Auf nach Kyneshain
Nyala fluchte leise, als sie zum dritten Mal beim Schleifen ihres Schwertes abrutschte und eine schartige Stelle ihr Schwert verzierte. Am Morgen hatte sie die letzten Stücke ihrer Ausrüstung komplementiert und hielt sich nun für gut gerüstet genug, Windhelm zu verlassen. Neben einem bequemen und geräumigen Rucksack und einer Umhängetasche hatte sie auf dem Markt günstig eine Schlafrolle und ein einfaches, aber warmes Zelt erstanden, sowie zwei Wasserbeutel und ausreichend Reiseproviant für vier Tage eingekauft. Unterwegs gedachte sie eh, auf die Jagd zu gehen und so ihre Vorräte immer wieder aufzufüllen. Am Nachmittag war ihr schließlich eingefallen, dass es kein Fehler sein dürfte, ihr Schwert und ihr Jagdmesser nochmals zu schärfen, allerdings war dies nicht so einfach, wie sie zu Anfang gedacht hatte. Irgendwie hatte sie noch nicht den richtigen Dreh heraus. Missmutig starrte sie auf die schartige Stelle, die nun ihr Schwert verzierte, als sie hinter sich ein helles Lachen hörte, woraufhin sie sich umdrehte.
„Wohl nicht so leicht wie gedacht, was?“, kicherte eine junge Nord und schaute Nyala mit verschmitztem Gesichtsausdruck an.
„Mhm...“, brummte Nyala nur und wendete sich wieder ihrem Schwert zu. Die junge Nord trat näher und blickte Nyala über die Schulter.
„Du hälst das Schwert völlig falsch, der Winkel muss viel flacher sein. Und du musst es gleichmäßig über den Schleifstein führen. Kein Wunder, wenn du so lauter Macken in dein Schwert machst!“, meinte die Nord nach einem kurzen Blick auf das Schwert.
„Ach ja?“, erwiderte Nyala und schaute etwas verärgert zu ihr auf. „Und in deinem Alter weiß man bereits so gut Bescheid, ja?“ Sie musterte die junge Nord von oben bis unten, die keinesfalls älter als zwanzig Jahre sein dürfte. Mir ihren vorwitzigen Sommersprossen im Gesicht und ihrer kleinen Statur wirkte sie wahrlich nicht sonderlich erfahren auf sie.
Die junge Nord zuckte mit den Achseln. „Im Gegensatz zu deinem Schwert ist meines jedenfalls scharf!“, antwortete sie, klopfte mit der Hand gegen ihr Stahlschwert, welches an der linken Seite hing und grinste Nyala frech an.
„Schön für dich!“, brummte Nyala erneut und widmete sich wieder ihrem Schwert. Vorsichtig setzte sie den Schleifstein in Bewegung und hielt das Schwert dagegen, diesmal in einem etwas flacherem Winkel. Mit einem hässlichen Kreischen rutschte das Schwert ab und Nyala fluchte laut.
Kichernd schubste die Nord Nyala zur Seite und schnappte sich das Schwert, und noch ehe diese dazu kam, sich zu beschweren, führte das Mädchen das Schwert gekonnt über den Schleifstein. „Ich heiße übrigens Mindi... naja, eigentlich Mindeva, aber ich kenne keinen, der mich so nennt.“, erzählte sie nebenbei, während sie vorsichtig die schartigen Stellen beseitigte, die Nyala in das Schwert geschliffen hatte.
„Mhm... sehr erfreut....“, kam es von Nyala zurück, die sich ein wenig über die freche Art des Mädchen ärgerte. „Ich heisse Nyala... aber ich hätte das auch alleine gekonnt!“
„Bestimmt! So in in ein oder zwei Jahren!“, plapperte Mindi fröhlich weiter und schenkte ihr einen verschmitzten Blick. „Du bist auch nicht von hier, oder? Auf der Durchreise?“, fragte die junge Nord und führte das Schwert ein letztes Mal über den Stein, ehe sie es Nyala überreichte. „Hier, bitte schön!“
Nyala betrachtete das Schwert von allen Seiten und prüfte die Schärfe vorsichtig mit ihrem Fingernagel. Kein Zweifel, das junge Mädchen verstand sich darauf, mit dem Schleifstein umzugehen. „Hmm ja... danke“, brummelte sie ein wenig verlegen. „Und um auf deine Frage zurückzukommen... nein, ich bin nicht von hier und auch nicht auf der Durchreise. Um genau zu sein werde ich die Stadt morgen verlassen.“
„Das kann ich gut verstehen! Kein sonderlich angenehmer Ort hier. Ich reise ein wenig durch die Gegend, wo es mich gerade hin trägt. Hier nach Windhelm bin ich eigentlich nur gekommen, um den Spinner zu sehen.“, erzählte Mindi und stellte sich neben Nyala.
„Den Spinner? Meinst du Calixto... vom Museum?“, fragte Nyala und schaute Mindi verwundert an.
„Nee... den doch nicht. Ich meine den Spinner da oben im Palast. Der immer nur davon tönt, das Himmelsrand den Nords gehört und die Kaiserlichen schlecht seien!“, antwortete Mindi und lachte leise.
„Pssst!“, zischte Nyala und schaute sich schnell um, ob einer der Wachen, die immer am Markt patrouillierten, etwas gehört hatte, aber diese war zum Glück im Moment auf ihrem Rundgang. „Bist du verrückt, hier so über Ulfric zu sprechen? Wenn das eine Wache zu hören bekommt, dann landest du im Kerker!“
Mindi machte eine abwiegelnde Handbewegung. „Dazu müssen sie mich erst einmal fangen. Aber ich weiß... Kritik hört man hier in Windhelm ungern. Aber sage mir – was denkst du was passieren wird, wenn Ulfric gewinnt? Ich kann es dir sagen: Himmelsrand wäre geschwächt, das Kaiserreich wäre geschwächt. Und nun überlege einmal, wer davon am meisten profitieren würde. Wer das nicht erkennt, der ist für mich ein Spinner, ganz einfach!“
„Sei jetzt besser still, auch wenn du vielleicht Recht haben magst. Aber ich will morgen die Stadt verlassen und ich habe absolut keine Lust, wegen dir womöglich mit im Kerker zu landen.“, erwiderte Nyala.
„Ich sag ja schon nichts mehr“, maulte die junge Nord ein wenig. „Wohin willst du denn gehen, wenn ich fragen darf?“
„Ich weiß zwar nicht, warum dich das interessiert, aber ich werde nach Weißlauf reisen. Aber vorher werde ich Kyneshain einen Besuch abstatten.“
Mindi grinste. „Aha! Kyneshain, so so. Da soll doch ein gewisser Sam sein, nicht wahr? Jedenfalls hat das diese plappernde Wirtin von Haus Kerzenschein erzählt. Anscheinend interessiert dich das, was Ulfric so macht, doch mehr als du im Moment zugeben magst.“
Nyala murmelte etwas unverständliches. „Denk was du denken magst. Ich werde nun ein Met trinken gehen und lade dich als Dank für deine Hilfe ein.“
„Oh, da habe ich nichts gegen einzuwenden.“, lächelte Mindy. „Aber wenn es dich nicht stört, so würde ich ganz gerne im Haus Kerzenschein am Kamin sitzen. Dort ist es gemütlicher als im Neu-Gnisis Club.“
Nyala nickte zustimmend. „Mir soll es recht sein. Hauptsache ich sitze im Warmen.“
Die beiden Frauen verließen den Marktplatz und zogen hinüber zum Haus Kerzenschein, wo sie sich am Kamin niederließen und ein Met sowie eine Kleinigkeit zu Essen bestellten. So gestärkt unterhielten sie sich eine Weile, und so erfuhr Nyala von Mindi, dass diese bereits in jungen Jahren von zu Hause ausgerissen war und seitdem kreuz und quer durch Himmelsrand zog. Es erstaunte Nyala nicht wenig zu hören, an wie vielen unterschiedlichen Orten die Nord trotz ihres jugendlichen Alters bereits gewesen war. Überhaupt machte Mindi einen sehr offenherzigen Eindruck und plauderte den ganzen Abend über ihre diversen Erlebnisse. Selbst als Nyala auf ihre neugierigen Fragen ob ihrer Reise nach Weißlauf nur ausweichend antwortete, zeigte sich diese darüber nicht im geringsten verärgert. Oder aber sie ließ es sich nicht anmerken, so ganz sicher war sich Nyala da nicht. Als es schließlich spät am Abend war und der Inhalt einiger Krüge Met ihre Kehlen befeuchtet hatten, verabschiedete sich Nyala von Mindi und wünschte ihr alles Gute. Mindi ihrerseits wünschte eine sichere Reise und bedachte Nyala mit einem langen nachdenklichen Blick, als diese die Treppe hinab stieg und sich noch kurz von Elda und Nils verabschiedete, ehe sie zum Schlafen ging.
Am nächsten Morgen war Nyala zeitig auf den Beinen. Ihre Ausrüstung hatte sie bereits im Laufe des Vortages gepackt, so das noch genügend Zeit blieb, ein ausgiebiges Frühstück einzunehmen und sich von den Bewohnern des Neu-Gnisis Clubs angemessen zu verabschieden, der für mehrere Monate ihr Heim gewesen war. Als sie schließlich vor die Tür trat, zeigte sich der frühe Tag grau und wolkenverhangen und ein kalter Ostwind wehte vom Geistermeer rüber. Oft kündigten sich so heftige Schneefälle an, aber da sie gedachte, in südliche Richtung zu reisen, hoffte sie, davon verschont zu bleiben. Wohlgemutes schritt sie die Treppen durch den dunklen Bezirk zum Haupttor hinauf und hielt am Platz vor Haus Kerzenschein kurz inne, um ihre Wasserbeutel mit frischem Quellwasser zu füllen. Während sie damit beschäftigt war, hörte sie hinter sich plötzlich ein klirrendes Geräusch, gefolgt von einem Fluch. Erstaunt drehte sich Nyala um und erblickte Mindi, die in voller Montur mit Rucksack und Schlafrolle hinter ihr stand und sich nach ihrem auf dem Boden liegenden Schwert bückte.
„Was bei den Göttern machst du denn hier?“, fragte Nyala überrascht.
„Iiiiich?“, kam es langgezogen zurück. „Mitkommen natürlich! Nur mein blödes Schwert will irgendwie nicht in der Halterung bleiben, da ist der Rucksack im Weg!“
„Mitkommen?? Ich habe dich nicht gebeten, mich zu begleiten.“, erwiderte Nyala stirnrunzelnd.
„Egal – ich komme trotzdem mit. Was soll ich noch länger hier in Windhelm? Der Spinner ist nicht da, die Stadt ist häßlich, die Leute sind.. naja... überwiegend auch nicht nett. Und du kannst Hilfe gebrauchen unterwegs.“, antwortete Mindi und mühte sich mit der Schwertscheide ab, damit sie am rechten Fleck blieb.
„Moment... jetzt mal ganz langsam. Ob ich unterwegs Hilfe brauche oder nicht, die Entscheidung überlasse mal ganz schön mir selbst. Ich denke, ich komme auch alleine ganz gut klar.“, knurrte Nyala ein wenig verärgert.
„Unsinn!“, unterbrach Mindi sie. „Wie lange warst du verletzt? Fast ein dreiviertel Jahr? Und nun denkst du, du kannst schon wieder wie ein junger Hund durch die Gegend rennen? Es ist ein ganz gutes Stück Weg bis nach Weißlauf. Ein Pferd hast du nicht, also wirst du die Strecke zu Fuß laufen müssen. Und die Kutsche ist nicht da, das habe ich vorhin überprüft, wäre nämlich noch eine Alternative gewesen.“
Nyala starrte die junge Nord zornig an, doch sie kam nicht umhin, ihr insgeheim zuzustimmen. In der Tat hatte sie überlegt, die Kutsche nach Weißlauf zu nehmen, wenn es ihr gelungen wäre, den Kutscher zu einem Abstecher nach Kyneshain zu überreden. Für ein Pferd reichten ihre paar verbliebenen Goldstücke beim besten Willen nicht mehr und sie wollte auch nicht noch länger in Windhelm verweilen, um das für den Kauf benötigte Geld zu verdienen.
„Davon abhalten kann ich dich wohl nicht, ich schätze mal, du würdest trotzdem hinter mir herkommen, wenn auch mit Abstand.“, brummelte Nyala.
„Gut erkannt!“, grinste Mindi breit. „Also – gehen wir?“
Nyala druckste noch eine Weile herum, schließlich willigte sie aber ein. „Damit eines klar ist: Sollte ich unterwegs merken, dass du mir mehr eine Last als eine Hilfe sein solltest, dann trennen sich unsere Wege. Auf der Stelle! Ist das klar?“
Mindi zuckte mit den Achseln, „Von mir aus, wenn du meinst. Wirst schon sehen, was du an mir hast!“, erwiderte sie und grinste erneut. „Dann mal auf, bevor es anfängt zu schneien!“
Gemeinsam schritten die beiden Frauen durch das Stadttor und gingen eng in ihre warmen Fellmäntel geschmiegt über die Brücke zu den Ställen von Windhelm. Nyala drehte sich kurz um und betrachtete die in steinernen Mauern gehüllte Stadt ein letztes Mal, da sie nicht beabsichtigte, so schnell wieder zurückzukehren. Als sie bei den Ställen ankamen, war von der Kutsche wie von Mindi bereits erwähnt weit und breit nichts zu sehen. Hinter der Brücke hielten sie sich östlich und bogen auf den Weg ein, der sich den Hügel hinauf nach Kyneshain schlängelte. Von hier aus waren es etwa zwei Stunden bis zur kleinen Siedlung, wenn man gemächlich ging. Sie hatten die Anhöhe nicht einmal zur Hälfte erklommen, als Mindi plötzlich stehen blieb. „Moment einmal, ich muss einmal kurz in die Büsche...“, rief sie und verdrückte sich in das Gehölz am Wegesrand.
Nyala rollte mit den Augen. „Na, das geht ja prima los. Fällt dir ja reichlich früh ein, dass du auf Toilette musst!“
„Doch nicht deswegen!“, tönte es aus dem Busch zurück, gefolgt von einem Knacken und Prasseln, ehe sie mit zwei langen Stöcken bewaffnet wieder zurück auf den Weg trat und einen davon an die überrascht drein blickende Waldelfin reichte. „Hier nimm! Das erleichtert das Laufen auf längeren Strecken enorm, ist viel bequemer. Ich nenne es Wandern auf nordische Art, das wird einmal der Brüller schlechthin, glaub es mir! Und wer hat es erfunden? Na? ICH!“, plapperte Mindi vergnügt und setzte sich auf den Stock gestützt wieder in Bewegung. Keine zehn Schritte weiter hielt sie erneut an und drehte sich zu der immer noch regungslos stehenden und Mindi perplex anstarrend Elfe um. „Kommst du?“