In der Nacht, in der die Tränen flossen
von Arukai
Rasch hob der junge Nordmann, der erst seit kurzem neunzehn Winter zählte, sein Schwert seitlich hoch, um den eingehenden Hieb zu parieren. Er tat zwei Schritte zurück und wischte sich blitzschnell mit der linken Hand eine Strähne seines langen flachsblonden Haares und den Schweiß auf seiner Stirn aus dem Gesicht. Sein Gegenüber, ein Elf mit einem eisblauen, beinahe weißen Teint und schneeweißen Haaren gleichen Alters war ebenfalls zurückgewichen, wechselte seine Haltung und fokussierte seinen Kontrahenten erneut. Dieser lief bereits auf ihn zu, das Schwert niedrig und dicht an der Hüfte, die Spitze nach vorn gerichtet. Mit einem eleganten Ausfallschritt entging er dem Angriff des Nord und das Klirren von Stahl auf Stahl erfüllte die kalte Luft, hallte von den großen, schneebedeckten Felsen um sie herum zurück. Es kam zum Machtkampf zwischen den beiden, mit aller Kraft pressten sich die Schwerter aufeinander. Der Elf nutzte die Chance und vollführte einen Bogen mit seiner Waffe, wodurch er die Kraft des Nord einfach ins Leere lenkte und ihn rechts von sich vorbeitaumeln ließ. Augenblicklich wirbelte er dann herum und stellte ihm ein Bein. Der Nord viel mit dem Gesicht voran in den kalten Schnee. Als dieser sich auf den Rücken gedreht hatte, stand der Elf mit ernstem Blick über ihm, die Klinge auf seine Brust gerichtet. Einige Sekunden vergingen, ehe das Schwert zurückgezogen und ihm stattdessen die Hand gereicht wurde. Der ernste Blick des Elfen war einem schelmischen Grinsen gewichen. Der Nord nahm die Hand und ließ sich aufhelfen.
"Dieses Mal hätte ich dich beinahe gehabt. Ich habe schon gespürt, wie du unter dem Druck meines Schwertes gezittert hast", meinte der Nord, als er wieder auf beiden Beinen stand und den Schnee von seiner Rüstung aus Leder und Pelz abklopfte.
"Beinahe reicht halt nicht, Roknir. Letztendlich hast du dich zu sehr darauf fixiert, Kraft auszuüben - mal wieder", stichelte der Elf.
"Jaja ... ich werde es wohl nie lernen. Wie dem auch sei, abgemacht ist abgemacht, Garandil. Die nächste Runde geht auf mich."
"Dann lass uns schleunigst in den Frierenden Horker, damit ich meinen Sieg auskosten kann."
So marschierte der Elf guter Dinge voraus, während Roknir ihm folgte und innerlich seinem hart angesparten Geld bereits nachweinte.
Die Wachposten vor Saarthal reagierten dem Schneeelf gegenüber äußerst misstrauisch, wie immer. Sogar sein Schwert und seinen Dolch musste er den Wachen überlassen, ehe sie ihn Einlass gewährten. Die Situation zwischen den Nordmännern und den Falmern war seit geraumer Zeit bereits recht angespannt, doch Roknir wusste nicht so genau, weshalb. Die Falmer behaupteten, einige ihrer Nomadengruppen seien von Nord überfallen worden. Die Nord hingegen stritten dies vehement ab. Garandil wusste selbst auch nicht, ob das der Wahrheit entsprach. Er selbst hatte davon zumindest nichts mitbekommen.
Als der Elf eingehend durchsucht worden war, durften die beiden Freunde dann die Stadt betreten. Garandil war einer der wenigen Schneeelfen, die in der Stadt geduldet wurden, und das auch nur, weil Roknir für ihn bürgte. Alle anderen Falmer wurden nicht reingelassen, Boten und Vertreter natürlich ausgenommen.
Gemischte Blicke aus Hass, Misstrauen und Herabwürdigung begegneten Garandil, als er und Roknir zur örtlichen Taverne unterwegs waren. Um ihnen zu entkommen zog er seine graue Kapuze etwas weiter ins Gesicht und schaute einfach auf den Boden. Der Weg schien ewig lang zu sein, doch letztendlich standen sie dann vor der Eingangstür des Frierenden Horkers. Roknir öffnete sie und ließ Garandil den Vortritt.
Als der Elf die Taverne betrat, sah der Wirt, ebenso wie seine Gäste, auf und musterte ihn. Er holte bereits Luft um ihn ohne Umschweife wieder herauszuschreien, unterließ es jedoch, als Roknir nach ihm reinkam und die Tür wieder schloss. Einige Sekunden noch hafteten die Blicke der Gäste auf dem Elfen, ehe sich alle wieder ihren Metkrügen und Trinkspielen widmeten. Garandil setzte sich bereits an einen Tisch etwas außerhalb, während Roknir zwei Metkrüge besorgte. Anschließend setzte auch er sich und die zwei begannen, auf ihren Übungskampf zu trinken.
Alsbald lenkte sich das Thema wieder auf den Konflikt zwischen den Nord und den Falmern. Roknir fragte: "Glaubst du, dass dieser dämliche Streit bald endlich mal ein Ende findet? Ohne Blutvergießen?"
"Ich möchte es hoffen. Ich hörte, wie die Ältesten darüber redeten, eine Art Vertrag auszuarbeiten. Sie wollen ihn in den nächsten Wochen wohl überbringen."
"Davon habe ich auch schon gehört. Gestern soll uns ein Bote erreicht haben, der diese Nachricht überbrachte. Ich hoffe, Ysgramor stimmt diesem Vertrag zu."
Kurzerhand leerte Roknir seinen Krug und ließ sogleich zwei neue kommen. Anschließend diskutierten sie noch ein wenig weiter, und kamen auf andere Themen zu sprechen.
"Und? was haltet ihr von diesem Schreiben?" Der kräftige Nordmann murmelte etwas in seinen dunkelbraunen Bart und überflog ein weiteres Mal die Zeilen, dann schaute er auf. Man konnte seinem Blick nicht entnehmen, was er gerade wohl denken mochte.
"Die Elflinge bemühen sich offenbar, wieder Frieden zu schließen. Dem stimme ich grundlegend zu, doch warten wir erstmal ab, was die dafür verlangen. Eigentlich müssten wir etwas bekommen, da sie uns zu Unrecht beschuldigen, doch ich will großzügig sein. Sofern sie nicht zu gierig sind, bin ich bereit, geringe Opfer zu bringen."
"Könnte dies vielleicht ihr Ziel gewesen sein? Haben sie uns deswegen dieser Überfälle beschuldigt? Damit wir ihnen Zugeständnisse machen, um wieder Frieden zu haben?" Die Frage entstammte dem Mund eines älteren Nord mit langem, weißen Bart. Er sagte dies beinahe so, als sei es eine Anschuldigung.
"Ich möchte es nicht hoffen. Wir haben uns eine geraume Zeit gut mit ihnen verstanden und ich würde ihnen ungern Betrug und Verrat nachtragen. Wenn sie sagen, sie seien angegriffen worden, dann wir da wohl etwas dran sein. Nur wir waren es nicht."
" Ganz wie ihr meint, Ysgramor." Der alte Mann war scheinbar immernoch überzeugt, dass die Falmer dies alles eingefädelt hätten, doch würde er nie im Leben Ysgramor widersprechen. "Was machen wir nun?"
"Lasst unsere Jäger wieder auf die Jagd gehen, anstatt die Elfen zu beobachten. Unsere Vorräte an Fleisch werden ohnehin knapp. Sag ihnen, wir haben bis zur nächsten Woche nichts mehr zu befürchten. Nach den Verhandlungen sehen wir weiter."
Der alte Mann verließ das Langhaus und machte sich daran, die Befehle seines Herren in die Tat umzusetzen.
Es war bereits dunkel, als Garandil das Lager seiner Gruppe erreichte. Eigentlich hatte er vor, sogleich sein Zelt aufzusuchen und sich nach dem längeren Fußmarsch am Feuer zu wärmen, doch ein hochgewachsener Artgenosse kam ihm entgegen und nahm ihn bei der Schulter.
"Gut, dass du wieder da bist. Es gibt etwas zu besprechen, die anderen warten schon."
Etwas perplex blickte er über die Schulter zu seinem Zelt, ehe er sich seinem 'Entführer' zuwandte.
"Was ist denn los, Velegor?"
"Das wurde uns noch nicht gesagt. Deswegen sollten wir eilen, ansonsten fangen sie noch ohne uns an."
Mit eiligen Schritten stießen sie zu einer größeren Gruppe von Falmern die sich versammelt hatten. Auf einer Kiste hatte sich Elf gestellt, den man anhand der Rüstung zweifellos als Würdenträger identifizieren konnte.
"Meine Lieben Freunde", begann er, als Garandil und Velegor ankamen, "Ich habe etwas wichtiges mitzuteilen. Wir haben den Befehl erhalten, dass jeder, der des Kämpfens fähig ist, sich unverzüglich zu rüsten und vorzubereiten hat. In zwei Tagen ist eine größere Aktion immenser Wichtigkeit geplant und wir brauchen jeden Krieger, jeden Schützen und jeden Magiebegabten, um dieses Unterfangen in die Realität umzusetzen. Genauere Details wird es wenige Stunden vor Beginn geben. Nutzt die Zeit, und bereitet euch asugiebig vor. Am besten fangt ihr gleich morgen früh damit an."
Während die anderen sich wieder ihren Tätigkeiten widmeten, verweielte Garandil einige Minuten an Ort und Stelle und sinnierte über das Gesagte. Was für ein Vorhaben mochte das bloß sein? Es musste eine wirklich große Sache sein, denn so wie Garandil es verstanden hatte, waren mehrere Gruppen darin eingeplant. War vielleicht irgendeine Bedrohung im Anmarsch? Eine Bestie oder etwas dergleichen? Er konnte sich keinen wirklichen Reim darauf machen, also ging er in sein Zelt und wärmte sich am Feuer, ehe er sich schlafen legte.
Zwei Tage vergingen wie im Flug. Am morgen nach der Ansprache hatte Garandil sich noch einmal mit Roknir getroffen, um ihm zu sagen, dass er die nächsten Tage mit den Vorbereitungen beschäftigt sei, auch wenn er nicht so recht wusste, auf was genau er sich vorbereiten sollte. Dieses Geheimnis würde in den nächsten Minuten wohl gelüftet werden und Garandil würde feststellen, ob er sich ausreichend und richtig vorbereitet hatte.
Alle Kämpfer des Lagers hatten sich versammelt und Gemurmel wogte in durch die Reihen. Ein jeder war schon sehr gespannt darauf, was nun kommen würde, einige freuten sich auf den wohl kommenden Kampf, andere fürchteten, vielleicht mit ihren schlimmsten Alpträumen konfrontiert zu werden oder sich nicht ausgiebig genug vorbereitet zu haben.
Der Sprecher von der ersten Mitteilung zwei Tage zuvor bahnte sich seinen Weg zur Mitte und stellte sich erneut auf eine Kiste, um sich besser Gehör verschaffen zu können.
"Es ist soweit, meine werten Artgenossen. Ihr könnt hier und heute einem Unterfangen größter Wichtigkeit beiwohnen. Ich möchte eure Geduld nicht länger auf die Folter spannen und euch nun in die Einzelheiten einweihen." Es folgte eine kurze Pause, die dem Folgenden mehr Nachdruck verlieh.
"Heute Nacht werden wir Saarthal, die Stadt der Nordmänner überfallen."
Hektisches Gemurmel brach aus. Irgendwo aus der Gruppe tönte die Frage:
"Warum? Ich denke, die Ältesten wollen sich wieder um Frieden bemühen?"
"Dies war nur ein Vorwand. Bitte seid alle ruhig, ich denke, ich muss euch die Hintergründe erläutern. Die Nordmänner haben unter ihrer Stadt etwas gefunden, was in ihren Händen nichts verloren hat. Ein Artefakt großer, magischer Macht. Es gilt, dieses Artefakt zu beschaffen."
"Aber können wir sie nicht einfach fragen, ob sie es uns überlassen? Vielleicht wissen sie ja nicht einmal, dass dieses Objekt so mächtig ist." Die Frage kam von Garandil, der dort stand und ob des Gesagten am ganzen Leib zitterte. In seinen Ohren klang das nach Wahnsinn.
"Es gibt einen Grund, dass sie uns nicht von ihrem Fund berichtet hatten. Sie wissen um die Macht des Artefaktes und sie haben es uns absichtlich verschwiegen, weil sie es für ihre eigenen Zwecke missbrauchen wollen. Wir machen dies nicht nur in unserem Interesse, sondern auch im Sinne von Auri-El, der die Ältesten erleuchtet und davon in Kenntnis gesetzt hat. Also, was ist nun? Seid ihr bereit, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen?"
Die Erwähnung von Auri-El hatte genügt, um die Leute zu überzeugen. Nur Garandil war nach wie vor unwohl bei der Sache. Er wäre am liebsten sofort losgelaufen, um Roknir zu warnen, aufdass er sich und seine Familie in Sicherheit bringen könnte. Aber die anderen würden ihn nicht gewähren lassen. Ganz sicher nicht. Jeder im Lager wusste über seine Freundschaft bescheid, schließlich hatte nie einen Hehl daraus gemacht.
Vielleicht standen seine Chancen besser, wenn er Roknir vor Ort warnen würde. Er musste nur schnell genug sein, damit es nicht schon zu spät wäre, wenn er in Saarthal ankommen würde.
Die nächsten Stunden zogen sich hin und je näher die Abenddämmerung rückte, desto mulmiger wurde Garandil zumute. Die Tatsache, dass all das eine hinterhältige Falle gewesen sein soll, machte ihm schwer zu schaffen. Es würde ihn nicht wundern, wenn selbst die Rede vorhin eine einzige Lüge gewesen wäre, ein Vorwand, um die anderen einfach zu überzeugen. Im Moment würde er den Ältesten fast alles zutrauen. Vielleicht gab es ja nicht einmal ein Artefakt, vielleicht wollten sie nur die Nord vertreiben, doch wieso? Fühlten sie sich bedroht? Garandil glaubte nicht, dass von den Nord eine Bedrohung ausging. Bisher war das Verhältnis zwischen den Schneeelfen und den Menschen aus Atmora äußerst gut gewesen.
Der Trupp begann sich zu versammeln und Garandil wusste, es waren jetzt nur noch wenige Minuten, bis sie aufbrechen würden. Ebenso wie all die anderen Trupps der anderen Lager. Sie würden in eine friedliche Stadt einmaschieren, die sich in Sicherheit wiegt und in dem Glauben ist, die Elfen würden sich um eine Rehabilitierung des Friedens bemühen. Ihm wurde ganz schlecht bei dem Gedanken und glaubte kurz sich tatsächlich übergeben zu müssen, was aber nicht der Fall war. Dann setzten sie sich in Bewegung.
Roknir wurde durch lautes Geschrei und einem Durcheinander verschiedenster Geräusche wach. Es hörte sich an, als wäre draußen die Hölle losgebrochen. So schnell wie möglich legte er seine Rüstung an, griff nach seinem Schwert und suchte den Rest seiner Familie. Seine Mutter und seine kleinere Schwester hatten sich in eine Besenkammer zurückgezogen, sein Vater stand ebenfalls gerüstet dort. Gemeinsam gingen sie auf die Tür zu, um nach draußen zu gelangen und einen Überblick über die Lage zu erhalten. Dann brach die Tür auf, die Schwerter schossen instinktiv nach vorn, doch wurden wieder ausgebremst. Es war nicht der Feind, der in der Tür stand, sondern Ysgramor, seine Söhne und ein gutes dutzend weiterer Männer.
"Arnjalf, Roknir, kommt mit. Wir müssen schnell zur Krypta eilen, bevor es zu spät ist!"
"Wieso zur Krypta?", fragte Roknir, während sie bereits auf dem Weg waren und durch die Stadt rannten, welche gerade im Chaos versank. Elfen strömten von überall her und legten Brände.
"Vor einiger Zeit sind wir auf etwas gestoßen, was unter der Krypta verborgen lag. Wir wissen nicht genau, was es ist oder wozu es dient, aber ich fürchte, die Elfen haben es darauf abgesehen."
Nein, sowas konnten die Falmer doch nie im Leben tun. So etwas konnte Garandil nie im Leben tun. Das war ein böser Alptraum, redete Roknir sich ein. Jeden Moment wache ich auf und alles ist in bester Ordung.
Aber er wachte nicht auf. Das war die Realität. Wusste Garandil hiervon?
"Ich wusste es ja. Diese Falmer hatten das alles geplant. Dreckiges Pack", meinte der Nordmann mit dem weißen Bart.
Völlig außer Puste erreichte er endlich das Haus. Schnell stürmte er hinein, doch von Roknir war keine Spur. Dafür lief ihm Fjolli entgegen.
"Garandil! Ich hab Angst, was geschieht hier?" Auch ihre Mutter traute sich heraus. Garandil schloss das kleine Mädchen kurz in den Arm.
"Keine Angst, euch beiden wird nichts geschehen. Aber sagt, wo ist Roknir hin?"
"Er ist mit seinem Vater und Ysgramor auf dem Weg zur Krypta. Ich weiß aber nicht, warum", meinte Runret. "Bitte sag mir, was hier vorgeht."
Garandil holte gerade Luft, da kamen weitere Falmer in das Haus. Ihre Waffen trieften bereits vor Blut.
"Was machst du hier? Na los, töte sie! Oder bist du etwa zu zimperlich dafür?"
"Ich werde sie sicher nicht töten! So weit kommts noch, dass ich Frauen und Kinder umbringe!" Garandil wollte auf sie zu stürmen, doch wurde durch einen der Elfen abrupt ausgebremst.
"Dann werden wir es tun - oder nein, noch besser: Wir zwingen dich dazu." Er drückte ihm das Schwert wieder in die Hand, dass er ihm zuvor entrissen hatte und schubste ihn zu Runret und Fjolli hinüber. Der eine Elf packte ihn an der Schulter und hielt ihm ein Messer an die Kehle, der andere griff seine Hände und führte sie langsam immer näher an die beiden heran. Garandil wehrte sich, wimmerte. Er wollte Roknirs Familie genauso wenig auf dem Gewissen haben wie Roknir selbst. Aber sterben wollte er auch nicht. Die Klinge bewegte sich stetig immer weiter auf Runret zu, die sich schützend vor ihre Tochter gekniet hatte.
Blut verteilte sich im Raum.
Die Tür zur Krypta wurde verriegelt. Ysgramor übernahm die Führung über die kleine Truppe.
"Folgt mir, wir müssen tiefer hinunter. Und verriegelt jede Tür auf dem Weg doppelt. Die Elfen dürfen dieses Ding nicht bekommen, völlig gleich, wozu es dient. Wenn sie so weit gehen, und es sich mit Gewalt aneignen wollen, muss es immens wichtig für sie sein."
Dann saßen sie da. In der Vorkammer zu dem Raum, wo das Artefakt hinbefördert wurde. Es war eine gewaltige Kugel, blau leuchtend und durchwirkt von purer Magie. Eine geschlagene Stunde verging, ehe sie sie kommen hörten. Die Stadt war offensichtlich so gut wie verloren, genau wie sie hier unten. Sie waren gerade mal achtzehn Mann, wie sollten sie sich gegen so viele Angreifer zur Wehr setzen?
Dann ging alles Schnell. Ein Blitz zerbarst die Tür vor ihnen und Elfen strömten in den Raum. Die Nordmänner zückten ihre Waffen und warfen sich ihnen entgegen, doch es war hoffnungslos. Einer nach dem anderen fiel.
Zum Schluss waren es nur noch Ysgramor, dessen Söhne, Arnjalf und Roknir, die standen. Der Feind hatte sie umzingelt. Es schien keinen Ausweg zu geben. Arnjalf drehte sich zu Ysgramor.
"Wir werden sie ablenken, dann könnt ihr fliehen."
"Ich werde ganz sicher nicht davon laufen. Wir werden bleiben, bis zum letzten Mann."
"Das ist sinnlos. Bitte, ergreift die Flucht, damit wir in der Hoffnung sterben können, dass ihr es diesen Elfen-Bastarden heimzahlen könnt." Kurze Stille. Ysgramor nickte. Sein ältester Sohn entschloss sich, zu bleiben und mit zu helfen, um ihre Chancen zu erhöhen.
Roknir schluckte. Er konnte den Tod schon beinahe in die Augen sehen. Das würde er nicht überleben, genau so wenig wie sein Vater. Aber Ysgramor und zwei seiner Söhne konnten somit überleben und dafür sorgen, dass ihr Tod nicht umsonst war.
Drei stürmten auf die Elfen zu, drei flohen durch eine Lücke in den Reihen des Feindes. Roknir sah aus dem Augenwinkel, wie sein Vater zu Boden ging und ein Elf ihm die Kehle durchschlitzte. Im selben Moment traf ihn ein kalter Stahl, bohrte sich in seinen Leib. Er hustete Blut und sank ebenso zu Boden. Mit verschwommenen Blick sah er, wie Ysgramors verbleibender Sohn drei Feinde niederrung, ehe er einen Schlag an den Helm bekam. Kurz taumelte er zurück und seine Widersacher nutzten sogleich die Chance und warfen ihm alles entgegen, was sie konnten. Er ging unter einem regelrechten Sturm aus Angriffen nieder, wurde in Stücke gerissen. Roknir hoffte inständig, dass sie nicht den anderen hinterjagen würden.
Ein Gefühl der Erleichterung erfüllte ihn, trotz der Schmerzen, die er hatte. Die Elfen ließen Ysgramor und seine verbliebenen zwei Söhnen gewähren. Sie kümmerten sich nicht um die Flüchtlinge, sie wollten nur das Artefakt. Nachdem sie es transportbereit gemacht hatten, zogen sie ab.
Roknir kam noch ein mal kurz zu sich, als er eine bekannte Stimme hörte. Er hatte jegwedes Gefühl für Zeit verloren und wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war.
"Roknir! Um Himmels Willen, sag doch was!" Es war Garandil, der sich über ihn beugte.
"Garandil? Schön, dass du mir in meinen letzten Minuten beistehst." Die Worte waren kaum mehr als gehaucht und nur schwer verständlich.
"Du verstehst nicht Roknir ... ich habe schlimme Dinge getan. Ich ... ich ... habe deine Schwester und Mutter getötet."
Stille. Erdrückende Stille.
"Bereust du es?", hauchte Roknir.
"Aber natürlich! Ich bereue es tausend Mal, dass ich das Schwert gegen deine Familie erhoben hab. Ich bereue es tausend Mal, dass ich für dieses Massaker mit verantwortlich bin! Und ich bereue es tausend Mal, dass ich nicht den Mut hatte, mein Volk hiervon abzuhalten. Nicht einmal, um mich von ihnen abzuwenden."
"Ich trage es dir nicht nach. Ich möchte dir verzeihen, denn ich will nicht, dass wir als geschiedene Leute auseinandergehen. Ich ... spüre, wie der Tod an mir zerrt. Versprich ... versprich mir, dass du jeden Tag an mich, an meine Familie denken wirst. Bitte ..."
"Aber natürlich!" Tränen rannen über Garandils Wangen. "Das werde ich tun. Ich werde jeden Tag eure Gräber aufsuchen und euch gedenken."
Roknirs Augen schlossen sich, sein Atem versiegte. Garandil blieb noch bis zum Morgengrauen bei ihm, hielt seine tote Hand. Dann begrub er Ronkir, Arnjalf, Fjolldi und Runret. Alle zusammen, nebeneinander.
Viele Tränen flossen in jener Nacht. Garandil kehrte nie mehr zu seinem Volk zurück, er galt seither als verschwunden. Gerüchten zufolge begann er, ein Leben als Einsiedler irgendwo in den Bergen Himmelsrands zu führen.
Ysgramor und seine Söhne flohen nach Atmora. Wenig später kehrte er mit 500 Männern und Frauen zurück, den legendären 500 Gefährten. In einem Rachefeldzug brachen sie die Herrschaft der Falmer ein für alle Mal und haben sie angeblich bis auf den letzten ihrer Art ausgerottet. Die Falmer, die fliehen konnten, suchten Schutz bei den Dwemern, welche in unterirdischen Städten lebten. Die Dwemer versklavten sie, und so wurden sie zu den Betrogenen, jene Kreaturen, die wir heute unter dem Begriff Falmer kennen. Niemand weiß, ob außer den Betrogenen noch andere Falmer leben. Was aus dem Artefakt wurde, das unter Saarthal lag und was dessen Funktion war, konnte nie in Erfahrung gebracht werden.