„Selbstverständlich wart Ihr das”, lächelte Jomic. „Jeder weiß, dass König Lhotun einen älteren Bruder namens Greklith hatte, der gestorben war, richtig? Und dann hatte er noch seine ältere Schwester Aubk-i, die mit diesem König in Daggerfall verheiratet war. Aber in Wahrheit hatte er zwei ältere Brüder.”


„Wirklich?” Haballas Augen funkelten interessiert.


„Ungelogen”, gluckste er. „Schmächtiger, schwächlicher Bursche namens Arthago, der Erstgeborene des Königs und der Königin. Wie dem auch sei, dieser Prinz war Thronerbe, worüber seine Eltern nicht gerade begeistert waren. Aber dann presste die Königin noch zwei Nachkömmlinge heraus, die viel gesünder aussahen. An diesem Punkt kommen ich und meine Jungs ins Spiel: Wir wurden angeheuert, es so aussehen zu lassen, als ob der König der Unterwelt den ersten Prinz zu sich geholt hätte - oder so eine ähnliche Geschichte.”


„Ich hatte ja keine Ahnung!” flüsterte die junge Frau.


„Natürlich nicht, darum geht es ja”, sagte Jomic und schüttelte den Kopf. „Diskretion, wie Ihr sagtet. Wir steckten den Jungen in einen Sack, setzten ihn in einer alten Ruine ab, und das war's. Kein großer Zirkus. Nur ein paar Kameraden, ein Sack, und eine Keule.”


„Genau das interessiert mich”, sagte Haballa. „Technik. Mein ... Freund, der fortgeschafft werden muss, ist auch schwach, wie dieser Prinz. Wofür ist die Keule?”


„Sie ist ein Werkzeug. So viele Dinge, die früher besser waren, gibt es heute einfach nicht mehr, weil die Leute von heute einfache Handhabungen bevorzugen. Lasst mich erklären: Es gibt einundsiebzig Schmerzzentren im Körper eines Durchschnittsburschen. Elfen und Khajiit, die so empfindlich sind, haben außerdem noch drei oder vier mehr. Argonier und Krecken haben zweiundfünfzig, beziehungsweise siebenundsechzig.” Jomic nutzte seinen Stummelfinger, um auf jede der Regionen auf Haballas Körper zu zeigen. „Sechs Zentren in Eurer Stirn, zwei in Euren Brauen, zwei auf Eurer Nase, sieben in Eurer Kehle, zehn in Eurer Brust, neun in Eurem Bauch, drei auf jedem Arm, zwölf in Eurer Leistengegend, vier in Eurem Standbein, fünf in dem anderen.”


„Das sind dreiundsechzig”, antwortete Haballa.


„Nein, sind es nicht”, knurrte Jomic.


„Doch, sind es”, schrie die Dame zurück, entrüstet, dass ihr mathematisches Können in Frage gestellt wurde: „Sechs plus zwei plus zwei plus sieben plus zehn plus neun plus drei für einen Arm und drei für den anderen plus zwölf plus vier plus fünf. Dreiundsechzig.”


„Ich muss welche vergessen haben”, sagte Jomic achselzuckend. „Wichtig ist, um erfahren mit einem Stab oder einer Keule umgehen zu können, muss man ein Meister dieser Schmerzzentren sein. Richtig angewandt kann ein leichter Klaps tödlich sein, oder mindestens kampfunfähig machen, und das alles ohne den kleinsten blauen Fleck.”


„Faszinierend”, lächelte Haballa. „Und niemand hat es je herausgefunden?”


„Warum sollten sie? Die Eltern des Jungen, der König und die Königin, sind inzwischen beide tot. Die anderen Kinder haben immer gedacht, dass ihr Bruder vom König der Unterwelt verschleppt wurde. Das denkt jeder. Und alle meine Partner sind tot.”


„Natürlicher Tod?”


„In der Bucht gibt es nichts, was natürlich passiert, das wisst Ihr. Ein Bursche wurde von einem dieser Selenu ausgesaugt. Ein anderer starb an der gleichen Seuche, die auch die Königin und Prinz Greklith befiel. 'N anderer Kamerad hat sich von einem Einbrecher totschlagen lassen. Man muss sich zurückhalten, außerhalb der Sichtweite, so wie ich, wenn man am Leben bleiben will.” Jomic beendete das Zählen der Münzen. „Ihr müsst diesen Burschen dringend aus dem Weg haben wollen. Wer ist es?”


„Es ist besser, wenn ich es Euch zeige”, sagte Haballa und stand auf. Ohne einen Blick zurück schritt sie aus der Namenlosen Taverne.


Jomic stürzte sein Bier herunter und ging hinaus. Die Nacht war kühl mit einem böigem Wind, der von den Gewässern der Iliac-Bucht herüberwehte und die Blätter durch die Luft wirbeln ließ. Haballa trat aus der Gasse neben der Taverne und winkte ihn zu sich. Als er sich ihr näherte, blies der Wind in ihren Umhang und enthüllte die Rüstung mit dem Emblem des Königs von Sentinel darunter.


Der dicke Mann trat einen Schritt zurück, um zu fliehen, aber sie war zu schnell. Im nächsten Moment lag er schon mit dem Rücken auf dem Boden, während die Frau ihr Knie fest gegen seine Kehle presste.


„Der König sucht seit Jahren schon, seit seiner Thronbesteigung, nach Euch und Euren Kollaborateuren, Jomic. Seine Anweisungen an mich, wenn ich Euch erst gefunden haben würde, waren nicht besonders genau, aber dank Euch ist mir eine Idee gekommen.”


Haballa zog einen massiven, kleinen Knüppel aus ihrem Gürtel.


Ein Betrunkener, der aus der Taverne taumelte, hörte aus dem Dunkel der Gasse ein winselndes Stöhnen begleitet von einem schwachen Flüstern: „Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben... .”