Dark Ambient
(nachfolgend als DA bezeichnet)
(nachfolgend als DA bezeichnet)
Dieser Thread ist ein wenig anders, denn er beschreibt keinen Künstler, sondern ein ganzes Genre. Das erschien mir sinnvoller, da das Spektrum hier nicht zu breit ist und die Beschreibung einer einzelnen Formation einfach nicht genug hergibt, zumal oft nicht viel Material vorhanden ist.
Hier also eine kleine Übersicht:
1. Definition & Entwicklung
2. Stile & jeweilige Vertreter
3. Hörbeispiele & Liveauftritte
4. Links
1. Definition & Entwicklung
Laut der englischen Wikipedia (die deutsche versucht eher, anhand von Beispielen zu erklären) ist unter DA Folgendes zu verstehen:
"(...) a subgenre of ambient music that features foreboding, ominous, or discordant overtones."
Auf deutsch also in etwa:
"(...) ein Subgenre der Ambient-Musik mit unheilvollem, bedrohlichem oder unharmonischem Unterton."
Ergänzend dazu sollte man das überwiegende Ausbleiben von Rhythmen sowie die Tatsache, dass es sich eher um Klangcollagen als um bewusst anhörbare Musik handelt, nennen.
Es ist nicht endgültig geklärt, wie genau DA sich entwickelte. Allgemein ist man sich einig, dass seine Wurzeln irgendwo in den 70er Jahren in Großbritannien liegen. Die meisten sehen den Industrial als das Genre, aus dem er hervorgegangen ist.
Ursprünglich hatte der Industrial neben der rein musikalischen auch eine soziopolitische Komponente. Man ging nicht einfach auf ein Industrial-Konzert, um sich mit Musik berieseln zu lassen, sondern man sollte nach dem Konzert etwas bewahrt haben. Industrial-Künstler verstanden sich oft als politische oder gesellschaftliche Aktivisten und gestalteten ihre Auftritte dementsprechend als umfassende audiovisuelle Erfahrung; neben Musik/Lärm wurden häufig Videos abgespielt, auch trugen die Bandmitglieder manchmal Uniformen oder veränderten sonst etwas an ihrem Erscheinungsbild. Das Ziel war es, durch eine Art Schocktherapie einen Prozess des Hinterfragens beim Publikum anzuregen. So zeigte man z.B. Leichen und Verletzte aus dem Vietnamkrieg, vermischte das mit Lärmkulissen und schrie irgendwelche Verse oder zitierte Texte.
Nun trat ein Mann aus Wales mit dem Namen Brian Williams auf den Plan. Er war gelernter Tontechniker und begann seine musikalische Karriere angeblich, indem er bei fremden Konzerten auf die Bühne stürmte und die vorhandenen Instrumente "bearbeitete".
Williams wurde später als Lustmord berühmt, indem er Feldaufnahmen aus Gruften, Höhlen oder vom Meeresgrund zu düsteren Klangcollagen zusammenstellte. Ihm schreibt man eine Pionierrolle in der Entwicklung des DA zu; relevant sind auch Robert Rich, Brian Eno (der wiederum als Pionier des Ambient gilt) und Peter Andersson (Raison d'Être).
Ob DA nun eher aus dem Industrial oder aus dem Ambient hervorgegangen ist, ist umstritten. Vermutlich haben beide Genres sich gegenseitig beeinflusst; die Videoleinwände, die bei so ziemlich jedem DA-Konzert zum Standardrepertoire gehören und über die oft noch immer politisch, gesellschaftlich oder philosophisch aufklärerisches Material flimmert, könnte man als Überbleibsel aus Industrial-Tagen deuten. Die häufig fehlende Rhythmik und der sehr hintergründige Charakter der Stücke weisen hingegen eher auf Ambient hin.
In den 80ern und 90ern vegetierte das Genre in seiner dunklen Ecke vor sich hin. Der einzige Weg, damals Musik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, führte über Plattenfirmen, und nur wenige waren offen für ein derart neues Verständnis von Musik.
Als dann aber um 2000 das Internet seinen Durchbruch hatte und langsam brauchbare Software zur Klangerzeugung entwickelt wurde, bot sich DA-Künstlern eine ganz neue Plattform. Auf einmal konnte jeder seine Musik öffentlich zugänglich machen. Die Folge war eine regelrechte Explosion: Neue Projekte kamen auf und es wurden Plattenfirmen gegründet, die heute verhältnismäßig viel Einfluss haben. Während große Firmen wie Sony BMG auf Youtube sämtliche Videos sperren lassen, die "Content" von ihnen enthalten, so sind gerade solche Fan-Videos oder Diashows mit passender musikalischer Hinterlegung für DA ein Segen. Aber noch immer erscheint ein DA-Album selten in einer anderen Ausführung als digital, und wenn doch, dann mit einer Auflage von maximal 2000 Stück. Und im Plattenladen wird man nie eine solche CD finden, geschweige denn bei Saturn oder Konsorten.
Literatur gibt es praktisch keine. In einigen Büchern über die "schwarze Szene" wird DA am Rande erwähnt; man wird aber, anders als bei Goths oder Metalern, vergeblich nach einer einheitlichen Szene mit verbindlichem Kleidungsstil suchen.
Und deshalb wird Dark Ambient für lange Zeit, vielleicht für immer, ein Nischengenre bleiben, und das ist vielleicht auch ganz gut so.
2. Stile & jeweilige Vertreter
Hier lehnt sich so mancher etwas zu weit aus dem Fenster und beschreibt dutzende verschiedene Stile, die sich oft so minimal voneinander unterscheiden wie Turnschuhe von Sneakers. Ich werde hier deshalb eine eigene Einteilung unter Gesichtspunkten wie sinnvoller Abgrenzung (Drone unterscheidet sich nun tatsächlich von Ritual) und Vorhandensein (ein ganzes Subgenre für einen einzigen Künstler erfinden ist Unsinn) aufführen. Die Vertreter habe ich nicht unbedingt nach ihrer Popularität, sondern auch oft nach persönlicher Präferenz ausgewählt.
Der "Urtypus"
Die Urform, wie Lustmord sie geprägt hat. Viel Wummern, Donnern, Grollen, manchmal auch Maschinengeräusche; meistens Feldaufnahmen. Melodien bleiben bis auf kurze Fetzen aus.
Vertreter: Lustmord, Atrium Carceri, Cities Last Broadcast, bedingt auch Raison d'Être
Nord Ambient
Dieser Begriff kam mit der Compilation "Nord Ambient Alliance" auf, wo diverse Künstler, die meisten aus Skandinavien, vertreten waren. Ein Großteil der Vertreter dieses Subgenres sind beim Label Cyclic Law unter Vertrag.
Merkmale sind oft ein "hauchender" Klang sowie eine gewisse Melodik. Die sonst vorherrschende bedrohliche Atmosphäre weicht hier eher einer melancholischen. Hauptinspiration ist oft die raue Landschaft Skandinaviens; zur Klangerzeugung dienen Software-Synthesizer ebenso sehr wie Feldaufnahmen.
Vertreter: Kammarheit, Svartsinn, Northaunt, bedingt auch Raison d'Être
Drone
Hier wird in der Regel nur mithilfe "konventioneller" Instrumente (E-Gitarre, Bass), manchmal auch Synthesizern, ein regelrechter Klangteppich aus mehreren immer gleichen Brumm- oder Basstönen erzeugt (engl. to drone: dröhnen, summen). Die Musik ist oft sehr monoton und repetetiv, manchmal rhythmisch; die erzeugte Atmosphäre könnte man vielleicht als meditativ beschreiben.
Vertreter: Troum, Allseits, Vestigial
Noise Ambient; "synthetischer" DA
Dieser Stil ist vor allem durch den Einsatz von "kratzigen", oft analogen Synthesizern gekennzeichnet und kommt dem ursprünglichen Noise/Industrial somit vermutlich am nächsten. Es kommen neben den analogen Synths auch oft Keyboards, Theremins und andere Geräte vor, deren Klang allgemein mühelos als "synthetisch" bezeichnet werden kann. Manchmal wird eine klinisch-künstliche Atmosphäre erzeugt, die an EBM erinnert.
Vertreter: Circular, Phelios, Land:Fire
Ritual/Tribal
Vermutlich das einzige DA-Subgenre, wo Rhythmen wirklich erlaubt sind. Ziel ist die Erzeugung einer - wie der Name schon vermuten lässt - ritualistischen Atmosphäre. Vertreter des Genres sind häufig Thelema- oder Naturreligions-Anhänger, und Auftritte werden oft auch wie Rituale inszeniert.
Hier kommen neben vereinzelten Synthesizern vor allem Trommeln, Glocken, Gongs, Flöten oder andere ethnische Instrumente vor, auch Gesang ist verbreitet. Zero Kama spielten ihr Album "The Secret Eye of L.A.Y.L.A.H." nach Eigenaussage gar komplett mit menschlichen Knochen ein, die sie zuvor heimlich auf einem Friedhof ausgebuddelt haben sollen.
Ritual ist eng mit Neofolk verwandt und geht oft nahtlos darin über.
Vertreter: Sephiroth, Zero Kama, Arktau Eos, Halo Manash
Neoclassical/Ethereal/Death/Black/Doom Ambient
Ich habe diese Subgenres zusammengefasst, da sie sich teilweise aufs Haar gleichen.
Hier sind vor allem starke Einflüsse von Black Metal zu finden; Varg Vikernes von Burzum hat unter anderem auch Stücke veröffentlicht, die stilistisch unter DA fallen. Dem Klang haftet etwas an, das man mit "Gothic" oder "Friedhof" beschreiben könnte. In der Regel werden Glockengeläut, orchestrale Keyboard-Arrangements, Chöre und die eine oder andere Feldaufnahme benutzt, um eine depressive oder bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen. Auch Schreie und Schmerzenslaute kommen vor.
Vertreter: Nox Arcana, teilweise Burzum
3. Hörbeispiele & Liveauftritte
Zu Liveauftritten im DA ist noch kurz etwas zu bemerken: Ein Konzert läuft hier anders ab als in anderen Musikgenres. Hier werden Stücke nicht klar voneinander abgegrenzt und angekündigt, sondern der jeweilige Künstler setzt oder stellt sich an sein Mischpult oder Instrument und spielt die ihm gegebene Zeit einfach durch. Oft entstehen so komplett neue Stücke, die es teilweise auf keiner CD in dieser Form zu hören gab und in die manchmal Elemente aus beliebten Stücken eingewoben sind.
Das Publikum sitzt meistens und ist im Idealfall mucksmäuschenstill.
Alphabetisch geordnet (Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
A
- Allseits (Yggdrasil; Live) [Drone]
- Arktau Eos (Language of Embers) [Ritual]
- Atrium Carceri (Blue Moon) [Urtyp]
C
D
- Desiderii Marginis (Deadbeat I) [Nord Ambient/Ritual]
F
G
H
- Halgrath (Euphoria; Shaaman's Prairie) [Ritual]
- Herbst9 (4000 Years of Damascus) [Ritual]
- Inade (Caldera) [Urtyp]
K
- Kammarheit (Dreamhours; Sleep After Toyle, Port After Stormie Seas) [Nord Ambient]
- Lustmord (Destruction) [Urtyp]
N
- Nox Arcana (Night of the Wolf; Necronomicon) [Neoclassical Dark Ambient]
- Northaunt (Barren Land; Live) [Nord Ambient/Drone]
P
- Parhelion (Solitude; Forgotten Outpost) [Nord Ambient]
- Phelios (Inside the Blue Vortex; Live) [Noise Ambient/Urtyp]
- Psychomanteum (Myspace) [Urtyp/Nord Ambient]
R
- Raison d'Être (Disintegrates From Within; Live) [Urtyp/Nord Ambient]
- Sephiroth (The Call of the Serpent; Now Night Her Course Began) [Tribal/Ritual]
- Sinke Dûs (The Premonition) [Nord Ambient]
- Svartsinn (...But the Fire Burns No More; September Dirge; Live) [Nord Ambient/Urtyp]
U
- Uncertain (Seedling; Tsalal) [Urtyp] Nebenbei so ziemlich das Gruseligste, was ich jemals gehört habe.
- Vestigial (Anthropic Uncreation; The Coming) [Drone]
- Wolfskin (Myspace) [Urtyp/Ritual]
Y
Z
- Zero Kama (Seven Nights of Tantra) [Ritual]
4. Links
Dark Ambient Radio (kostenloses Webradio)
Cold Meat Industry (wohl das bekannteste DA-Label)
Cyclic Law (in den letzten Jahren immer beliebter gewordenes Label)
darkambient.ge (nette Forengemeinschaft)
last.fm (gut, um neue Künstler kennenzulernen)
Achtung. In diesem Genre mag man auf Satanisten, merkwürdige okkulte Menschen oder auch Neonazis stoßen. Sollte ich unwissentlich irgendetwas verlinkt haben, was den Forenregeln widerspricht, dann möge man mich darauf hinweisen. Generell kann man aber davon ausgehen, dass Dark Ambient unpolitische Musik ist.
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