Kapitel II: Weißlauf
Flusswald war eine malerische kleine Gemeinde im Fürstentum Weißlauf, welches laut Hadvars Onkel Alvor von der gleichnamigen Hauptstadt aus von Jarl Balgruuf dem Älteren regiert wurde.
Als Zorah und Hadvar dort ankamen, schickte sich die Sonne bereits an, hinter dem Horizont zu verschwinden. Kurze Zeit später saßen sie bereits bei einem deftigen Abendessen am Tisch des hiesigen Schmiedes und seiner Frau Sigrid und beratschlagten die nächsten Schritte.
"Ein Drache!", stieß Alvor hervor, "Ausgerechnet! Als hätten wir nicht auch so schon genug Ärger. Die Götter müssen wirklich ziemlich sauer auf uns sein - und zwar alle Neun!"
"Beruhig dich, Alvor!", entgegnete seine Frau beschwichtigend, "Bitte! Wir können wirklich nicht noch mehr Aufmerksamkeit gebrauchen."
"Du hast ja Recht. Wie dem auch sei, der Jarl muss davon erfahren, und zwar schnellstens. Ohne seine Hilfe wird Flusswald bald das selbe Schicksal ereilen wie Helgen. Und wenn sich dieser Drache erst einmal über die Hauptstadt hermacht, ist sowieso alles verloren."
"Ich werde mich gleich morgen früh auf den Weg nach Einsamkeit machen und General Tullius Bericht erstatten. Daher schlage ich vor, dass sich Zorah nach Weißlauf begibt."
"Ich?", fragte Zorah nicht wirklich daran interessiert, sich unmittelbar in einen sinnlosen Krieg hineinziehen zu lassen - besonders dann nicht, wenn ein riesiges feuerspeiendes Flugreptil mitmischte.
"Zorah!", redete Hadvar beschwörend auf sie ein, "Ich hab dich kämpfen gesehen. Du bist die tapferste Elfe, die ich bis jetzt erlebt habe. Und es gibt hier mehr Bosmer, als du vielleicht denkst. Wenn irgendwer für diese Aufgabe geschaffen ist, dann bist du es."
"Wenn du jetzt gleich noch vor mir auf die Füße fällst und mir einen Antrag machst, werde ich ohnmächtig. Also gut. Das ist wohl das Mindeste, was ich tun kann."
Innerlich war sich Zorah sicher, dass sie diese Entscheidung noch einmal bitter bereuen würde.
In der Nacht bekam die Bosmerin kaum ein Auge zu. Visionen des Drachen, der sie unermüdlich verfolgte und dabei ihren Namen rief, machten ihr schwer zu schaffen. Trotzdem war sie am nächsten Morgen schon sehr früh wach und beschloss, erst einmal an den Fluss zu gehen und sich zu waschen. Dabei betrachtete sie lange und eindringlich ihr Spiegelbild.
"Was machst du eigentlich hier ?", schien es sie zu fragen, "Du gehörst nicht hierher. Warum bist du nicht nach Valenwald zu Deinesgleichen geflohen?"
"Weil es dort derzeit auch nicht wirklich viel besser ist", antwortete sie laut und bemerkte dabei nicht, dass sie Gesellschaft bekommen hatte.
"Alles in Ordnung?", riss Hadvar sie aus ihren Gedanken.
"Was? Oh, du bist's. Ja, es geht mir gut. Danke."
"Also, schön. Tante Sigrid tischt gerade das Frühstück auf, und mein Onkel hat glaub ich etwas für dich. Kommst du?"
"Ja, einen Moment. Bin gleich da."
Das Frühstück bestand aus reichlich Brot, Käse, Wurst, dem in Himmelsrand allgegenwärtigen Met und Milch für Töchterchen Dorthe - wobei auch Zorah die Milch dem Met vorzog. Immerhin war sie weitaus weniger trinkfest als ein Nord.
Schließlich überreichte Alvor ihr noch eine schicke Lederrüstung und einen neuen Bogen. Zorah war sichtlich gerührt.
"Der Weg nach Weißlauf ist zwar nicht besonders lang, aber ungeschützt. Die Banditen sind in letzter Zeit ziemlich dreist geworden, und auch die Wildtiere scheinen nervös. Da jetzt solltest du gut gewappnet sein für die Reise."
"Ja. Ich danke Euch, Alvor."
"Ach!", winkte der Schmied freundlich ab, "Vergiss die Förmlichkeiten. Betrachte dich ruhig als Teil der Familie."
"Meinetwegen! Dann werde ich mich wohl besser mal auf den Weg machen. Vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Lebt wohl!"
Nachdem sie auch Hadvar - zum Abschied noch einmal in den Arm genommen und ihm ein Kuss auf die Stirn gedrückt hatte - bei den Waldelfen ein traditionelles Zeichen der Freundschaft -, warf sie sich ihre Reiseproviant und Kleidung zum wechseln beladenen Rucksack über die Schulter und verlies das Dorf Richtung Norden. Für Himmelsrand Verhältnisse war der Morgen angenehm mild, und die Sonne schien wie Cyrodiil im Sommer Fast mochte man meinen, Zorah sei auf einer Urlaubsreise. Doch das sollte nicht so bleiben.
Bereits nach einer halben Stunde Fußmarsch konnte sie bereits über eine Ansammlung kleiner Bauernhöfe Weißlaufs Hauptstadt erkennen, deren Fläche den ganzen Hügel einnahm, auf dem sie stand. Und an der höchsten Stelle ragte die Drachenfeste majestätisch empor.
Als Zorah vorbei an einer Brauerei kam und gerade den Weg zu den Stallungen der Stadt einschlagen wollte, bemerkte sie eine Gruppe Kämpfer, die auf dem benachbarten Hof einen Riesen gestellt hatten. Instinktiv wollte die Bosmerin schon ihren Bogen greifen und sie unterstützen, als der Kampf auch schon wieder vorbei war. Mit einem hörbaren Poltern ging der haushohe Riese zu Boden und rührte sich nicht mehr. Als die drei Krieger bemerkten, dass sie beobachtet wurden, liefen sie auf die Elfe zu.
"Hat dir die kleine Darbietung gefallen, Waldelf?", sprach eine junge Frau mit roten Haaren und einer Kriegsbemalung im Gesicht, "Hättest dich ruhig auch beteiligen können."
"Ich wollte ja, aber da war es ja schon vorbei."
"Ausreden! Nichts als Ausreden! Wenn wirklich ein Kämpfer in dir steckt, dann komm nach Jorrvaskr, der Methalle der Gefährten in Weißlauf, und beweis uns deinen Wert."
Ehe Zorah noch irgendwas erwidern konnte, waren die Kämpfer auch schon wieder weg. Die Gefährten? War das so etwas wie die Kämpfergilde im Kaiserreich? Zorah hat zwar den einen oder anderen Botengang für die Gilden erledigt, war aber nie regulär beigetreten. Vielleicht wäre es an der Zeit, zumindest darüber nachzudenken. Doch jetzt hatte sie erst einmal Wichtigeres zu tun.
Am Stadttor angekommen, wurde Zorah von einer Wache aufgehalten.
"Hab ich was verbrochen ?" fragte die Bosmerin verwirrt.
"Nicht, dass ich wüsste. Aber die Stadt ist für Fremde abgeriegelt. Es wurde eine Drache gesichtet."
"'Gesichtet' ist gut. Er hat gerade ganz Helgen niedergebrannt. Ich zähle zu den Letzten Überlebenden. Flusswald ist ebenfalls in Gefahr, ich muss mit dem Jarl reden."
"Einverstanden. Aber macht keinen Ärger, Spitzohr!"
"Solange Ihr Euch Eure Spitzohren-Kommentare verkneift, lass ich mit mir reden."
Zorah schenkte der Wache noch ein spitzbübisches Grinsen und trat dann durch das große Stadtor.
Weißlauf war tatsächlich ein herrlicher Ort. Gleich hinter dem Tor führte ein gepflasterter Weg an der Schmiede und verschiedenen anderen Geschäften bis zu einem kleinen Marktplatz. Direkt dahinter stand die 'Beflaggte Mähre', die hiesige Taverne. Von der Marktstraße führten zwei Treppen jeweils den Hügel hinauf zum Wohnbezirk der Stadt, dessen Zentrum der Tempel von Kynareth und ein kleines Rondell mit Parkbänken einnahmen. Einziges Makel war ein knorriger alter Baum, der seine Äste wie aus Trauer hängen ließ. Vor einer gewaltigen Statue des Talos - jenes Gottes, der von den Thalmor gehasst und kurzerhand verboten wurde - hielt ein wortstarker Priester seine Predigt, die wohl viel eher der Provokation als dem Trost dienen sollte. Zorah hörte kurz zu, doch dann wurde es ihr zu viel. Sie hatte nichts gegen Talos und ließ sich auch nicht vorschreiben, wen sie anzubeten hatte und wen nicht, doch die Hasstiraden dieses Fanatikers waren einfach nur lästig.
Links und rechts von der Statue führten zwei gewaltige Steintreppen hinauf zur Drachenfeste, wo der Jarl und sein Gefolge zuhause sind.
"Dann wollen wir doch mal sehen, was der gute Mann zu erzählen hat", sprach Zorah zu sich und stieg die Stufen hinauf. Am Ende der Brücke, unter der ein kleiner Wasserfall hinunter ins Wohngebiet plätscherte, lag das reich verzierte und mit Eisen beschlagene Portal ins Innere der Festung. Interessanterweise wurde sie nicht bewacht. Der Jarl schien zu glauben, dass die Patrouillen in der Stadt ausreichend Schutz vor Eindringlingen boten. Und vermutlich hatte er sogar Recht. Nun, Zorah verspürte sowieso nicht Bedürfnis, die Soldaten auf ihre Tauglichkeit zu testen - wahrscheinlich würde sie ohnehin den Kürzeren ziehen - und begab sich stattdessen ins Innere.
Auch der Thronsaal spiegelte das wieder, was die junge Elfe auf ihren Weg durch Weißlauf gesehen hat. Ein edel verzierter Teppich führte von der Pforte bis zum Thron, auf dem Jarl Balgruuf saß - links und rechts flankiert von je einer langen Speisetafel. Davon abgesehen schien der Jarl keinen großen Wert auf trotzigen Zierrat zu werfen, die in den Schlössern der Grafschaften von Cyrodiil jede Nische einnahm. Weder von auf Hochglanz polierte Ritterrüstungen, wertvollen Gemälde, noch Altmerischen Porzellan war irgendwo etwas zu sehen. Dafür hing über dem Thron ein gewaltiger Drachenschädel an der Wand. Das machte das Fehlen des anderen Tandes wohl wieder wett.
Zorah kam keine fünfzehn Schritte weit, als sie auch schon von einer grimmig dreinblickenden Dunkelelfe aufgehalten wurde.
Ausgerechnet eine Dunmerin, dachte Zorah, die in ihrer Vergangenheit nicht unbedingt die besten Erfahrungen mit ihren grauhäutigen Verwandten gemacht hatte. Tatsächlich kam sogar eine ihrer Tanten, deren Namen sie sich einfach nicht merken konnte, aus Morrowind, wo sie vor dem Roten Berg geflohen war. In Cyrodiil verliebte sie sich in den Bruder ihrer Mutter und kehrte nach ihrer mit ihm nach Valenwald zurück. Auch Zorah gehörte damals zur Hochzeitsgesellschaft und erkannte ziemlich schnell, dass sie sich mit dieser Frau nie würde anfreunden können. Ständig hatte sie allem etwas auszusetzen. Das Kleid war ihr zu schlicht, dass Essen war zu fad, der Wein gepantscht. Wie es ihr Onkel mit ihr aushalten konnte, und wie er sie obendrein dazu überreden konnte, mit ihm zu kommen, war ein Rätsel, dass sich wohl niemals würde lösen lassen.
"Was wollt Ihr hier?", wurde Zorah von der befehlsgewohnten Stimme der Dunmerin in die Realität zurückgerufen, "Der Jarl gibt heute keine Audienzen!"
"Mich wird er empfangen !", gab die Bosmerin sich selbstbewusst, "Ich habe Nachrichten aus Helgen und aus Flusswald."
"Was für Nachrichten ?"
"Gute Frau, könnt Ihr euch das nicht denken? Ein Drache hat Helgen zerstört und befindet sich jetzt auf den Weg hierher. Wir haben keine Zeit zu verlieren."
"Also gut, folgt mir. Aber versucht keine Tricks."
"Meine Güte, sehe ich denn so gefährlich aus, dass mir das jeder sagen muss ?"
Die Dunkelelfe, die allem Anschein nach des Jarls Leibwächter war, führte sie direkt bis zum Thron,
wo die Bosmerin - an die kaiserlichen Ehrenbezeugungen gewohnt höflich das Knie beugte. Der Jarl lächelte kurz, ehe er wieder ernst wurde
"Erspart Euch diese Höflichkeitsfloskeln, für so etwas hab ich keine Zeit. Sagt mir lieber, was Euch zu mir führt."
"Herr, Alvor aus Flusswald, ersucht Euch um Schutz für das Dorf. Der Drache, der Helgen niederbrannte, ist noch in der Nähe. Ich war dort."
"Ihr wart in Helgen? Wie habt Ihr es lebend dort herausgeschafft? Egal, das besprechen wir ein anderes Mal. Ihr habt Eure Sache gut gemacht und sollt belohnt werden, aber vielleicht wärt Ihr unter Umständen bereit, Euch ein weiteres Mal zu beweisen."
"Um was geht es ?"
"Das wird Euch mein Hofzauberer erklären. Folgt mir. Irileth, Ihr sorgt sofort dafür, dass für Flusswald einige Soldaten bereitsehen!"
"Wie Ihr wünscht, mein Jarl."
Irileth verbeugte sich kurz und stürmte dann aus der Feste. Man konnte von der Dunkerin sagen, was man wollte, aber sie nahm ihren Job ernst. Zorah nahm sich vor, ihre Meinung über die Grauen noch einmal zu überdenken.
Jetzt erst einmal folgte sie dem Regenten von Weißlauf in eine kleine Kammer neben dem Thronsaal, in der gerade ein Magier über einem achteckigen Tisch mit seltsam floreiszierenden Symbolen darauf gebeugt stand.
"Farengar!", rief ihn der Jarl, "Ich störe Euch ungern bei Euren Forschungen, aber ich habe hier jemanden, der Euch vielleicht helfen könnte."
"Ach tatsächlich ? Sie sieht gar nicht aus wie ... ach, Ihr meint den Drachenstein. Nun, wenn Ihr das sagt, Herr."
"Drachenstein?", fragte Zorah lauernd. Anscheinend wurde sie mal wieder mitten in Geschehnisse hineingezogen, mit denen sie eigentlich nichts zu tun haben wollte. Mal wieder typisch.
"Ja!", antwortete Farengar, " Eine alte Schrifttafel. Wenn meine Aufzeichnungen stimmen, könnte sie uns dabei helfen, zu verstehen, woher dieser Drache kommt, und vielleicht sogar, wie man ihn aufhält. Das Problem dabei ist, dass sich der Drachenstein laut meiner Quellen im Ödsturzhügelgrab befindet. Jemand müsste also dort hingehen und ihn mir besorgen."
"Und dieser 'Jemand' soll dann wohl ich sein", seufzte Zorah schicksalsergeben, "Also gut, ich hole Euch diesen Stein. Irgendetwas, was ich über dieses Grab wissen sollte ?"
"Nun, es liegt ganz in der Nähe von Flusswald. Er ist praktisch nicht zu übersehen. Den Weg dorthin lasst Ihr euch am Besten von einem der Dörfler erklären. Außerdem solltet Ihr Euch vor Fallen und den Draugr in Acht nehmen."
"Draugr?"
"Die Untoten der alten Nordkrieger. Sie schätzen es nicht besonders, wenn Sterbliche ihre Ruhestätten plündern."
"Das wird ja immer besser."
"Ihr macht Euch jetzt besser auf den Weg. Ich habe noch viel zu tun, und Ihr steht mir im Licht. Guten Tag!"
Ein wenig resigniert darüber, jetzt auch noch in einer fallenbeladenen Gruft voller Untoter nach einem staubigen alten Stein suchen zu müssen, verließ Zorah die Feste wieder und kehrte in der Taverne ein. Sie pfiff auf ihre guten Vorsätze. Jetzt brauchte sie doch einen Met.
Kapitel II: Ende